Wundermittel aus dem Ayurveda? |
Ashwagandha werden viele Wirkungen zugeschrieben. Studien legen nahe, dass ein Extrakt aus der Pflanze den Schlaf ein klein wenig verbessern könnte. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Die Schlafbeere wird als Superbeere, Powerpflanze und Geheimtipp gegen Stress beworben. Ihr wissenschaftlicher Name ist Withania somnifera, im Sanskrit heißt sie Ashwagandha. Wegen der ihr zugeschriebenen Wirkungen wird sie mit dem Ginseng verglichen und ist im Volksmund auch als Indischer Ginseng bekannt. Die Pflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) ist in den trockenen Gebieten der tropischen und subtropischen Zone, von den Kanaren über die Mittelmeerregion und Nordafrika bis Südwestasien verbreitet. Es handelt sich dabei um einen kleinen, immergrünen Strauch mit einer Höhe von bis zu zwei Metern und gelbgrünen Blüten. Auffallender als die Blüten sehen die ungenießbaren, leuchtend roten Beerenfrüchte aus. Die als Heilmittel angewendeten Wurzeln sind reich an verschiedenen Alkaloiden und Withanoliden, das sind vom Ergostan abgeleitete Steroide. Withanolid A ist eine der Hauptkomponenten in den Wurzeln.
Ashwagandha ist eine der bedeutendsten Pflanzen im Ayurveda und wird dort seit über 3000 Jahren verwendet. Traditionelle Anwendungsgebiete sind Bronchitis, Dyspepsie, Impotenz, Krätze und Geschwüre. Auch bei Altersgebrechen, Impotenz, Entzündungen und Schlaflosigkeit kommt sie zum Einsatz, des Weiteren als Tonikum und Aphrodisiakum. Die Schlafbeere soll beruhigend wirken, sich positiv auf die Gehirnleistung auswirken und die Energie steigern. In Europa unterliegen Zubereitungen aus der Wurzel von Withania somnifera nicht der Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/2283. Sie können daher als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel (NEM) in Verkehr gebracht werden. Auf dem deutschen Markt beobachtet man derzeit eine zunehmende Menge an NEMs mit Ashwagandha. Dabei handelt es sich meistens um gepulverte Droge, mit der Säfte, Smoothies, Müslis oder Tees angereichert werden können, oder um Kapselprodukte. Auch ausgefallene Darreichungsformen wie Gummibärchen gibt es.
Die wissenschaftliche Evidenz für die mutmaßlichen Wirkungen ist schwach. Auch gibt es keine von der Europäischen Kommission zugelassenen Health Claims. Um trotzdem mit gesundheitsbezogenen Angaben werben zu können, ergänzen NEM-Hersteller ihre Ashwagandha-Produkte häufig mit weiteren Heilpflanzen-Extrakten, zum Beispiel aus Passionsblume, Lavendel und Melisse (wie in Salus® Neuro Balance Ashwagandha Kapseln) oder Mikronährstoffen, für die es zugelassene Health Claims gibt (siehe Tabelle). Verbrauchern kann es so erscheinen, dass sich die Wirkversprechen auf der Verpackung auch auf Ashwagandha beziehen.
Zu beachten ist, dass es für Radix Withaniae eine Positivmonografie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt. Die WHO gibt darin Dosierungsempfehlungen für die arzneiliche Anwendung als Anti-Stress-Mittel. Einheitliche Vorgaben zur Anwendung als NEM existieren jedoch nicht. Laut den Angaben verschiedener Hersteller sollen Erwachsene Ashwagandha täglich in Dosen von bis zu 1000 mg und höher einnehmen. Einige schränken die Anwendungsdauer auf acht Wochen ein. Die wenigen vorliegenden Studien am Menschen umfassen nur kleine Probandengruppen und sind oft von eher schlechter Qualität. Es wurden darin unterschiedliche Zubereitungen aus der Ashwagandha-Wurzel eingesetzt, was die Vergleichbarkeit erschwert. In einer häufig zitierten, randomisierten, doppelblinden placebokontrollierten Studie aus Hyderabad, Indien, wurde beispielsweise 2012 untersucht, inwiefern ein hochkonzentrierter Vollspektrum-Extrakt aus Ashwagandha-Wurzeln (zweimal täglich 300 mg) Stress und Angst reduzieren kann. Über einen Zeitraum von 60 Tagen nahmen 64 Probanden mit chronischem Stress in der Vorgeschichte entweder den Extrakt oder Placebo ein. In der Ashwagandha-Gruppe besserte sich die Stressresistenz.
In einer Studie aus 2019 untersuchten Wissenschaftler aus Australien und Indien die anxiolytischen Wirkungen auf Erwachsene mit selbstberichtetem hohen Stress. In ihre 60-tägige, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie schlossen sie 60 Erwachsene ein. Die Probanden erhielten nach dem Zufallsprinzip einmal täglich entweder ein Placebo oder 240 mg eines standardisierten Ashwagandha-Extrakts. Im Vergleich zum Placebo reduzierte Ashwagandha die Werte bei Depressions-, Angst- und Stressskalen.
