Wunden richtig versorgen |
Dumm gelaufen – und doch wieder nicht: Die passende Wundauflage unterstützt die Regeneration verletzten Gewebes. / Foto: Adobe Stock/Andrii Oleksiienko
Wunden haben viele Ursachen. Unfälle, Verletzungen oder chirurgische Eingriffe schädigen Gewebe. Bei Wahrnehmungsstörungen wie der diabetischen Neuropathie bemerken Patienten selbst leichte Reizungen nicht, was zu großen Schäden führen kann. Auch Durchblutungsstörungen wie beim gefäßbedingten Ulcus cruris vermindern die Heilung von Läsionen beträchtlich. Für die Beratung ist es wichtig zu wissen, wie die Wunde entstanden ist und ob es sich um eine akute Verletzung oder einen chronischen Prozess handelt.
Der Prozess der Wundheilung verläuft in mehreren Abschnitten, die sich zeitlich überlappen (siehe auch Grafik): die Reinigungs-, die Granulations- und die Epithelisierungsphase. Bereits in den ersten Minuten nach einer Verletzung setzt die Blutstillung ein. Der Gewebefaktor (tissue factor) aktiviert die Gerinnungskaskade, sodass die Wunde zunächst provisorisch verschlossen wird. Zusammen mit der gleichzeitig einsetzenden Vaskonstriktion, also der Verengung von Gefäßen, kommt der Blutfluss zum Erliegen.
In dieser ersten Reinigungsphase, auch Exsudationsphase genannt, wird über typische Mechanismen einer Entzündungsreaktion ein Wundexsudat gebildet, das die Wundregion reinigt. Mit dieser Flüssigkeit werden Zellen des Immunsystems in die defekte Geweberegion geschwemmt und eliminieren dort Zelltrümmer, Fremdkörper und Krankheitserreger. Außerdem geben sie den Impuls zur Reparatur des zerstörten Gewebes. Zudem gelangt Lymphe aus beschädigten Lymphgefäßen in die Region, was zur Schwellung, dem sogenannten Wundödem, führt.
Nach drei bis vier Tagen geht die Exsudationsphase in die proliferative oder Granulationsphase über: Entlang des bereits vorhandenen Netzes aus Fibrin werden Kollagenfasern aufgebaut. Es bilden sich neue Gefäße und extrazelluläre Matrix. Granulationsgewebe, also neues Bindegewebe, füllt die Wunde mehr und mehr auf. Die betroffene Stelle zieht sich zusammen. Signalstoffe sorgen dafür, dass Haargefäße in die betroffene Region einwachsen. Diese Vorgänge finden in etwa bis zum 14. Tag statt.
Die kurzfristige Wundheilung endet mit der Reparatur- oder Epithelisierungsphase: Kollagenfasern wachsen weiter ein, und Epithelzellen gelangen vom Randbereich in die Läsionsstelle. Sie bilden eine neue Deckschicht, die Epidermis. Im Ergebnis entsteht eine Narbe. Da sie keine Melanozyten, also Pigmentzellen, enthält, unterscheidet sie sich von umgebenden Strukturen auch farblich.
Innerhalb von zwei bis drei Jahren laufen fortwährend Remodellierungsprozesse ab. Das Gewebe ist ständigen Umwandlungsvorgängen ausgesetzt. Das Narbengewebe wird fester und verblasst. Frische Narben sind aufgrund vieler Kapillaren rot. Die Zahl feiner Blutgefäße nimmt ab, was zu helleren Strukturen führt. Oberflächliche Wunden, die nur die ehemalige Epidermis betreffen, heilen ohne Narbenbildung.
Die Wundversorgung orientiert sich primär am Erscheinungsbild: Große, stark blutende oder verschmutzte Wunden müssen immer vom Arzt versorgt werden. Er wird Fremdkörper entfernen und – falls erforderlich – Blutgefäße vernähen. Mit Nähten, Klammern oder Klebstoffen werden die Wundränder dann zusammengezogen. Oft erhalten Patienten prophylaktisch noch eine Tetanusspritze.
