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Medikamente tauschen?

Arzneimittel nicht einfach privat weiterreichen

Ob rezeptpflichtig oder nicht – Arzneimittel sollte man nicht an andere Personen weitergeben, auch wenn der Ärztepräsident das kürzlich vorgeschlagen hat. Das gilt erst recht bei Arzneiformen für Kinder. 
PZ/PTA-Forum
22.12.2022  10:30 Uhr

Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hat am Sonntag in einem »Tagesspiegel«-Interview vorgeschlagen, man solle sich angesichts von Lieferengpässen nachbarschaftlich mit knappen Medikamenten aushelfen. Selbst abgelaufene Medikamente könne man weitergeben, diese könnten »gefahrlos« verwendet werden.

Aus pharmazeutischer Sicht ist ein solcher Vorschlag unverantwortlich – auch wenn die Bundesärztekammer auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung den Vorschlag ihres Präsidenten auf nicht verschreibungspflichtige, originalverpackte Arzneimittel eingeschränkte. Trotzdem gibt es hier so einige Probleme, die es zu bedenken gilt. »Ein Arzneimittel, das für die Freundin hervorragend geeignet ist, kann einem selbst unter Umständen schaden«, warnt als Reaktion nun unter anderem Ursula Funke, Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen.

Hier die wichtigsten Argumente:

  • Nicht jedes Medikament ist für jeden Patienten geeignet
    Das Apothekenpersonal prüft vor jeder Abgabe eines Arzneimittels, ob es für den jeweiligen Patienten geeignet ist. Aus diesem Grund gibt es die Apothekenpflicht. Während zum Beispiel Kinder Paracetamol oder Ibuprofen in den allermeisten Fällen gut vertragen, da sie noch keine Leber- oder Nierenprobleme haben, kann das bei Erwachsenen anders aussehen. Paracetamol soll nicht bei eingeschränkter Leberfunktion eingesetzt werden, Ibuprofen nicht bei eingeschränkter Nierenfunktion. Acetylsalicylsäure (ASS) darf nicht bei Kindern unter zwölf Jahren zum Einsatz kommen, da bei ihnen es in seltenen Fällen die schwere Nebenwirkung Reye-Syndrom auslösen kann, was sicherlich nicht jeder Laie weiß.

    Handelt es sich um Antibiotikum, gilt erst recht, dass man hier nicht einfach auf das zurückgreifen kann, was die Nachbarin gerade noch in ihrer Hausapotheke hat. Denn nicht jedes Antibiotikum hilft bei jeder Infektion. Dosierung und Anwendungsdauer sind vom Arzt festzulegen, damit die Therapie anschlägt und Resistenzen und Nebenwirkungen vermieden werden.

  • Lagerung von Medikamenten ist wichtig
    In den meisten Haushalten werden Medikamente nicht kühl und trocken gelagert, sondern im feucht-warmen Milieu von Bad oder Küche. Klassiker ist der Badezimmerschrank. Diese Lagerungsbedingungen können schon unangebrochenen Medikamenten diesseits des Verwendbarkeitsdatums zusetzen, weshalb einmal in der Apotheke abgegebene Medikamente nicht zurückgenommen werden dürfen. Nicht umsonst sind in der Apotheke die Lagerungsbedingungen ganz klar geregelt (zum Beispiel nicht über 25 °C).

    Ein Beispiel für einen Arzneistoff, der sich schnell zersetzten kann, ist ASS. Er dissoziiert in feuchter Luft relativ schnell zu Salicylsäure und Essigsäure. Werden Zäpfchen zu warm, können sie schmelzen. Wenn sie wieder abkühlen und hart werden, kann die Wirkstofffreisetzung verändert sein. Cremes und Salben können ranzig werden, verkeimen oder sich in einzelne Komponenten zersetzen. Das gilt insbesondere für angefangene Tuben und Tiegel.

    Zum Verwendbarkeitsdatum gilt: Nur bis zu dessen Ablauf haftet der Hersteller für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – aber eben auch nur bei sachgerechter Lagerung. Man kann es einem Arzneimittel nicht immer ansehen, ob es nach Ablauf des Verfallsdatums noch intakt ist. Der Wirkstoff kann sich dabei nicht nur zersetzen und dadurch unwirksam werden, sondern es können sich auch schädliche Abbauprodukte bilden.

  • Haltbarkeit von Säften ist besonders problematisch
    Besonders problematisch ist die Haltbarkeit bei flüssigen Arzneiformen wie den derzeit so knappen Fieber- und Antibiotikasäften. Ist die Flasche eines Fieber- und Schmerzsaftes oder auch Hustensaftes erst einmal geöffnet, gilt nicht mehr das aufgedruckte Verwendbarkeitsdatum, sondern eine Aufbrauchfrist. Diese beträgt beispielsweise bei Nurofen®-Saft sechs Monate, bei Benuron®-Saft zwölf Monate, bei anderen Fertigpräparaten wie dem Antiallergikum Cetirizin-Saft der Firma AL aber beispielsweise nur zwölf Wochen.

