Zuckerfrei essen |
Isabel Weinert |
02.02.2024 15:00 Uhr |
Wer sich mit Honig als Alternative zu Rohrzucker auf der gesunden Seite des Süßkonsums wähnt, liegt falsch. 100 Gramm Honig bestehen zu über 80 Prozent aus Zuckern, allen voran Fructose und Glucose. / Foto: Getty Images/unpict
PTA-Forum: Zuckerverzicht ist ganz stark im Trend. Zu Recht? Und wenn ja, warum?
Riedl: Zunächst muss man zwischen Zuckerverzicht und wenig Zucker in der Ernährung unterscheiden. Zuckerverzicht bedeutet wirklich null Gramm Zucker am Tag. Bei wenig Zucker hingegen dürfen es täglich bis zu 25 Gramm sein. Ein kompletter Zuckerverzicht ist in der Regel nicht notwendig, eine nur moderate Aufnahme hingegen empfehlenswert. Davon profitieren Menschen auf vielfältige Art und Weise. Sie verspüren keine Heißhungerattacken mehr, weil durch Zucker verursachte Blutzuckerspitzen und der durch Insulin darauffolgende starke Blutzuckerabfall, der dann Hunger auslöst, nicht mehr vorkommen. Zudem entwöhnt sich der Geschmackssinn vom Süßgeschmack. Das heißt, er reagiert schon auf ganz geringe Süßreize ausgeprägt und braucht keine starke Süße mehr, um sie überhaupt noch wahrzunehmen. Der Appetit auf Süß lässt nach.
Viele Menschen schlafen auch besser, wenn sie dem Süßen entsagen, weil vorher ausgeprägte Blutzuckerschwankungen den Schlaf gestört haben. Es fällt zudem leichter, überflüssige Kilos loszuwerden oder ein gutes Körpergewicht zu halten. Die Zähne bleiben länger gesund, das Parodontitis-Risiko sinkt. Entzündungen, auch im Sinne einer »Silent inflammation«, klingen ab. Das spielt eine große Rolle für ein gesundes Herz-Kreislauf-System und um Diabetes, Fettleber und Krebs möglichst Einhalt zu gebieten. Darüber hinaus fördert Zuckerverzicht bei gleichzeitig gesunder Ernährung eine gute Besiedlung des Darms, stärkt darüber das Immunsystem und fördert eine gute Verdauung. Nicht zuletzt profitieren Haut und Bindegewebe vom Verzicht auf Süßes.
PTA-Forum: In den sozialen Medien werden zahlreiche Alternativen zu Haushaltszucker propagiert. Ist das alles sinnvoll?
Riedl: Häufig geht es bei Influencern im Ernährungsbereich um Geschmackspulver, die zum Beispiel aus dem Süßungsmittel Sucralose bestehen, Steviolglycoside aus Stevia enthalten, aber auch zuckerreiche Stückchen aus Karamell oder Keksen. In fruchtigen Geschmackspulvern wird oft kein Zucker deklariert, es müsste jedoch Fructose enthalten sein. Als Alternative wird auch Kokosblütenzucker beworben. Er hat allerdings nur einen minimal geringeren glykämischen Index als Haushaltszucker und sein Kaloriengehalt ist nahezu identisch mit demjenigen von Zucker. Zudem steckt in Kokosblütenzucker reichlich Fructose, die auf lange Sicht die Leber belasten kann.
Stevia ist ein oft beworbener Süßstoff. Es ist tatsächlich kalorienarm und beeinflusst den Blutzuckerspiegel nur gering. Überwiegend aus Zucker bestehen hingegen Agavendicksaft, Ahornsirup, Honig, Birnenkraut oder Apfelsüße. Sie enthalten lediglich etwas mehr Mineralstoffe und Vitamine. Dieser Anteil fällt aber gegenüber dem hohen Zuckergehalt sehr gering aus. Das heißt, um hier von Mineralstoffen und Vitaminen zu profitieren, müsste man große Mengen dieser Süßungsmittel aufnehmen – und damit jede Menge Zucker.
PTA-Forum: Wie können Verbraucher Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe voneinander unterscheiden?
