Zahnseide statt Spritze? |
In Zukunft könnten Impfstoffe mithilfe von Zahnseide appliziert werden. Daran arbeitet ein Forschungsteam aus Texas. / © Getty Images/HUIZENG HU
Die meisten Impfstoffe werden gespritzt, zum Teil wird aber auch der Applikationsweg über die Schleimhaut gewählt. Infrage kommen dafür etwa die Nase für eine Impfung per Nasenspray oder der Magen-Darm-Trakt bei einer Schluckimpfung. Eine neue Applikationsart entwickelt derzeit ein Team um Rohan Ingrole von der Texas Tech University in Lubbock: Es nutzt als Route die schmale Vertiefung zwischen dem Zahnfleisch (Gingiva) und dem Zahn, den sogenannten Sulcus gingivalis.
Das dortige Saumepithel besitzt eine hohe Durchlässigkeit, weshalb die Forschenden es zur Immunisierung gegen Grippeviren nutzen wollen. Den spritzenfreien Impfansatz stellt das Team im Fachjournal »Nature Biomedical Engineering« vor.
Sie präparierten zunächst Zahnseide mit einem fluoreszenzmarkierten Protein und behandelten damit die Zähne von Mäusen. Dies sei eine »ziemlich schwierige« Aufgabe für zwei Personen gewesen, berichtet Seniorautor Professor Dr. Harvinder Singh Gill in einem Newsbeitrag des Journals »Science«: Eine Person zog vorsichtig den Kiefer der Maus nach unten, während die andere die Zahnseide anwendete. Die Mühe lohnte sich offenbar, denn 75 Prozent des fluoreszenzmarkierten Proteins gelangte erfolgreich in das Zahnfleisch der Tiere.
Als nächstes präparierte das Team die Zahnseide mit inaktivierten Grippeviren. Über einen Zeitraum von 28 Tagen behandelten die Wissenschaftler 50 Mäuse alle zwei Wochen mit der beschichteten Zahnseide. Vier Wochen nach der letzten Dosis infizierten sie die Mäuse mit Influenza. Alle geimpften Mäuse überlebten, während alle ungeimpften Mäuse starben. Mit der Zahnseide-basierten Impfung konnten neben inaktivierten Viren auch Proteine, Peptid-präsentierende immunogene Nanopartikel und Messenger-RNA (mRNA) verabreicht werden.
In einem weiteren Versuch statteten die Forschenden Goldnanopartikel mit einem Proteinschnipsel (Peptid) aus dem Matrix-2-Protein eines humanen Influenzavirus aus und präparierten damit Zahnseide. Die Immunisierung von Mäusen mit dieser Nanopartikel-Zahnseide stimulierte die lokalen Lymphknoten, erhöhte die CD4⁺-T-Zell-Zahlen in Lymphknoten, Lunge und Milz und steigerte antikörperproduzierende Zellen im Knochenmark. Insgesamt ähnelte die Immunantwort auf die Zahnseiden-Impfung jener von nasalen Impfstoffen wie Fluenz® und war unabhängig von Alter der Tiere und der Nahrungs- oder Wasseraufnahme.
Um zu testen, ob der Ansatz auch bei Menschen funktioniert, behandelte das Team Freiwillige zwischen 18 und 50 Jahren mit Zahnseide-Sticks mit fluoreszierendem Farbstoff. Etwa 59 Prozent der Markersubstanz, die auf dem Stick aufgetragen war, ging in das Zahnfleisch über, was die klinische Machbarkeit belegt.
Die Forschenden gehen davon aus, dass die Zahnseide-basierte Impfung in Zukunft eine einfache, nadelfreie Impfstrategie darstellen könnte. Hierzu ist aber noch einige Forschungsarbeit nötig, so zum Beispiel zu der Frage, wie die Mundgesundheit und etwa Zahnfleischerkrankungen sich bei diesem Ansatz auf die Impfstoffwirksamkeit auswirken.