Zahnspangen – Biss für die Zukunft |
Zahnspangen gehören heute zum Alltag vieler Kinder und Jugendlicher. / Foto: Getty Images/Yasser Chalid
In Deutschland befindet sich Schätzungen zufolge mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in kieferorthopädischer Behandlung. Meist beginnt sie mit Eintritt in die späte Wechselgebissphase, etwa ab dem neunten bis zehnten Lebensjahr, wenn mindestens ein bleibender Eck- oder Backenzahn durchgebrochen ist. Zumeist dauert die Behandlung 36 Monate.
Bis zum 18. Geburtstag übernehmen die Krankenkassen die Kosten, wenn die Zahn- oder Kieferfehlstellung das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Ob dies der Fall ist, ermittelt der Kieferorthopäde mithilfe der kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG), die 2002 eingeführt wurden (siehe Kasten). Fällt der Zustand des Gebisses in die KIG 3 bis 5, löst das einen Anspruch auf Kostenübernahme aus. Beim ersten Kind bezahlen die Krankenkassen zunächst 80 Prozent der Kosten, bei jedem weiteren sind es 90 Prozent. Den Rest erstattet die Krankenkasse, wenn die Behandlung erfolgreich zu Ende gebracht wurde.
KIG 1 = Leichte Zahnfehlstellungen
KIG 2 = Geringe Zahnfehlstellungen
KIG 3 = Ausgeprägte Zahnfehlstellungen
KIG 4 = Stark ausgeprägte Zahnfehlstellungen
KIG 5 = Extrem stark ausgeprägte Zahnfehlstellungen
Viele Kinder starten zunächst mit einer herausnehmbaren Zahnspange. Sie besteht aus einem Kunststoff-Mittelstück mit eingearbeiteten Klammern. Die Zahnspange liegt an der Innenseite der Zähne an und dehnt den Kiefer langsam in die gewünschte Position. Für den nachhaltigen Erfolg muss ein Kind die Spange möglichst viele Stunden pro Tag tragen, was durchaus schwerfällt. Die Zahnspange stört beim Sprechen und Essen, sieht blöd aus oder wird als Fremdkörper wahrgenommen. Am Ende beschränkt sich die Tragezeit meist nur noch auf nachts, womit der Erfolg entsprechend mäßig ausfällt.
Bei den meisten Kindern folgt nun eine festsitzende Spange. Dafür verklebt der Kieferorthopäde auf jedem Zahn ein Halteplättchen aus Metall (Bracket), durch das anschließend ein Drahtbogen geführt wird. Brackets und Drahtbogen üben einen so starken Druck auf die Zähne aus, dass diese sich in die ideale Position bewegen. Der wesentliche Vorteil fester Zahnspangen liegt darin, dass das Kind sie nicht ablegen kann. Das verkürzt die Behandlungsdauer. Mitarbeiten müssen die Kinder trotzdem, denn die tägliche Mundhygiene wird aufwendiger.
Während lose Zahnspangen einfach zweimal täglich mit einer Zahnbürste und etwas Zahnpasta geschrubbt werden, gehört bei den festen Spangen jeder Draht einzeln gereinigt. Am besten gelingt das mit einer Interdentalbürste, die auch unter die Drähte passt. Für eine gründliche Reinigung können lose Zahnspangen zusätzlich einmal pro Woche für 30 Minuten in ein 1:1-Gemisch aus Wasser und Essig gelegt werden. Über den Nutzen fertiger Reinigungstabletten streiten Kieferorthopäden. Einige befürchten dadurch Schäden an der Spange, andere halten sie für unbedenklich.
Zahnspangen und Brackets gibt es heute in allen möglichen Farben. Kinder können das Mittelstück mit einem Wunschmotiv versehen lassen. Die Brackets können aus Keramik gefertigt und der Zahnfarbe angepasst oder unsichtbar auf der Innenseite der Zähne verklebt werden. Das soll die Motivation und Mitarbeit bei der Therapie erhöhen. Die Kosten dafür tragen die Eltern. Die Kassen übernehmen nämlich nur die sogenannte Regelverordnung, und das bedeutet lediglich die typisch metallischen Zahnspangen. Neue Alternativen wie die sogenannten Aligner zahlen Patienten vollständig aus eigener Tasche.