Riedl: Süßstoffe zeichnen sich durch nahezu vollständige Kalorienfreiheit aus, sie gehören zu den Zusatzstoffen und sind auf dem Zutatenverzeichnis mit dem Klassennamen »Süßungsmittel« sowie der genauen Bezeichnung oder einer E-Nummer gekennzeichnet. Der Hinweis, dass mit Süßungsmitteln gesüßt wurde, ist verpflichtend. Eine besondere Kennzeichnung brauchen Aspartam und Aspartam-Acesulfamsalze. Entweder lautet sie »Enthält Aspartam (eine Phenylalaninquelle)« oder sie heißt »Enthält eine Phenylalaninquelle«. Die Süßkraft von Süßstoffen liegt 30- bis 37.000-fach höher als diejenige von Haushaltszucker. Süßstoffe sind nur für bestimmte Lebensmittel und mit einer Höchstmengenbeschränkung erlaubt. Hier gibt der sogenannte ADI-Wert, der »Acceptable Daily Intake« die jeweilige Höchstmenge an.
PTA-Forum: Was versteht man unter Zuckeraustauschstoffen?
Riedl: Zuckeraustauschstoffe heißen auch Zuckeralkohole und gehören zu den Süßungsmitteln. Produkte, die mit diesen Zuckeralkoholen gesüßt werden, dürfen als »zuckerfrei« deklariert werden. Zuckeraustauschstoffe enthalten mit zwei bis vier Kilokalorien pro Gramm deutlich weniger Energie als Rohrzucker, beeinflussen den Blutzucker nur geringfügig und verursachen im Gegensatz zu Zucker kein Karies. Ihr Geschmack und ihr Volumen ähneln Zucker, weshalb sie auch ähnlich wie dieser verarbeitet werden können. Es existiert keine tägliche Höchstmengen allerdings können sie abführend wirken, wenn man mehr als zehn Prozent des Produkts isst. Deshalb darf auf damit gesüßten Produkten der Warnhinweis »Kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken« nie fehlen. Zuckeraustauschstoffe erkennt man meist an der Endung »it«.
PTA-Forum: Immer wieder geraten Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe in den Verdacht, schädlich zu sein, bis hin zur Krebsgefahr. Was ist dran?
Riedl: Süßungsmittel werden immer wieder einer Sicherheitsbewertung unterzogen. Weitere Forschung dazu ist dringend notwendig, um mögliche Langzeitfolgen zu evaluieren. Ergebnisse bisheriger Studien legen nahe, dass Süßstoffe eine Insulinresistenz begünstigen und sich negativ auf die Darmflora auswirken. Im vergangenen Jahr hat die WHO Aspartam als »möglicherweise krebserregend« eingestuft, auch hier muss noch intensiv weitergeforscht werden. Von Sucralose weiß man, dass beim Erhitzen krebserregende Substanzen entstehen können.
PTA-Forum: Wie verstoffwechselt der Körper die unterschiedlichen Süßungsmittel?
Riedl: Zuckeralkohole brauchen kein Insulin und erhöhen den Blutzucker so gut wie nicht. Süßstoffe aktivieren ebenfalls keine Insulinausschüttung und werden nahezu unverändert wieder ausgeschieden.
PTA-Forum: In welcher Form ist Fructose besonders schädlich und warum gilt das eher nicht, wenn sie in Form von Obst aufgenommen wird?
Riedl: Fructose hat mehrere Nachteile: Sie wird ohne Umwege in Fett umgewandelt und entsprechend in Fettdepots gespeichert. Sie verhindert außerdem die Fettverbrennung bei gleichzeitig vermehrtem Fettaufbau. Zudem blockiert sie das Gefühl für Sättigung. Dabei sind vor allem mit Fructose angereicherte Nahrungsmittel in größeren Mengen ungesund und fördern Übergewicht, eine Fettleber, hohe Blutfettwerte und Gicht. Für den Organismus des Menschen kommt es auch darauf an, aus welchen Quellen die Fructose stammt. In Früchten verzehrt, bringen diese auch allerhand positives mit sich wie Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralstoffe. Als Bestandteile von Schokoriegeln, Fertiggerichten oder gesüßten Getränken hingegen schlagen die negativen Effekte zusätzlich zu denen der verzehrten hochverarbeiteten Produkte zu Buche.
PTA-Forum: Gilt auch wegen des Fructose-Gehalts in Früchten der Satz »Gemüse ist das bessere Obst«?
Riedl: Ja, Gemüse enthält mehr gesundheitsfördernde Stoffe als Obst und liefert weniger Kalorien und weniger Fruchtzucker. Deshalb essen wir am besten dreimal pro Tag Gemüse (in Summe mindestens 400 Gramm), aber höchstens zwei Portionen Obst täglich von maximal 250 Gramm insgesamt.
