Zwei neue Orphan drugs |
Sven Siebenand |
25.09.2020 08:30 Uhr |
Bei Mukoviszidose muss die Lunge immer wieder von Schleim befreit werden, ein kräftezehrendes Prozedere für die Betroffenen. / Foto: Imago/Chris Darco
Die Cystische Fibrose (CF) ist eine seltene, genetisch bedingte Krankheit, die in Deutschland etwa 6300 Menschen betrifft. Ursache der auch Mukoviszidose genannten Erkrankung ist ein defektes oder fehlendes CFTR-Protein als Folge bestimmter Mutationen im CFTR-Gen. Die Mutationen führen dazu, dass zu wenig und/oder dysfunktionales CFTR-Protein an der Zelloberfläche vorhanden ist. CFTR-Kanäle regulieren das Ausströmen von Chlorid-Ionen und Wasser aus den Epithelzellen verschiedener Organe. Durch die gestörte oder fehlende CFTR-Funktion werden Körpersekrete wie der Schleim in der Lunge dickflüssig und zäh und beeinträchtigen so die Funktionen lebenswichtiger Organe. In den Atemwegen kann der zähe Schleim chronische Lungeninfektionen verursachen und die Lunge fortschreitend schädigen. Das kann schließlich zum Tod führen kann. In Deutschland lag im Jahr 2018 das durchschnittliche Sterbealter an Mukoviszidose erkrankter Menschen bei 34,5 Jahren.
In den vergangenen Jahren kamen einige neue Präparate für CF-Patienten auf den Markt. Eines davon ist das Ivacaftor-haltige Präparat Kalydeco®. Das neue Medikament Kaftrio® stammt ebenfalls von der Firma Vertex Pharmaceuticals und wird damit kombiniert. Kaftrio enthält drei Arzneistoffe: die bekannten Arzneistoffe Ivacaftor und Tezacaftor und den Neuling Elexacaftor.
Kaftrio darf in Kombination mit Kalydeco zur CF-Behandlung bei Patienten ab zwölf Jahren mit einer F508del-Mutation und einer Minimalfunktions-Mutation eingesetzt werden. Das betrifft viele Patienten, für die nun erstmals eine Therapieoption zur Verfügung steht.
Des Weiteren darf Kaftrio in Kombination mit Kalydeco bei CF-Patienten ab zwölf Jahren mit zwei F508del-Mutationen zum Einsatz kommen.
Ivacaftor ist ein sogenannter CFTR-Potenziator, der die Funktion des CFTR-Proteins verbessert, nachdem es die Zelloberfläche erreicht hat. Elexacaftor ist dagegen wie Tezacaftor ein sogenannter CFTR-Korrektor, der die Anzahl reifer CFTR-Proteine auf der Zelloberfläche erhöht. Die Kombination von Arzneistoffen aus beiden Klassen ist sinnvoll und bereits von anderen CF-Therapien bekannt.
Die empfohlene tägliche Dosis beträgt zwei Tabletten Kaftrio am Morgen und eine Kalydeco-Tablette am Abend, etwa zwölf Stunden später. Die Einnahme sollte zusammen mit fetthaltiger Nahrung erfolgen. Bei gleichzeitiger Anwendung von starken oder mäßigen CYP3A-Inhibitoren ist die Bioverfügbarkeit von Elexacaftor, Tezacaftor und Ivacaftor erhöht. Die Dosis der Wirkstoffe muss dann reduziert werden. Bei gleichzeitiger Anwendung von CYP3A-Induktoren ist die Bioverfügbarkeit von Ivacaftor deutlich vermindert und es wird eine Abnahme der Bioverfügbarkeit von Elexacaftor und Tezacaftor erwartet, was möglicherweise zu einem Wirksamkeitsverlust führt. Daher wird die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP3A-Induktoren nicht empfohlen.
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen von Kaftrio waren in Studien Kopfschmerzen, Durchfall und Infektionen der oberen Atemwege. In der Fachinformation gibt es auch einen Warnhinweise zu möglichen Hautausschlägen. Die Häufigkeit von Hautausschlägen war bei Frauen höher als bei Männern, besonders bei Frauen, die hormonelle Kontrazeptiva einnehmen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass hormonelle Kontrazeptiva eine Rolle beim Auftreten von Hautausschlägen spielen, heißt es.