    Noch kürzer ist die Aufbrauchfrist bei Säften, die die Apotheken aus Mangel an Fertigpräparaten in der Rezeptur hergestellt haben oder auch bei Antibiotika-Suspensionen, die die Eltern selbst aus einem Pulver hergestellt haben.

    Angebrochene Säfte sollten zudem je nach Präparat im Kühlschrank gelagert werden (nicht an der Hinterwand und nicht in der Tür) – fraglich, ob man darauf bei weitergegebenen Arzneimitteln vertrauen kann.

  • Dosierhilfe und Beipackzettel gehören zum Arzneimittel
    Viele der Fieber- und Schmerz- sowie Antibiotika-Säfte werden zudem mit einer Dosierspritze geliefert. Diese Applikationshilfe muss nach jedem Gebrauch gründlich gereinigt werden – sie von einem kranken Kinden zum nächsten weiterzugeben, ist aus hygienischen Gründen äußerst fragwürdig. Die Applikationshilfen sind zudem zum Teil produktspezifisch und lassen sich nicht einfach austauschen oder ersetzen.

    Wichtig für die Dosierung ist neben einer geeigneten Applikationshilfe natürlich auch der Beipackzettel, der vorhanden seien muss – gerade bei der gewichts- oder altersbasierten Dosierung von Arzneimitteln für Kinder. Niemand sollte sich nicht auf Dosierempfehlungen anderer Laien verlassen.

    Dass angebrochene Nasensprays und Nasentropfen nicht weitergegeben dürfen – auch nicht an andere Familienmitglieder –, sollte selbstverständlich sein, da sie bei der Anwendung direkt mit dem verkeimten Nasensekret in Kontakt kommen. Sie dürfen auch nicht bis zur nächsten Erkältung für denselben Patienten aufbewahrt werden, sondern gehören nach dem Infekt entsorgt (über den Hausmüll).

  • Nur das lagern, was man wirklich braucht
    Normalerweise wird empfohlen, in der Hausapotheke für jedes Familienmitglied ein geeignetes Fieber- und Schmerzmittel vorrätig zu halten. Es reicht dann aber auch eine Packung Saft oder Zäpfchen für die jüngeren Kinder oder eine Packung Tabletten für die größeren Kinder und Erwachsenen. Wer Medikamente hamstert, verschärft das Problem für die Allgemeinheit.

  • Verwechslungsgefahr in der Selbstmedikation
    Viele Arzneimittel werden nach ihrem Wirkstoffnamen oder gar der Abkürzung des Wirkstoffs benannt. Es kann leicht zu Verwechslungen kommen, zum Beispiel ASS und ACC. Im Rahmen einer Beratung kann die Indikation schnell geklärt und der richtige Wirkstoff zugeordnet werden. Das Gespräch in der Apotheke ist außerdem wichtig, um Patientinnen und Patienten mit Allergien zu schützen, da sie auf nicht bekannte Hilfs- und Wirkstoffe in Arzneimitteln reagieren können.

  • Verfalldatum ist kein Mindesthaltbarkeitsdatum
    Lebensmittel sind mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen. Dies bedeutet, dass ein Lebensmittel mindestens bis zu dem angegebenen Datum haltbar ist, darüber hinaus aber durchaus noch genießbar sein kann, allerdings ohne Garantie des Produzenten. Arzneimittel hingegen haben ein Verfalldatum. Sie dürfen nach ihrem Verfalldatum auf keinen Fall mehr eingenommen werden. Das Verfalldatum eines Arzneimittels ist Bestandteil der Zulassung, basiert auf zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und ist damit elementarer, rechtlicher Bestandteil des Arzneimittels.

  • Abgelaufene Medikamente bergen Gefahren
    Viele Arzneimittel verlieren nach einer gewissen Zeit ihre Wirksamkeit. Säfte können sich »entmischen«. Auch Wärme und Feuchtigkeit können Arzneimitteln schaden, wenn sie nicht richtig gelagert werden. Arzneimittel sollten immer in ihrer Originalverpackung inklusive Beipackzettel aufbewahrt werden. Reste von Antibiotika gehören nicht in die Hausapotheke und sollten entsorgt werden, um einer möglichen Antibiotikaresistenz vorzubeugen. Die Aussage, Arzneimittel, deren Verfallsdatum schon abgelaufen ist, könnten „gefahrlos“ verwendet werden, ist daher sehr kritisch zu sehen.

»Lassen Sie sich nicht verunsichern durch populistische ›Empfehlungen‹ – es geht um Ihre Gesundheit«, warnt Hessens Apothekerkammerpräsidentin Funke. »Die Arzneimittelsicherheit gehört in die Hände von den Fachleuten, denen Sie vertrauen können. Damit Patienten gut geschützt sind, bestehen durch den Gesetzgeber hohe Anforderungen an Arzneimittel und an Apotheken – das ist gut und richtig.«

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