Zurück ins soziale Leben |
Barbara Döring |
16.11.2022 16:00 Uhr |
Locker und unbeschwert wie vor der Pandemie auf andere Menschen zugehen? Ganz so leicht ist die Sache nicht. / Foto: Adobe Stock/Kzenon
Einige Menschen müssen sich erst wieder daran gewöhnen, engeren Kontakt zu Personen zu haben, die nicht aus dem engeren Umfeld kommen, oder sich in größeren Gruppen nicht unwohl zu fühlen. Dass viele Menschen nach der längeren coronabedingten Isolation verunsichert und gehemmt sind, wieder am sozialen Leben teilzunehmen, zeigte bereits im Jahr 2021 eine Umfrage der American Psychological Association.
Demnach fühlten sich 46 Prozent der erwachsenen Teilnehmer unwohl damit, zu ihrem normalen Alltag wie vor der Pandemie zurückzukehren. 49 Prozent gaben an, dass es ihnen schwerfällt, zwischenmenschliche Begegnungen wieder zuzulassen – unabhängig davon, ob die Befragten geimpft waren oder nicht. Der US-amerikanische Psychiater Alan Teo prägte für dieses Phänomen den Begriff »Cave-Syndrom«. Viele Menschen zogen sich weiterhin zurück in die »heimische Höhle« (von dem englischen Wort cave) und führten eine Art selbstgewählten Lockdown fort.
Auch in Deutschland schalteten nicht alle gleich wieder in den Vor-Corona-Modus um. Bei einer Befragung des Instituts für Generationenforschung in Augsburg gaben etwa acht Prozent der befragten 26- bis 39-Jährigen und 7 Prozent der Menschen ab 56 Jahren an, dass sie ihren Pandemiealltag am liebsten beibehalten würden. Fast die Hälfte der unter 27-Jährigen fühlte sich bei dem Gedanken, zur alten Freiheit zurückzukehren, gestresst.
»Das ist zunächst auch ganz normal und kein pathologisches Phänomen, wie es der Begriff Syndrom suggeriert«, sagt Professor Dr. Ulrich Stangier von der Abteilung klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Frankfurt im Gespräch mit PTA-Forum. Dass sich unter sozialen Einschränkungen Wahrnehmung und Emotionen verändern, sei aus Untersuchungen zur Isolationshaft bekannt. »Wir haben uns dem eigentlich vernünftigen Rückzug angepasst und sind nun in sozialen Situationen unsicher oder meiden sie erst einmal«, so der Psychologe. Das »Cave-Syndrom« sei deshalb auch nicht als Krankheit zu werten, sondern als eine natürliche Anpassungsreaktion.
Auch von »Symptomen« möchte Stangier in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Vielmehr handele es sich um eine Befangenheit, da die neue Situation noch ungewohnt sei und uns merkwürdig vorkäme, weil wir sie nicht mehr kennen. Sich wieder umzustellen, gelingt nicht auf einen Schlag. Bei manchen geht es schnell, bei anderen dauert es einfach länger. Zudem besteht nach wie vor die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Verständlich, wenn es noch ungewohnt ist, ohne Mund-Nasen-Schutz dicht beieinanderzustehen oder an einem Tisch zu sitzen, während beim Gespräch potenziell infektiöse Aerosole fliegen können. »Geht die Inzidenz stark zurück, ist es denkbar, dass schon nach wenigen Wochen ein normaler Umgang wieder möglich ist«, schätzt Stangier. Mit einer Online-Befragung geht seine Arbeitsgruppe derzeit der Frage nach, welche psychischen Folgen die Coronapandemie auf das Erleben von sozialen Beziehungen hat. Interessierte können unter www.soscisurvey.de/Cave-Syndrome an der Befragung teilnehmen.
Wer sich Sorgen macht, dass es mit der Anpassung an das soziale Leben nicht so richtig klappen will, kann selbst einiges tun, sich schneller aus der Isolation zu befreien. Als Starthilfe gibt Stangier folgende Tipps:
Manchmal hält die soziale Scheu jedoch länger an und es will nicht gelingen, sich auf das neue alte Leben einzustellen. »Meist haben diese Menschen schon vor der Pandemie wenig soziale Kontakte gesucht und in der Zeit der Isolation hat sich diese Eigenschaft weiter ausgeprägt«, sagt Stangier. Auch eine bereits bestehende soziale Angststörung kann sich in dieser Situation verstärken. Davon ist die Rede, wenn über mindestens sechs Monate übermäßige Angst in sozialen Situationen besteht oder Betroffene befürchten, von anderen negativ bewertet zu werden.
Stangier rät, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen, wenn die Probleme länger anhalten. Soziale Ängste seien gut zu behandeln und es gäbe effektive Hilfen wie die kognitive Verhaltenstherapie. Wer Hemmungen hat, eine Therapie zu beginnen oder auch längere Wartezeiten auf einen Therapieplatz überbrücken will, für den kann eine spezielle Therapie-App hilfreich sein. Stangiers Arbeitsgruppe hat die Mental-Health-App mit Kollegen aus Dresden auf Grundlage führender Therapieansätze entwickelt. Sie klärt Betroffene über das Krankheitsbild auf und hilft, sich den kritischen Situationen zu stellen (siehe Kasten).
Wenn man sich in sozialen Situationen unwohl fühlt, Angst hat, negativ aufzufallen oder Probleme hat, unbefangen unter Leute zu gehen, könnte eine soziale Angststörung der Grund sein. Die von den Universitäten Frankfurt und Dresden entwickelte Mental-Health-App hilft dabei, persönliche Schwierigkeiten zu benennen und unterstützt Betroffene im Alltag mit verschiedenen Übungen, das Leben ohne Ängste zu gestalten. Die App wird zurzeit in einer Therapiestudie erprobt und weiterentwickelt. Teilnehmer können sie kostenlos nutzen. Wer interessiert ist, findet weitere Informationen unter www.psychologie.uni-frankfurt.de