Aus Vorsichtsgründen ist es vorzuziehen, Kaftrio während der Schwangerschaft nicht einzusetzen. In der Stillzeit entscheidet der Arzt mit der Patientin, ob sie das Stillen unterbricht oder ob sie stillt und dafür für die Dauer des Stillens auf die Behandlung mit dem Medikament verzichtet.
In Deutschland erkrankten im Jahr 2016 rund 7000 Menschen neu an einem Multiplen Myelom. Es handelt sich dabei um eine Krebserkrankung, die von Plasmazellen im Knochenmark ausgeht. Im Verlauf entwickeln sich Vorläuferzellen nicht zu regulär Antikörper-produzierenden Plasmazellen, sondern zu bösartigen Krebszellen, den Myelomzellen. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 6000 Menschen neu daran. Trotz der Behandlungsfortschritte ist die Krankheit bisher unheilbar und die Patienten müssen mehrere Therapielinien durchlaufen. Mit jedem Rückfall verschlechtert sich ihre Prognose.
Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Belantamab Mafodotin (Blenrep®, GSK) ist eine neue Therapieoption für mehrfach vorbehandelte Patienten. Das Medikament ist als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem Multiplem Myelom zugelassen. Dabei müssen die Patienten zuvor mindestens vier Therapielinien erhalten haben und während der letzten Therapie muss ein Fortschreiten der Erkrankung nachgewiesen worden sein.
Belantamab-Mafodotin ist die erste gegen das B-Zell-Reifungs-Antigen (BCMA) gerichtete Therapie, die in der EU zugelassen wurde. BCMA befindet sich auf Zellen des Multiplen Myeloms, auf gesunden B-Zellen jedoch nicht. Ein Teil des neuen Antikörper-Wirkstoff-Konjugats ist der BCMA-Antikörper Belantamab. Über einen Linker ist er mit dem zytotoxischen Wirkstoff Monomethylauristatin F (MMAF) verbunden. Bindet das Konjugat über die Antikörper-Komponente an BCMA, wird es in die Zelle aufgenommen und MMAF anschließend freigesetzt, was den Zelltod verursacht.
Die empfohlene Dosis beträgt 2,5 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion alle drei Wochen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren in Studien Keratopathie (71 Prozent) und Thrombozytopenie (38 Prozent). Letztere kann zu schweren Blutungen führen. Ein großes Blutbild sollte daher vor Behandlungsbeginn und, falls klinisch angezeigt, während der Behandlung gemacht werden. Patienten, die eine schwere Thrombozytopenie entwickeln, oder jene mit gleichzeitiger antikoagulativer Therapie können eine häufigere Überwachung erfordern und sollten mit einer verzögerten oder geringeren Dosis behandelt werden.
Zu den Nebenwirkungen an der Hornhaut gibt es in der Fachinformation von Blenrep ebenfalls einen Warnhinweis. Untersuchungen beim Augenarzt sollten vor Behandlungsbeginn, vor den nachfolgenden drei Therapiezyklen und falls während der Behandlung klinisch angezeigt, stattfinden. Die Patienten brauchen während der Behandlung mindestens viermal täglich konservierungsmittelfreie Tränenersatzmittel. Auf Kontaktlinsen sollten sie bis zum Ende der Behandlung verzichten.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und über einen Zeitraum von vier Monaten nach der letzten Dosis eine wirksame Verhütungsmethode anwenden. Für Männer mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter gilt, während der Behandlung und über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der letzten Dosis wirksam zu verhüten.
Das neue Präparat sollte in der Schwangerschaft nur angewendet werden, wenn der Nutzen für die Mutter gegenüber dem potenziellen Risiko für den Fötus überwiegt. Frauen sollten vor Beginn der Behandlung mit Blenrep abstillen und bis drei Monaten nach der letzten Dosis nicht zu stillen.