Aligner sind dünne, transparente Kunststoffschienen, die vor den Zähnen liegen und 22 Stunden täglich getragen werden. Zu Beginn der Behandlung ermittelt der Arzt die ideale Zahnstellung und fertigt darauf abgestimmt eine große Anzahl einzelner Schienen an, die etwa alle zwei Wochen gewechselt werden. Die Behandlungsdauer richtet sich nach der Schwere der Fehlstellung und kann zwischen sechs und 36 Monaten liegen. Das wirkt sich auf die Kosten aus: Der Hersteller Invisalign nennt einen Preisrahmen zwischen 2000 und 6500 Euro. Beliebt sind Aligner vor allem bei Erwachsenen, da sie preislich einer festen Zahnspange ähneln, aber optisch weniger auffallen.
Die Krankenkassen geben Jahr für Jahr mehr für kieferorthopädische Maßnahmen aus. Die hkk Krankenkasse spricht von einer Verdoppelung der Kosten pro Patient in der Zeitspanne von 2008 bis 2016. Das Jahrbuch der kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung nennt für das Jahr 2018 eine Gesamtsumme von rund 1,15 Milliarden Euro.
Ob diese Ausgaben medizinisch gerechtfertigt sind, wurde in den vergangenen Jahren wiederholt in Frage gestellt. Zuletzt kritisierte der Bundesrechnungshof 2018 die intransparente Datenlage zur kieferorthopädischen Versorgung sowie den unzureichenden Forschungsstand zur Versorgungslage und -notwendigkeit. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit untersuchte daraufhin das IGES-Institut den Nutzen von Zahnspangen für die Mundgesundheit. Das Gutachten zeigt, dass schief stehende Zähne, ein Überbiss oder Zahnlücken über die Jahre in die richtige Form gebracht werden können, wodurch sich die Lebensqualität der Patienten verbessert.
Dies wäre jedoch ein rein kosmetischer Nutzen. Die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V. weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass Zahnspangen auch späteren medizinischen Problemen vorbeugen. Dazu gehöre Karies und Parodontitis durch zu eng stehende Zähne oder die Vermeidung eines möglichen Frontzahntraumas bei einem Sturz, wenn die Schneidezähne stark nach vorn stehen. Das IGES-Gutachten konnte dies nicht bestätigen. Die Forscher fanden nur wenige, sehr heterogene Untersuchungen, die langfristige Auswirkungen erfasst haben.
Komplett ausschließen wollen die Autoren einen langfristigen Nutzen für die Mundgesundheit dennoch nicht. »Auch, wenn wir keine Belege für einen Nutzen der Kieferorthopädie bei Zahnfehlstellungen gefunden haben, mag es ihn doch geben. Das Erfahrungswissen der Kieferorthopäden aus jahrelangen Anwendungen steht in auffallendem Gegensatz zu einem Mangel an Belegen aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Um klarer zu sehen, brauchen wir daher dringend weitere, zielführend angelegte Studien. Diese sind jedoch methodisch herausfordernd«, kommentiert Dr. Holger Gothe, Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES-Institut und Studienautor, die Projektergebnisse.
Kritik üben auch Dr. Bernard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) und Dr. Alexander Spassov, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. Sie haben die Studie »Kieferorthopädische Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Spiegel von Routinedaten (2012–2017)« im Auftrag der hkk Krankenkasse erstellt. Zahlreiche diagnostische Untersuchungen und therapeutische Maßnahmen würden ohne Notwendigkeit routinemäßig erbracht. Dazu gehöre zum Beispiel das Röntgen, die Versorgung mit losen Spangen vor einer festen Spange oder die Behandlungsdauer von bis zu drei Jahren.