Traditionell wird Ashwagandha auch eingesetzt, um den Schlaf beziehungsweise die Schlafqualität zu verbessern. Darauf deutet auch ihr wissenschaftlicher Name hin: »Somnifera« stammt aus dem lateinischen und bedeutet »schlafbringend«. Im Jahr 2021 untersuchten Wissenschaftler aus Malaysia im Rahmen eines Reviews die Wirkung von Ashwagandha-Extrakt auf den Schlaf im Vergleich zu Placebo. Es wurden fünf randomisierte, kontrollierte Studien mit 400 Teilnehmern eingeschlossen. Ashwagandha-Extrakt zeigte eine kleine, aber signifikante Wirkung auf den Gesamtschlaf. Die Auswirkungen auf den Schlaf waren ausgeprägter in der Untergruppe der Erwachsenen mit diagnostizierter Schlaflosigkeit, einer Behandlungsdosis von mindestens 600 mg/Tag und einer Behandlungsdauer von mindestens acht Wochen.
Es gibt Hinweise auf weitere potenzielle Wirkungen. In einem systematischen Review aus 2021 erklärten kolumbianische Wissenschaftler, dass Ashwagandha die körperliche Leistungsfähigkeit von gesunden Männern und Frauen verbessern könne (DOI: 10.3390/jfmk6010020). In einer aktuellen Studie aus Indien, die 2022 veröffentlicht wurde, steigerte die Einnahme von zweimal täglich 300 mg Ashwagandha-Wurzelextrakt in Verbindung mit einem Widerstandstraining die Muskelmasse und -kraft signifikant.
Hinweise gibt es auch, dass Ashwagandha niedrige Testosteron-Werte erhöhen und die Spermienqualität unfruchtbarer Männer verbessern könnte. Auch einem kognitiven Rückgang im Zuge von Alterungsprozessen soll der Indische Ginseng entgegenwirken können. Weiterhin werden der Pflanze krebshemmende, entzündungshemmende, antidiabetische, antimikrobielle, antiarthritische, neuroprotektive, kardioprotektive, hepatoprotektive und immunmodulatorische Eigenschaften zugeschrieben. Insgesamt sind sich aber die meisten Wissenschaftler einig, dass noch weitere, groß angelegte Studien erforderlich sind, um die klinische Wirksamkeit zu bestätigen.
Bestandteil | Beispiele für zugelassene Health Claims |
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Vitamin B1 (Thiamin) |
trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei trägt zur normalen psychischen Funktion bei |
Vitamin B2 (Riboflavin) |
trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei |
Vitamin B6 |
trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei trägt zur normalen psychischen Funktion bei |
Vitamin B12 |
trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei Vitamin E trägt dazu bei, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen |
Magnesium |
trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei |
Niacin |
trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei |
Zink |
trägt dazu bei, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen trägt zu einer normalen kognitiven Funktion bei |
Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt als tägliche Aufnahmemengen für eine arzneiliche Nutzung drei bis sechs Gramm der getrockneten, gepulverten Wurzel an. In Studien werden oft (standardisierte) Extrakte eingesetzt. Da die Hersteller von NEM den Gehalt von Leitsubstanzen nicht nachweisen müssen, sind Rückschlüsse auf enthaltene Wirkstoffe und die tatsächliche Wirksamkeit schwierig. Erschwerend kommen die unterschiedlichen Zubereitungsarten wie Pulver aus getrocknetem Pflanzenmaterial oder verschiedene Extrakte hinzu, Daten zur Herstellung und der genauen Zusammensetzung liegen meist nicht vor. Die Kenntnisse zur Sicherheit der Präparate sind begrenzt. In den wenigen Humanstudien wurden die möglichen unerwünschten Wirkungen oft nicht systematisch erfasst. Daten zur langfristigen Sicherheit liegen nicht vor.
NEM-Hersteller nennen bisweilen als mögliche Nebenwirkungen Durchfall, Erbrechen, Übelkeit oder Kopfschmerzen. Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gebe es darüber hinaus Hinweise darauf, dass Withania-Präparate den Eisenstoffwechsel beeinflussen könnten. Auch schreiben die Autoren in der Publikation »Risikobewertung von Pflanzen und pflanzlichen Zubereitungen« aus 2012, dass unter anderem hypoglykämische Effekte und ein Einfluss auf die Schilddrüsenhormone diskutiert würden.
Schwangere und Stillende sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen die NEM nicht oder nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt einnehmen. Zu beachten ist, dass Ashwagandha in der traditionellen Medizin auch als Abtreibungsmittel angewendet wurde. Bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus, rheumatischer Arthritis, Typ-1-Diabetes und Funktionsstörungen der Schilddrüse raten einige Hersteller vor der Einnahme ab. Die WHO-Monografie weist noch auf mögliche Wechselwirkungen hin. So könne die Rohdroge die Wirkung von Barbituraten verstärken und die Wirkung von Diazepam und Clonazepam reduzieren. NEM-Hersteller weisen nur selten auf Wechselwirkungen hin.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht valide belegen lässt, dass die Einnahme von Ashwagandha-Wurzelextrakt einen Gesundheitsnutzen mit sich bringt. Auf der Gegenseite ist das Risiko- und Nebenwirkungspotential noch relativ unerforscht.