Probleme bei einer freien Rezepturverordnung? Besser man hält sich an standardisierte Rezepturvorschriften. / © Adobe Stock/Peter Atkins
Manche Medikamente gibt es nicht von der Stange – dann können Rezepturarzneimittel eine Option sein. »Der Schlüssel zur qualitativ hochwertigen Anfertigung und somit auch zum Therapieerfolg ist die Magistralrezeptur«, sagte Dr. Stefanie Melhorn, Leiterin Pharmazeutisches Laboratorium des NRF, bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Dermopharmazie.
»Die ›Standardisierten Rezepturen‹ für Ärzte im NRF haben eine wichtige Funktion in der pharmazeutischen Qualitätssicherung solcher Arzneimittel, die mangels geeigneter Fertigarzneimittel im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit rezepturmäßig verschrieben werden. Vor allem in der dermatologischen Behandlung können so therapeutische Nischen abgedeckt und individuell angepasst werden.« Individuell komponierte Rezepturarzneimittel seien immer noch ein wichtiger Eckpfeiler in der Therapie besonderer Personengruppen wie Kinder, Senioren oder bei Unverträglichkeiten oder seltenen Erkrankungen.
Dass der Großteil der Anfragen Dermatika betreffe, sei wenig überraschend. Sei doch neben der Auswahl des geeigneten Wirkstoffs und dessen Konzentration die Wahl einer passenden Grundlage entscheidend für die therapeutische Wirksamkeit. »Schließlich beeinflusst die galenische Zusammensetzung nicht nur die Freisetzung und Penetration des Wirkstoffs, sondern trägt – abhängig von Lokalisation und Krankheitsstadium – wesentlich zum Behandlungserfolg bei«, so die Apothekerin.
Die Online-Recherche der Apothekenteams sei ein gutes Barometer dafür, wo der Rezepturschuh im Apothekenalltag drückt. Es sei ein wenig ernüchternd, dass sich seit Jahren der Wirkstoff Erythromycin unter den Top 3 der Suchbegriffe befindet. »Ein Lokalantibiotikum, das wir in der Therapie eigentlich gar nicht mehr haben wollen. Jedoch ist der Recherchebedarf insofern nachvollziehbar, dass Erythromycin aus galenischer Sicht kein schöner Wirkstoff ist und schwer zu verarbeiten ist«, so die Referentin. Die am häufigsten recherchierten Suchbegriffe fasst der Kasten zusammen.
Melhorn betonte, dass der Austausch mit den Apotheken und Praxen für ihre Arbeitsgruppe auch eine wichtige Quelle sei, um therapeutische Lücken in der Praxis zu eruieren. Bietet das doch die Chance, den Bedarf für »Unmet Needs«, also neue Rezepturvorschriften, zu erkennen – mit dem Ziel eine einheitliche, sichere und nachvollziehbare Rezepturvorlage zu entwickeln. Dabei seien die konkreten Onlineanfragen per vorgedrucktem Formular sehr wertvoll.
Regelrecht überschüttet würde das NRF-Laboratorium derzeit mit Anfragen bezüglich des Produktes Pigmanorm® der Firma Widmer (bestehend aus 50 mg Hydrochinon, 1 mg Tretinoin, 10 mg Hydrocortison pro g), weil es außer Vertrieb gegangen ist. »Die Apothekenteams treten nun mit der Bitte an uns heran, ob wir nicht eine standardisierte Ersatzrezeptur entwickeln können, nach der die Hautärzte künftig verordnen können«, berichtete die Rezepturexpertin von ihrem NRF-Alltag.
Hydrochinon ist das Mittel der Wahl für die Therapie des Melasmas – eine der häufigsten Formen von Pigmentstörungen, die vor allem Frauen im gebärfähigen Alter betrifft. Pigmanorm war das einzige Hydrochinon-haltige Fertigarzneimittel.