»Behandlungsbedarf und Indikationsstellung müssen zuverlässiger erfasst und ausgewertet werden. Im Anschluss daran müssen Wirksamkeit und Nutzen der Behandlung objektiv bewertet werden. Die Behandlungsdauer sollte von bisher bis zu 36 Monaten auf maximal 24 Monate begrenzt werden. Zudem ist die Qualität der Beratung und die Aufklärung der Patienten zu verbessern, um die hohe Zahl der Behandlungsabbrüche zu senken«, sagt Braun in einer Pressemitteilung der hkk Krankenkasse.
Wurden die Zähne erstmal mühsam in Form gebracht, soll diese möglichst auch erhalten bleiben. Einen Strich durch diese Rechnung können nach Ansicht einiger Zahnärzte die Weisheitszähne machen. Die sogenannten Achter brechen zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr durch. Bei bis zu 80 Prozent der jungen Erwachsenen bleibt jedoch mindestens ein Weisheitszahn teilweise oder komplett im Kiefer zurück, weil der Platz nicht ausreicht. Häufig wird nun empfohlen, diesen zu entfernen. Einen wissenschaftlichen Nachweis, dass das prophylaktische Ziehen beschwerdefreier Weisheitszähne einen gesundheitlichen Vorteil bringt, gibt es zum derzeitigen Zeitpunkt allerdings nicht.
Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist, ob eine Weisheitszahnentfernung vor einem sogenannten tertiären Engstand nach dem Abschluss einer kieferorthopädischen Therapie schützt. Dieser entwickelt sich meist ab dem 20. Lebensjahr im Unterkiefer und verschiebt die Zähne noch einmal. Wissenschaftler vermuten vielmehr, dass der Unterkiefer in diesem Alter geringfügig weiter wächst und die Zähne dadurch verschoben werden.
Die aktuelle Leitlinie »Operative Entfernung von Weisheitszähnen« der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde empfiehlt die Weisheitszahnentfernung bei Infektionen, Schmerzen, Zysten oder Tumoren, kariös zerstörten Zähnen oder parodontalen Erkrankungen. In den meisten Fällen führt der Arzt den Eingriff ambulant unter örtlicher Betäubung durch. Sollen mehrere Zähne gleichzeitig entfernt werden, oder ist der Patient sehr ängstlich, kann der Eingriff auch unter Vollnarkose oder Dämmerschlaf durchgeführt werden. Meist wird zunächst eine und dann die andere Seite gemacht. So kann der Patient während der Wundheilung die nicht operierte Seite zum Kauen benutzen.
Auch wenn die Weisheitszahn-OP zu den häufigsten Eingriffen in Deutschland zählt, ist sie nicht ohne Risiken. Dazu gehören Infektionen, Abszesse, Knocheninfektionen und die Schädigung der Nerven, die für den Geschmack und für Empfindungen in der Unterlippe, den Zähnen, der Zunge und im Zahnfleisch zuständig sind. Bis etwa vier Wochen nach dem Eingriff ist zudem das Risiko für einen Kieferbruch erhöht.
Berichten Kunden von einer bevorstehenden Weisheitszahn-OP, können PTA und Apotheker ihnen einige Tipps mit auf den Weg geben: Nach einer örtlichen Betäubung können Patienten die Praxis direkt nach der Operation wieder verlassen, alleine mit dem Auto fahren sollten sie jedoch nicht. Mit dem Essen sollten sie warten, bis die Wirkung des Betäubungsmittels abgeklungen ist. So lassen sich unnötige Verletzungen vermeiden.
Für die ersten Tagen lautet die Empfehlung, auf heiße, saure und stark gewürzte Lebensmittel zu verzichten und den Mund nach dem Essen mit Wasser zu spülen. Auch Teeaufgüsse aus Kamillenblüten oder Salbeiblättern und antiseptisch wirkende Lösungen mit Chlorhexidin haben sich bewährt. Achtung: Trotz Schmerzen und Schwellung sollte der Patient die Zähne putzen. Das hilft zu verhindern, dass Bakterien der Mundhöhle die Wunde infizieren.
In den ersten ein bis drei Tagen nach der Operation schwillt die Wange deutlich an. Von außen kühlen wirkt dem entgegen. Um starke Nachblutungen zu vermeiden, sollten Patienten auf körperliche Anstrengung und Sport verzichten. Gegen die Schmerzen helfen Präparate mit Ibuprofen oder Paracetamol. Bei sehr starken Schmerzen, Entzündungszeichen oder kräftigen Blutungen sollten PTA und Apotheker dem Patienten empfehlen, Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten.