Die Wunde selbst wird mit sterilem Mull oder sterilen Vlieskompressen abgedeckt und mit einem Sekundärverband fixiert. Klassische Materialien schützen die betroffene Region nicht nur mechanisch. Sie verhindern, dass Keime eindringen. Gleichzeitig saugen sie Exsudate, die beim Heilungsvorgang entstehen, auf. Im Idealfall durchlaufen Wunden alle Heilungsphasen bis zur Bildung einer Narbe.
Beim Verbandswechsel ist äußerste Sorgfalt geboten, um das Granulationsgewebe nicht zu beschädigen. / Foto: Shutterstock/Sherry Yates Young
Das gelingt nicht immer: Schätzungsweise ein bis zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden an schlecht heilenden, chronischen Wunden. Seit den 1960er-Jahren haben feuchthaltende Verbandsstoffe deren Behandlung deutlich verbessert. Das gilt vor allem für Wundheilungsphasen, bei denen Exsudate oder Sekrete entstehen. Hinzu kommt: Im feuchten Milieu bildet sich leichter neues Gewebe. Für diese sogenannte Sekundärheilung gibt es unterschiedliche Materialien:
Wer lange wandert oder mit neuem Schuhwerk unterwegs ist, kennt noch ein anderes Problem: Durch die mechanische Beanspruchung und die Wärme verschieben sich verschiedene Hautschichten gegeneinander. Hohlräume entstehen und füllen sich mit Gewebswasser: Die typische Blase hat sich gebildet, und jeder Schritt schmerzt.
Das ist normalerweise kein Grund zur Besorgnis. Wegen der Infektionsgefahr sollten Blasen nicht angestochen werden. Zur Abdeckung eignen sich Pflaster auf Basis der Hydrokolloid-Technologie, um sofort wieder mobil zu sein und sich uneingeschränkt bewegen zu können. Deshalb sollten sie in keinem Rucksack und keiner Handtasche fehlen. Patienten mit Diabetes mellitus oder mit chronisch-venöser Insuffizienz sei geraten, sofort zum Arzt zu gehen, weil chronische Wunden drohen.
Hat sich eine Wunde infiziert, verzögert das die Heilung. In 60 bis 90 Prozent aller chronischen Wunden findet man Studien zufolge Biofilme, also Schichten aus Keimen, Polysacchariden und Pilzen. Innerhalb dieser Zone kommunizieren die vorhandenen Erreger chemisch über Signalstoffe miteinander. Bei diesem »Quorum sensing« sprechen sich die Keime regelrecht ab und koordinieren ihre weitergehende Struktur im Verbund. Prblematisch: Mit Antibiotika sind Bakterien in diesem höher organisierten Verband kaum noch angreifbar.
Biofilme stellen ein medizinisches Problem dar. Sie schützen die darin eingebetteten Bakterien vor dem Immunsystem und machen sie unempfindlicher gegen Antibiotika. / Foto: CDC
Solchen Belägen kommt man nur mit dem sogenannten Débridement bei, der Wundtoilette, bei der chirurgische Instrumente die Beläge mechanisch abtragen. Danach kommen funktionale Wundauflagen zum Einsatz. Sie enthalten beispielsweise das Antiseptikum Polyhexanid. Es hat ein deutlich breiteres Wirkungsspektrum als PVP-Iod, Octenidin oder Chlorhexidin und wird von Wunden nicht resorbiert. Silber wirkt in Wundauflagen ebenfalls antimikrobiell.
Octenidin ist ohnehin nur zur oberflächlichen Anwendung bestimmt und sollte mittels Tupfer oder Aufsprühen aufgetragen werden. Es darf nicht mit einer Spritze in tiefere Gewebeschichten eingebracht werden, denn der Kontakt tiefer Wunden mit Octenidin birgt das Risiko schwerer toxischer Gewebeschäden.
