Zurück zur Natur |
Clean Eating ähnelt stark den Vorgaben einer vollwertigen Ernährung. Ausprobieren kann also nicht schaden. Alle Regeln sklavisch durchziehen, kann allerdings anstrengend werden. / Foto: Adobe Stock/Antonioguillem
Ernährungstrends boomen und werden gewinnträchtig vermarktet. Denn für viele Menschen hat der Erhalt der Gesundheit heutzutage einen hohen Stellenwert, und die Ernährung spielt dabei zweifellos eine wichtige Rolle. Paleo-Diät, Raw-Food-Diät, Nordic Diet und die Frei-von-Ernährung (ohne Laktose, ohne Gluten) sind nur einige Beispiele von Ernährungsformen, die in den letzten Jahren viele Anhänger fanden. Auch Clean Eating gehört unbestritten dazu. Mit »sauber, rein« hat »clean« allerdings nichts zu tun. Es ist eher im übertragenen Sinne zu verstehen: Ohne Zusätze und möglichst ursprünglich soll die Ernährung sein. Zusatzstoffe und aufwändige Herstellungsprozesse gelten bei Clean Eating als schädlich.
Obst, Salat, Gemüse, Kräuter, Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide bilden die Basis der Ernährung nach dem Clean-Eating-Konzept. Willkommen sind gesunde hochwertige Fette und naturbelassene Öle, die reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind, sowie Nüsse und Avocados. Produkte mit mehr als fünf Zutaten sind nicht »clean« und sollten daher gemieden werden. Da Zusatzstoffe als potenziell schädlich angesehen werden, studieren Anhänger von Clean Eating die Zutatenliste von Lebensmitteln jeweils sehr genau. Als alltagstaugliche Maßregel gilt: Zusätze mit schwer aussprechbaren Namen, die zudem »nach Chemie-Unterricht klingen«, sind per se nicht clean. Somit fallen Lebensmittel, die Geschmacksverstärker, Farb-, Aroma- und Konservierungsstoffe enthalten, durch das Raster. Es versteht sich von selbst, dass folglich auch Fast Food und Fertiggerichte vom Speiseplan gestrichen werden. Auch raffinierter Zucker und Weißmehl werden aussortiert, da sie stark industriell verarbeitet sind und kaum Nährstoffe enthalten. Strenge Anhänger von Clean Eating verzichten sogar komplett auf Mehl. Fleisch und Fisch sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, haben aber nur einen geringen Stellenwert in der Kost.
Neben der bewussten Auswahl der Lebensmittel wird Wert auf eine ausgewogene abwechslungsreiche Ernährung gelegt. Wichtig ist es, viel Wasser und ungesüßten Tee zu trinken und auf Alkohol möglichst zu verzichten. Eine besonders bedeutende Rolle spielt das Frühstück, da es den Stoffwechsel ankurbeln soll. Insgesamt ist die Regelmäßigkeit der Mahlzeiten wichtig: Sechs kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt werden empfohlen, inklusive einer Mahlzeit am späten Abend. Damit sollen der Insulinspiegel konstant und der Stoffwechsel aktiv bleiben. Manche Clean-Eating-Vertreter beschränken sich auf fünf Mahlzeiten und streichen den Snack vor dem Schlafengehen.
Hinter den Empfehlungen steckt eine große Skepsis und Kritik gegenüber der Lebensmittel-verarbeitenden Industrie. Damit ähnelt Clean Eating in vielem dem Konzept der Vollwert-Ernährung, die ebenfalls auf naturbelassene, frische und schonend zubereitete Lebensmittel setzt. Clean Eating kommt allerdings deutlich moderner daher. Das wird schon an den Begrifflichkeiten deutlich. So gibt es beispielsweise Overnight Oats statt über Nacht eingeweichtes Frischkornmüsli. Die Protagonisten von Clean Eating wirken sportlich-attraktiv und damit ganz anders als die ersten Gesundheitspioniere der Vollkornkost.