Produktentwicklung benötigt Zeit – das wurde aus den Schilderungen Melhorns deutlich. Die drei Wirkstoffe »einfach zusammenzumischen«, sei nicht ohne Weiteres möglich. »Hydrochinon und Tretinoin sind oxidationsanfällige Wirkstoffe, weshalb die Stabilität sichergestellt werden muss. Als zusätzlich problematisch stellte sich ihre kristalline Eigenschaft heraus. Sie lösen sich nicht in einer Cremegrundlage. Man will ja keinen Peelingeffekt auf der Haut.«
Auch die im niederländischen Rezepturformularium standardisierte Tretinoin-Hydrochinon-Creme auf Basis einer anionischen hydrophilen Creme mit Ethanol-Zusatz sei eine »verdammt komplexe Rezeptur«. Um einen stabilen Ansatz herzustellen, bedürfe es dreier Antioxidanzien – Butylhydroxytoluol, Natriumedetat und Natriummetabisulfit. Dennoch wird derzeit die Kombination mit Hydrocortison von den NRF-Experten geprüft, wie Melhorn berichtete. »Wir checken derzeit die galenische Praktikabilität, die Auswirkungen auf Kompatibilität und Stabilität sind derzeit noch nicht klar. Unser Rat derzeit für die Apotheken: die Zweierkombination zu nutzen, weil sie standardisiert ist, und den Ärzten vorschlagen.«
Seit Sommer neu im NRF aufgenommen werden konnte ein standardisiertes Carbomergel mit Clobetasolpropionat 0,005 % (NRF 11.148.), berichtete die NRF-Leiterin. »Die Rezepturvorschrift ist letztendlich aufgrund des Umstandes entstanden, dass das Betamethasondipropionat-haltige Diprosis® Gel außer Vertrieb gegangen ist. Weil vergleichbare Glucocorticoid-Hydrogele hierzulande nicht verfügbar sind, waren wir gefordert, nach Alternativen zu suchen.«
Weil sich Gele zum Beispiel gut für die Kopfhaut eignen, sind weitere wässrige Carbomergele mit Mometasonfuroat 0,1 % und Prednicarbat 0,08 – 0,25 % für das NRF in Planung. »Nicht wundern«, so Melhorn, »entgegen dem Original sind es opake, nicht durchscheinende Gele, weil der Wirkstoff in der Grundlage suspendiert vorliegt.«
Bereits seit einigen Jahren hat sich die standardisierte Rezepturvorschrift für die hydrophile Prednicarbat-Creme mit Octenidindihydrochlorid (NRF 11.145.) etabliert, und zwar in Konzentrationen für die Pädiatrie und ältere Kinder. »Auch diese Magistralrezeptur ist entstanden aufgrund wiederholter Anfragen in unserer Geschäftsstelle bezüglich Triclosan-Verordnungen für Kleinkinder in Kombination mit Hydrocortison. Da jedoch Triclosan für die Anwendung bei Kleinkindern nicht empfohlen wird, erarbeiteten wir eine Alternative«, so die Referentin.
Octenidindihydrochlorid stellte sich bei der Erarbeitung der Vorschrift nach den Ausführungen Melhorns insofern als problematisch heraus, dass es sich nur sehr langsam in Wasser löst und es sich um eine sehr wasserreiche Cremegrundlage handelt. Zudem zeigt es Unverträglichkeiten mit anionischen Stoffen und Parabenen.
Eine ganz neue Indikation konnte kürzlich bedient werden mit der Ausarbeitung einer Rezepturvorschrift für Simvastatin in topischer Darreichungsform, führte Melhorn aus. Ideengeber sei sozusagen die Klinikapotheke der Universität Freiburg gewesen. »Das Konzept der Cholesterolsenkung auf der Haut macht durchaus Sinn. Auf der Haut wird Simvastatin – in Kombination mit Cholesterol – zur topischen Behandlung der Porokeratose beziehungsweise Hemidysplasie angewendet, einer Verhornungsstörung der Epidermis. Sie tritt im Rahmen des CHILD-Syndroms auf, einer seltenen, genetisch bedingten Erkrankung.«
Laut DAC/NRF wird Simvastatin – mittlerweile als Rezeptursubstanz erhältlich – in Wasser suspendiert und in die jeweilige Grundlage (Basiscreme DAC oder Unguentum Cordes) eingearbeitet. Melhorn gibt zu bedenken, dass die Teilchengrößen bei der Direktverarbeitung von Cholesterol und Simvastatin derzeit noch nicht ideal seien. »Bei beiden Substanzen ist zu beachten, dass sie gut zerkleinert und angerieben werden. Hier arbeiten wir daran und werden den Einsatz des Dreiwalzenstuhls auf jeden Fall vermeiden«, versprach sie.