Débridements und moderne Wundauflagen kommen vor allem bei chronischen Wunden zum Einsatz: Das offene Bein, fachsprachlich Ulcus cruris venosum genannt, geht auf eine chronisch-venöse Insuffizienz zurück. Durch defekte Venenklappen steigt der Druck in diesen Blutgefäßen, und Kapillaren nehmen Schaden. Gewebe im Bereich der Knöchel und des Unterschenkels wird nicht mehr richtig durchblutet. Es beginnt, langsam abzusterben. Diese Mikroangiopathie gilt heute als Hauptursache eines offenen Beins.
Zur Therapie setzen Ärzte auf drei grundlegende Strategien. Sie reinigen offene Wunden chirurgisch, um bakterielle Biofilme oder Fibrinbeläge zu entfernen. Nach diesem Débridement kommen feuchte Wundauflagen zum Einsatz. Und bei der Kompressionstherapie erhöhen Ärzte den lokalen Druck auf venöse Blutgefäße im Bein. Das gelingt postoperativ durch Bandagieren des Beines mit Kompressionsbinden und später durch Kompressionsstrümpfe.
Die Versorgung chronischer Wunden etwa infolge eines Diabetischen Fußes muss ein Podologe übernehmen. / Foto: Shutterstock/Kirov1976
Ähnlich komplex ist die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms (DFS) mit chronischen, schlecht heilenden Wunden am Fuß. Durch Nervenschädigungen bei der diabetischen Neuropathie nehmen Patienten Schmerzen nur noch eingeschränkt wahr – und Bagatellverletzungen wie das Steinchen im Schuh können unentdeckt zu tiefen Wunden führen. Angiopathien, also Durchblutungsstörungen aufgrund der Stoffwechselerkrankung, verzögern die Wundheilung. Das führt in Summe zu chronischen Wunden.
Chirurgen reinigen auch hier die betroffene Stelle per Débridement und versorgen sie mit Wundauflagen. Zur Druckentlastung erhalten Patienten einen individuell angepasster Steifverband, den Total Contact Cast. Ohne mechanische Beanspruchung heilen diabetische Fußulzera meistens ab. Darüber hinaus versuchen Diabetologen, die Stoffwechselsituation ihrer Patienten zu verbessern. Dauerhaft normnahe Blutzuckerwerte sind anzustreben. Sie schulen Betroffene, damit diese lernen, ihre Füße regelmäßig zu inspizieren, auf geeignetes Schuhwerk und geeignete Strümpfe zu achten beziehungsweise nicht barfuß zu laufen. Tipps, die auch in jedem Beratungsgespräch in der Apotheke willkommen sind.
Schlecht heilende Wunden sind nicht nur ein Thema älterer Menschen. Kinder sind besonders gefährdet, Verbrennungen und Verbrühungen zu erleiden. Jährlich werden mehr als 30.000 kleine Patienten in Deutschland aufgrund thermischer Schädigungen der Haut ärztlich behandelt.
Knapp 6000 von ihnen sind so schwer verletzt, dass sie stationär therapiert werden. Das liegt einerseits am hohen Unfallrisiko, andererseits aber auch an ihrer vergleichsweise noch dünnen und empfindlicheren Haut.
Ärzte teilen Verbrennungen und Verbrühungen anhand des Schweregrads ein:
Kleine, leichtere Verbrennungen sollten sofort für 20 Minuten mit Leitungswasser gekühlt werden. Bei schwerwiegenden Verbrennungen ist nach der Abdeckung mit sterilen Materialien sofort ein Arzt zu Rate zu ziehen, gegebenenfalls sogar ein Notarzt. In dieser Phase sind jegliche Medikamente wie Brandsalben auf der Wunde tabu.