Entwickelt wurde die Idee in Kanada von der ehemaligen Bodybuilderin Tosca Reno. Sie veröffentlichte 2007 erstmals das Clean-Eating-Konzept. Seither verbreitete es sich rasch in viele Länder, wo Prominente, YouTube-Stars, Lifestyle-Magazine und Buchautoren die Gedanken aufgriffen und im großen Stil vermarkteten. Dabei bildeten sich verschiedene Auslegungen heraus. Manche verzichten komplett auf Getreide, andere auf tierische Produkte. Es gibt sehr strenge Verfechter und solche, die die Prinzipien eher locker in die Praxis umsetzen.
Noch vor 100 Jahren dürften die meisten Hausfrauen ihre Familie vermutlich im Sinne von Clean Eating versorgt haben, da es kaum vorgefertigte Lebensmittel zu kaufen gab und für die Konservierung nur wenige Hilfsmittel zur Verfügung standen. Allerdings wurden auch früher schon beispielsweise Backtriebmittel, Verdickungsmittel oder Konservierungsstoffe eingesetzt. Seither aber haben Zusatzstoffe tatsächlich erheblich zugenommen und die Lebensmittelherstellung wurde zunehmend industrialisiert.
Bei Clean Eating geht es nicht in erster Linie um Gewichtsreduktion – selbst, wenn viele an Gewicht verlieren werden, wenn sie weitgehend beispielsweise auf Fertigpizzen, Süßigkeiten und Alkohol verzichten. Clean Eating ist als langfristige Ernährungsweise gedacht, als Lebensstil, der nicht nur die Ernährung, sondern auch Sport und Bewegung sowie einen aufmerksamen Umgang mit sich selbst einschließt.
Der Anspruch von Clean Eating ist sehr hoch und oft gar nicht umsetzbar. Den Vorreitern des Konzepts ist dies bewusst. Deswegen empfehlen sie, auch einmal ein »ungesundes« Lebensmittel zu akzeptieren, wenn es anders nicht geht.
Schon das Einkaufen erfordert mehr Mühe als üblich. Bevor ein Produkt im Einkaufswagen landet, gilt es, die Zutatenliste genau zu studieren. Einen erheblichen Mehraufwand gibt es aber vor allem beim Zubereiten der Mahlzeiten. Da Fertig- und Halbfertiggerichte in der Regel viele Zutaten enthalten, muss selbst gekocht werden. Auch Kantinen-Essen entspricht meist nicht den Vorstellungen von Clean Eating. Folglich kochen viele Anhänger ihr Mittagessen zu Hause vor, um es bei der Arbeit wieder aufzuwärmen. Auch für den kleinen Hunger zwischendurch müssen sie vorsorgen. Denn das, was es was es am Kiosk oder in der Bäckerei zu kaufen gibt, entspricht nur selten den Regeln.
Im Internet und in Zeitschriften finden sich Unmengen von Rezepten und Vorschlägen für Clean Eating. Auch im Buchhandel gibt es zahlreiche entsprechende Bücher. Gemeinsam ist ihnen eine bunte Aufmachung mit vielen ansprechenden Fotos von Gemüse, Obst und Gewürzen.
Clean Eating hat einen gewaltigen Nachteil: seine geringe Alltagstauglichkeit. Gerade im Berufsleben mutet es illusorisch an, alles selbst herzustellen beziehungsweise mitzubringen, was jemand den Tag über zu sich nehmen möchte. Nicht zuletzt ist Clean Eating nicht ganz preiswert. Denn manche Protagonisten peppen den Speiseplan mit kostspieliger Superfood auf, wie Moringapulver oder bestimmten Algen. Und wie ist das Konzept aus ernährungswissenschaftlicher Sicht zu bewerten? Eigentlich passt es an vielen Stellen zu den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Eine pflanzenbetonte, abwechslungsreiche Kost mit wenig Weißmehlprodukten, fettreichen Fertiggerichten, Süßigkeiten, Alkohol und zuckerhaltigen Getränken dürfte der Gesundheit gut tun. Allerdings gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Beschränkung auf fünf Zutaten je Lebensmittel irgendeinen positiven Effekt für die Gesundheit hat. Auch ist es fachlich nicht haltbar, zugelassene Zusatzstoffe pauschal als gesundheitsschädigend darzustellen. Ob Clean Eating schließlich gesünder, vitaler, energiegeladener und glücklicher macht, ist nicht belegt. Wer Lust hat, kann es auszuprobieren.