Zwei neue Wirkstoffe, eine neue Indikation |
Sven Siebenand |
11.02.2021 09:52 Uhr |
Ehemals Appetitzügler, jetzt gegen Epilepsie – der Wirkstoff Fenfluramin hat eine neue Indikation. / Foto: Adobe Stock/Viacheslav Iakobchuk
Bereits im Januar 2021 kam mit Lumasiran ein Wirkstoff auf den Markt, der die sogenannte RNA-Interferenz ausnutzt. Im Februar folgt mit Inclisiran (Leqvio® 284 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze, Novartis) gleich das nächste RNA-i-Therapeutikum. Es wird allerdings in einer ganz anderen Indikation eingesetzt, nämlich bei Erwachsenen mit primärer Hypercholesterinämie oder gemischter Dyslipidämie. Das Medikament wird in Kombination mit einem Statin angewendet, wenn die Höchstdosis des Statins den Cholesterinspiegel nicht ausreichend senkt. Es kann auch in Kombination mit anderen cholesterinsenkenden Arzneimitteln bei Patienten angewendet werden, die keine Statine einnehmen können.
Kleine RNA-Stücke, sogenannte small interfering RNA (siRNA), sorgen bei den RNA-i-Therapeutika dafür, dass komplementäre Boten-RNA im Körper selektiv abgebaut wird. Somit steht diese nicht mehr für den nächsten Schritt der Proteinsynthese, die Translation, zur Verfügung und die Menge des von ihr kodierten Proteins in der Zelle nimmt ab. Im Falle von Inclisiran wird die Produktion des Proteins PCSK9 gebremst. Die Folge ist, dass der PCSK9-vermittelte Abbau des LDL-Rezeptors gehemmt ist. Befinden sich dann mehr Rezeptoren auf der Leberzelloberfläche, wird mehr LDL-Cholesterol aus dem Blut extrahiert. Das heißt, Inclisiran wirkt letztlich ähnlich wie die bekannten PCSK9-Inhibitoren Evolocumab und Alirocumab.
Leqvio wird subkutan in den Bauch injiziert. Alternative Injektionsstellen sind der Oberarm oder -schenkel. Nach der ersten Injektion wird die nächste Dosis nach drei Monaten und dann alle sechs Monate verabreicht. Die Applikation erfolgt durch medizinisches Fachpersonal. Die einzigen beobachteten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle.
Aus Vorsichtsgründen wird dazu geraten, Inclisiran nicht bei Schwangeren einzusetzen. Bei Stillenden ist eine Entscheidung zu treffen, ob auf das Medikament oder das Stillen verzichtet wird. Zudem sollte Inclisiran bei schwerer Leber- oder Nierenfunktionsstörung nur mit Vorsicht angewendet werden.
Das Multiple Myelom ist mit jährlich mehr als 138.000 Neuerkrankungen weltweit das zweithäufigste hämatologische Malignom. Trotz der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten ist es weiterhin unheilbar.
Isatuximab (Sarclisa® 20 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Sanofi Genzyme) ist eine neue Therapieoption beim Multiplen Myelom. Sie kommt infrage zur Behandlung des rezidivierten und refraktären Multiplen Myeloms bei Erwachsenen, die mit mindestens zwei Therapien, inklusive Lenalidomid und einem Proteasom-Inhibitor, vorbehandelt sind, und die unter der letzten Therapie eine Krankheitsprogression zeigten. Sarclisa wird mit den Wirkstoffen Dexamethason und Pomalidomid kombiniert.
Bei Isatuximab handelt es sich um einen weiteren Antikörper, der sich gegen den auf Myelomzellen vorkommenden CD38-Rezeptor richtet. Isatuximab soll dadurch mehrere Mechanismen in Gang setzen, etwa den programmierten Tumorzelltod und eine immunmodulierende Aktivität. Auch der seit Längerem bekannte und beim Multiplen Myelom eingesetzte Antikörper Daratumumab (Darzalex®) arbeitet nach diesem Prinzip.
Isatuximab wird intravenös verabreicht, in den ersten vier Wochen einmal wöchentlich, danach alle zwei Wochen bis die Erkrankung fortschreitet oder die Nebenwirkungen zu stark werden. Die empfohlene Dosis beträgt 10 mg/kg Körpergewicht. Vor der Infusion von Isatuximab sollten die Patienten eine Prämedikation – bestehend aus mehreren Medikamenten – zur Verringerung des Risikos infusionsbedingter Reaktionen erhalten.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Isatuximab zählen Neutropenie, infusionsbedingte Reaktionen, Lungenentzündung, Infektionen der oberen Atemwege, Durchfall und Bronchitis. Die Anwendung von Isatuximab bei Schwangeren wird nicht empfohlen. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung mit Sarclisa und weitere fünf Monate nach Behandlungsende eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Gut möglich, dass man von Isatuximab zukünftig noch mehr hören wird. Denn der Antikörper wird nicht nur beim Multiplen Myelom, sondern auch bei anderen hämatologischen Malignomen und soliden Tumoren intensiv untersucht.
Der früher als Appetitzügler eingesetzte Arzneistoff Fenfluramin wurde vor mehr als 20 Jahren wegen schwerer kardiovaskulärer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Nun ist er wieder da, allerdings in einem anderen Anwendungsgebiet. Das Präparat Fintepla® 2,2 mg/ml Lösung zum Einnehmen von Zogenix wird eingesetzt bei Patienten ab einem Alter von zwei Jahren zur Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom als Zusatztherapie zu anderen Antiepileptika.
Beim Dravet-Syndrom handelt es sich um ein seltenes, im frühen Kindesalter beginnendes, schwerwiegendes therapierefraktäres epileptisches Syndrom, das mit erheblichen geistigen und körperlichen Einschränkungen einhergeht. Die Patienten leiden meist unter einer hohen Anzahl von Anfällen, die häufig auch in einen Status epilepticus übergehen können.
Der genaue Wirkmechanismus von Fenfluramin beim Dravet-Syndrom ist bisher nicht bekannt. Die Substanz erhöht den Serotonin-Spiegel. Laut der Fachinformation von Fintepla kann es Krampfanfälle reduzieren, indem es unter anderem als Agonist an bestimmten Serotonin-Rezeptoren im Gehirn wirkt. Zudem geht man davon aus, dass Fenfluramin vor Anfällen schützen kann, indem es auf den Sigma-1-Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen wirkt.
Fintepla ist als Flüssigkeit erhältlich, die zweimal täglich eingenommen wird. Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten und danach, ob der Patient auch den Wirkstoff Stiripentol erhält. Eine Dosierungstabelle findet sich in der Fachinformation.
Für die Verordnung von Fenfluramin gelten besondere Regeln: Es wurde ein Programm für den kontrollierten Zugang eingerichtet, um den nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch zur Gewichtskontrolle zu verhindern und um zu bestätigen, dass verordnende Ärzte über die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überwachung der Herzfunktion bei mit Fenfluramin behandelten Patienten informiert wurden.