Sollten Patienten aufgrund der Hitze und der Rauchgase bei einem Brand ein Inhalationstrauma erlitten haben, werden Beta-2-Sympathomimetika zur Erweiterung der Bronchien gegeben. Und bei großflächigen Verbrennungen erhalten Patienten Infusionen wie Ringer-Acetat-Lösung. In der Klinik selbst versuchen Chirurgen, verbranntes Gewebe möglichst schnell zu entfernen. Es wirkt nicht nur als Eintrittspforte für Mikroorganismen, sondern erhöht auch das Risiko für Sepsis und Multiorganversagen. Bald darauf erhalten Patienten parenteral oder enteral hochkalorische Nahrung. Ihr Grundumsatz ist deutlich erhöht
Nach dieser Akutphase erhalten Patienten Hauttransplantationen, um Wunden zu decken. Gewebe wird am Oberschenkel oder an sonstigen, von Kleidung bedeckten Stellen entnommen. Man unterschiedet die Transplantation von Vollhaut, also Epidermis und Dermis, von der Spalthaut-Transplantation, bei der nur die Dermis übertragen wird. Um Nekrosen zu verhindern, verbinden Operateure Blutgefäße mikrochirurgisch. Die Entnahmestelle selbst wird wie eine Schürfwunde versorgt und heilt meistens gut ab.
Doch das Verfahren ist schmerzhaft und kostet viel Zeit. In Zukunft hoffen Ärzte, Wunden mit Implantaten aus 3D-Druckern zu schließen. Daran forschen etwa Biologen am Wake Forest Institute for Regenerative Medicine (WFIRM) aus Winston-Salem, North Carolina. Basis ihrer Studie sind Biopsien der Haut vom jeweiligen Patienten. Daraus wurden Fibroblasten und Keratinozyten isoliert. Die Zellen lassen sich im Labor gut vermehren. Zusammen mit einem Hydrogel entsteht eine »Tinte« für Bioprinter. Bildgebende Verfahren tasten die Wunde ab, und der Drucker trägt Schichten mit lebenden Hautzellen passgenau auf. Bislang wurde das Verfahren nur in Tiermodellen getestet, doch klinische Studien sollen folgen. Die Forscher sehen im 3D-Druck Potenzial, um Patienten schmerzhafte Hauttransplantationen zu ersparen.
Das ist die Zukunft: Haut aus dem 3D-Drucker soll irgendwann schmerzhafte Hauttransplantationen ersetzen können. / Foto: Adobe Stock/iaremenko
Noch einen Schritt weiter gingen Wissenschaftler des Rensselaer Polytechnic Institute aus Troy, New York. Ihre »Tinte« enthielt zusätzlich Endothelzellen, welche das Innere von Blutgefäßen bilden, und Perizyten, welche an der Außenwand von Blutkapillaren zu finden sind. Damit soll sichergestellt werden, dass die neue Haut ausreichend viele Blutgefäße bildet. Bis wann Patienten von 3D-Verfahren profitieren, lässt sich derzeit aber nicht sagen.
Ärzte des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil haben die Praxistauglichkeit eines anderen Verfahrens längst belegt. Sie isolierten Stammzellen aus der Haut und veränderten im Labor ein Gen. Dies war erforderlich, weil ihr Patient nicht an Verletzungen, sondern an einer erblichen Hautkrankheit, der Epidermolysis bullosa, litt. Die Haut ist bei betroffenen »Schmetterlingskindern« so empfindlich wie ein Flügel des namensgebenden Insekts. Demensprechend schnell treten Verletzungen auf. Die Stammzellen wuchsen im Labor zu Hautlappen heran und wurden dann übertragen: ein Verfahren, das sich bei Patienten mit stark zerstörter Haut ohne Erbkrankheit ebenfalls eignet, wie die Wissenschaftler belegen konnten.
Beiersdorf-Mitarbeiter des Forschungslabors 1914 / Foto: Beiersdorf
Ab 1880 entwickelten der Apotheker Paul Carl Beiersdorf (1836 – 1896) und der Dermatologe Paul Gerson Unna (1850 – 1929) in Hamburg neue Verbandsstoffe, unter anderem den Guttapercha-Mull. Guttapercha, ein kautschukartiger Stoff, sollte Baumwollgewebe abdichten, um leichter topische Wirkstoffe zu applizieren. Oscar Troplowitz (1863 – 1918) erwarb die 1882 gegründete »Fabrik dermotherapeutischer Präparate«, heute als Beiersdorf AG bekannt. Er war ebenfalls Apotheker. Auf Troplowitz gehen Leukoplast® und Hansaplast® zurück.