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Marine Schatzkammer

Wirkstoffe aus dem Ozean

Weltweit forschen Wissenschaftler nach neuen Mitteln und Wegen gegen resistente Keime, Krebs oder andere schwere Krankheiten. Zunehmend im Fokus dieser Suche stehen das Meer und seine Bewohner. Algen, Schwämme und andere Meeresorganismen könnten völlig neue, bislang unbekannte Wirkstoffe hergeben, so die Hoffnung.
Hanke Huber
25.07.2022  08:30 Uhr

Die ersten zugelassenen marinen Wirkstoffe stammen von Schwämmen. Auf den karibischen Meeresschwamm Cryptothetya crypta geht der erste, 1969 in den USA zugelassene Arzneistoff aus dem Meer namens Cytarabin (Ara-C) zurück. Das Nukleosid besitzt eine tumorhemmende Wirkung und wird zur Behandlung von Leukämien eingesetzt. Ebenfalls aus Schwämmen isolierten Forscher ein weiteres Nukleosid – das Vidarabin oder Ara-A. Dieses hemmt die Vermehrung von Viren. Es kommt seit 1976 zur Behandlung von schweren Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus zum Einsatz.

Doch das war erst der Anfang. Wie groß das Potenzial der Wirkstoffsuche unter Wasser ist, lässt sich nur erahnen. Ozeane bedecken mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche. Experten vermuten, dass rund 90 Prozent der darin lebenden Organsimen noch unbekannt sind. So hat sich die Suche längst ausgeweitet. Viele Unterwasserorganismen zeichnet aus, dass sie erdgeschichtlich sehr alt sind. Viele wie die Schwämme sind ursprünglich und sesshaft oder nur langsam unterwegs. Dass sie sich trotzdem gegen Einflüsse der belebten und unbelebten Natur – Temperaturunterschiede, UV-Einstrahlung oder Fressfeinde – behaupten konnten und können, verdanken sie häufig speziellen Inhaltsstoffen, manche davon hochgiftig. So etwa der Gift-Cocktail, mit dem die Kegelschnecke Conus magnus jagt. Ziconotid hemmt die Weiterleitung von Schmerzsignalen und kommt als starkes Schmerzmittel zum Einsatz.

»Meeresorganismen sind besonders reich an hochkomplexen und strukturell sehr ungewöhnlichen Inhaltsstoffen«, erläutert Professor Dr. Peter Proksch im Gespräch mit PTA-Forum. Als Leiter des Instituts für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erforschte der nun emeritierte Pharmazie-Professor mehr als 30 Jahre das heilsame Potenzial von Meeresorganismen.

Vergleiche man sie mit Landpflanzen, der wichtigsten arzneilich genutzten Naturstoffquelle auf dem Land, dann sehe man sehr große strukturelle Unterschiede. »Bei den Substanzen, die wir aus Meeresorganismen isolieren können, gibt es beispielsweise sehr viele, die Chlor-Atome tragen. Das gibt es auf dem Land extrem selten und hat vermutlich damit zu tun, dass Meerwasser durch Natriumchlorid einen hohen Chloranteil besitzt.« Ein weiteres Beispiel sei das Spurenelement Brom. Das finde man sehr selten auf dem Land.

Mittlerweile gibt es 14 zugelassene Medikamente, die marine Naturstoffe enthalten beziehungsweise von ihnen abgeleitet wurden. Deutlich mehr Substanzen befinden sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung. Daran erkenne man, dass sich dieses Gebiet in einer sehr starken und sehr dynamischen Entwicklung befinde, so Proksch.

Von Makro zu Mikro

Die jüngsten Substanzen, die zugelassen wurden, kamen 2019 beziehungsweise 2020 auf den Markt – alles Wirkstoffe, die in der Krebstherapie zum Einsatz kommen, zum Beispiel beim metastasierenden kleinzelligen Lungenkarzinom, beim Non-Hodgkin-Lymphom, dem metastasierten Urothelkarzinom oder dem rezidivierten oder refraktären multiplen Myelom. Interessanterweise handele es sich bei dreien davon um Substanzen, die zwar aus Makroorganismen – in diesem Fall aus Mollusken – gewonnen wurden, aber eigentlich Inhaltsstoffe von Cyanobakterien seien, sagt der Pharmazeut.

Hier zeigt sich ein Trend. Lagen früher die Makroorganismen im Fokus der Forschung, konzentriert man sich heute mehr und mehr auf die mit ihnen assoziierten Mikroorganismen. »Man hat erkannt, dass in vielen Fällen die Mikroorgansimsen die eigentlichen Quellen für die interessanten Wirkstoffe sind, die man untersucht.«

Bei den neuen Wirkstoffen sei zudem eine interessante Entwicklung zu beobachten, so der Pharmazeut. Es handele sich nicht mehr um das Toxin an sich, sondern um Antikörper-Toxin-Konjugate (ADC, Antibody Drug Conjugate). »Die isolierten Toxine werden an Antikörper gekoppelt, die bestimmte Oberflächenstrukturen von Krebszellen erkennen und an diese andocken. Krebszellen phagozytieren den Antikörper-Toxin-Komplex, dann spalten zelleigene Proteasen die Toxine im Inneren der Krebszelle ab, diese werden freigesetzt und zerstören die Krebszelle«, erklärt der Experte. Eine sehr selektive Vorgehensweise. »Man kann damit also die Krebszellen direkt ansteuern und so versuchen, die Nebenwirkungen, die bei der generellen Vergiftung der Zelle entstehen, wie man sie von der Chemotherapie her kennt, auszuschließen.«

Gut kultivierbar

Und noch einen weiteren Vorteil bieten Mikroorganismen: Hat man sie erst einmal als Wirkstoffproduzenten identifiziert, lassen sie sich gut kultivieren. Mit Schwämmen oder Seescheiden sei dies nur begrenzt, wenn überhaupt, möglich. Auch wachsen diese nur sehr langsam. »Das bedeutet, bis man sie abernten kann und die benötigten Mengen an Substanz hat, die man bei einer Zulassung braucht, vergehen Jahrzehnte«, so der Pharmazeut. Bei Mikroorganismen mit ihrem exponenziellen Wachstum sei das ganz anders. »Heute reicht es, wenn man von einem Schwamm ein paar Gramm Biomasse entnimmt. Daraus kann man Hunderte von Mikroorganismen isolieren und auf ihre Wirkung hin untersuchen.«

Und noch ein Pluspunkt: Bei Mikroorganismen lassen sich laut Proksch Gene, die für die Biosynthese einer bestimmten Substanz stehen, leichter identifizieren. »Bei ihnen sind die Gene, die für die Produktion einer Substanz erforderlich sind, hintereinander auf dem Chromosom angeordnet, in sogenannten Clustern. Bei Makroorganismen sind sie häufig verstreut und liegen an unterschiedlichen Stellen eines Chromosoms oder auf verschiedenen Chromosomen.« Es sei bei Bakterien also einfacher, solche Gen-Cluster zu finden, zu isolieren und dann möglicherweise auf einen leichter zugänglichen Mikroorganismus wie E. coli zu übertragen. »Wenn man die Gene hat, kann man versuchen, sie gezielt zu verändern und dadurch bestimmte Eigenschaften der Substanzen zu optimieren.«

Doch bei aller Technik und allem Fortschritt: Unter Wasser müssen sich Forscher auf der Suche nach neuen Wirkstoffen noch immer begeben. »Der Zugang zum Meer ist nach wie vor essenziell«, sagt Proksch.

 

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