Etwa jeder fünfte Erwachsene knirscht mit den Zähnen, presst die Zähne aufeinander oder spannt den Kiefer an. Zahnärzte sprechen von Bruxismus und unterscheiden zwischen einer Tages- und Nachtform. Während der häufigere Wachbruxismus meist psychisch bedingt ist und durch Stress ausgelöst wird, handelt es sich beim Schlafbruxismus eher um eine zentralnervöse Störung. Wissenschaftler diskutieren derzeit darüber, ob Bruxismus eine stressabbauende Funktion hat. In Studien wurde Bruxismus durch Kauen auf Paraffinwürfeln simuliert und festgestellt, dass durch die Mahlbewegung die Konzentration des Stresshormons Kortisol im Blut abnimmt.
Neben Übungen zur Achtsamkeit helfen bei Bruxismus sogenannte Aufbissschienen / Foto: Adobe Stock/stylefoto24
Bruxismus erfolgt meist unbewusst und lautlos, kann aber gravierende Folgen für die Zahnhartsubstanz, die Kaumuskulatur und Kiefergelenke haben. Durch die Überlastung der Zähne – das zehnfache des normalen Kaudrucks kann überschritten werden – und den Abrieb von Zahnsubstanz reagieren die Zähne überempfindlich auf heiß, kalt, süß oder sauer. Füllungen, Kronen, Prothesen und Implantate können Schaden nehmen.
Die wiederholte Aktivität der Kaumuskulatur verursacht Muskelbeschwerden in Wangen und Schläfen, eine morgendliche Muskelsteifigkeit und eine Überlastung der Kiefergelenke. Diese zeigen sich als Schmerzen im Bereich der Gelenke, zum Beispiel beim Kauen harter Speisen, bei weiter Kieferöffnung oder einer Seitwärtsbewegung des Unterkiefers.
Hinweise auf einen Bruxismus liefern zunächst die typischen Beschwerden. Der Zahnarzt untersucht den Patienten anschließend auf Schäden an der Zahnhartsubstanz, bewertet den Abnutzungsgrad der Zähne und beurteilt die Kaumuskulatur. Um die Zähne vor weiteren Schäden zu schützen, erhalten Betroffene sogenannte Aufbissschienen. Sie werden auf die Zähne aufgesetzt und schützen sie vor weiterer Zerstörung. Um zusätzlich Muskulatur und Kiefergelenke zu entlasten, kann der Arzt spezielle Schienen wie die sogenannte Michigan-Schiene anpassen. Gute Erfahrungen haben Zahnärzte beim Schlafbruxismus zudem mit Methoden des Biofeedbacks gemacht. Schienen mit integriertem Sensorchip vibrieren, wenn zugebissen wird.
Die Gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten allerdings nicht. Auch kleine Sensoren, die nachts auf der Schläfe platziert werden, sollen durch elektrische Stimulation das Zähneknirschen unterbrechen. Beim Wachbruxismus stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund, die darauf abzielen, sich das Verhalten bewusst zu machen und aktiv zu vermeiden (siehe Kasten). Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang auch Übungen zur Achtsamkeit. Mit einer Physiotherapie entspannt sich die Kaumuskulatur und verbessert sich die Beweglichkeit der Kiefergelenke.
Professor Dr. Ingrid Peroz und Dr. Matthias Lange raten in der Patienteninformation der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie beim Wachbruxismus zur aktiven Selbstkontrolle: Kleben Sie farbige Aufkleber auf Gegenstände in Ihrer Umgebung. Immer wenn Sie einen Aufkleber sehen, kontrollieren Sie die Stellung der Zähne zueinander. Bei geschlossenem Mund sollten die Zähne keinen Kontakt zueinander haben. Merken Sie, dass Sie die Zähne zusammenbeißen, öffnen Sie den Mund weit und schließen ihn anschließend entspannt, ohne dass sich die Zähne berühren.