PTA-Forum: Ist Süßgeschmack an sich bereits ein Trigger für die Bauchspeicheldrüse, um Insulin auszuschütten?
Riedl: Die Bauchspeicheldrüse schüttet Insulin aus, wenn die Blutzuckerwerte nach eine kohlenhydratreichen Mahlzeit ansteigen. Auf Süßgeschmack muss man nicht vollständig verzichten. Um die Bauchspeicheldrüse zu entlasten, achtet man aber am besten auf eine feste Mahlzeitenstruktur mit zwei bis drei Mahlzeiten am Tag. Dabei sollte man die Vor- und die Nachspeise unmittelbar vor beziehungsweise nach der Hauptmahlzeit essen. Durch dieses Vorgehen treibt zum Beispiel der Riegel Schokolade den Blutzucker in geringerem Maße hoch als wenn man ihn irgendwann zwischen zwei Mahlzeiten essen würde.
PTA-Forum: Wird der Trend zum Zuckerverzicht Ihrer Einschätzung nach eine nachhaltigere Bedeutung gewinnen, die auch die Breite der Bevölkerung erfasst?
Riedl: Da die Prävalenz ernährungsbedingter Krankheiten immer weiter steigt, wird das Thema gezwungenermaßen früher oder später Thema der breiten Masse sein müssen. Eine Tendenz in diese Richtung sieht man jetzt schon. Zwar ist der Zuckerverzehr nicht gesunken, aber durch die Entwicklung und Vermarktung von Zuckeraustauschstoffen befasst sich bereits jetzt ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung mit dem eigenen Zuckerkonsum.
PTA-Forum: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler schon geraume Zeit. Dabei kommt der prospektiven NutriNet-Santé-Kohorte aus Frankreich besondere Bedeutung zu, schreibt der Facharzt für Innere Medizin Professor Dr. med. Alfred Wirth, Melle, in der Fachzeitschrift »Cardiovasc«. In dieser Kohorte wurden künstliche Süßstoffe in käuflichen Nahrungsmitteln hinsichtlich Hersteller und Produktnamen in einem 24-Stunden-Recall erfasst und ausgewertet. 105.588 Frauen und Männer mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren waren inkludiert. Die Beobachtungsphase lief über 9,1 Jahre. Erhebungen zu Ernährung uns Lebensstil wurden zweimal im Jahr durchgeführt. In diesem Zeitraum entwickelten 972 Menschen einen Typ-2-Diabetes.
Die Inzidenz eines Typ-2-Diabetes war um 69 Prozent erhöht bei denjenigen, die viele Süßstoffe konsumierten, verglichen mit denjenigen, die keine Süßstoffe nutzten. Betrachtete man die Inzidenzen bezogen auf einzelne Süßstoffe, dann wurden diese durch Aspartam um 63 Prozent, durch Acesulfam-K um 70 prozent und durch Sucralose um 34 Prozent gesteigert. Vorrangig handelte es sich bei den starken Süßstoff-Konsumenten um Frauen, um jüngere Menschen, um Raucher und um Menschen mit hohem BMI und geringer körperlicher Aktivität. Sie ernährten sich weniger von ballaststoff-haltigen Lebensmitteln, sondern präferierten mehr Süßgetränke, Fleisch, Wurst, Milchprodukte und Fastfood.
Laut Wirth kommt der Studie deshalb eine Bedeutung zu, weil sie als erste die Mengen an konsumierten künstlichen Süßstoffen in Fertigprodukten und Tischspendern quantifiziert hat. Ältere Untersuchungen erbrachten oft keinen klaren Zusammenhang zwischen Süßstoffen und Diabetes-Inzidenz, so Wirth, neuere zeigten hingegen häufiger in diese Richtung. Die Signifikanz sei allerdings gering. Einige Metaanalysen zeigten auch auf, dass eine Portion eines Fertignahrungsmittels mit Süßstoff das Diabetesrisiko erhöhe. Noch nicht ausreichend geklärt sei, wie dieser Effekt zustande kommen könnte.
Änderungen im Fettgewebe kommen in Frage, aber auch Veränderungen im Mikrobiom des Darms. Wirth resümiert, dass die vorliegende Studie zu einem besser belastbaren Ergebnis käme als bislang veröffentlichte Arbeiten. Sie weise auf ein deutlich erhöhtes Diabetesrisiko beim Konsum von Süßstoffen hin. Ein umfangreicher Konsum künstlicher Süßstoffe könne deshalb nicht als sichere Alternative zu Zucker empfohlen werden, so die Autoren.