Auffrischungsimpfung gegen Corona schon im Herbst? |
Vom Prinzip her sieht das Thomas Mertens als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) für Risikogruppen ähnlich. Er formuliert es jedoch vorsichtiger: »Die Daten dazu, wer wann erneut geimpft werden sollte, sind noch etwas unsicher«, sagt er. »Wir erwarten mehr Anhaltspunkte zur Dauer der Immunantwort nach einer Impfung bis zum August.«
Verlässliche Daten gebe es bisher nur für einige Gruppen von Menschen mit erheblicher Immunsuppression. Sie entsteht zum Beispiel, wenn das eigene Immunsystem bewusst durch Medikamente unterdrückt wird – wie nach einer Organtransplantation. »Diese Daten zeigen in der Tat, dass die Immunantwort in Abhängigkeit zur Immunsuppression bei Organtransplantierten viel schlechter sein kann. Sie liegt dann nur noch bei 50 Prozent«, berichtet Mertens. Normal sind nach zwei Impfungen sonst über 90 Prozent. Auch bei Rheuma- und Krebspatienten zeigten sich Defizite bei der Immunantwort.
»Bei einem solchen Mangel an Immunschutz wäre relativ kurzfristig eine Nachimpfung zu empfehlen«, sagt auch Mertens. »Dafür müssen wir aber erst ganz genau die immunsupprimierten Gruppen mit dem höchsten Risiko definieren.« Es wäre ein Prinzip wie bei den Priorisierungen zum Impfstart.
Aber bitte alles mit Bedacht. »Bei durchgemachten Infektionen wissen wir, dass der Immunschutz bei ansonsten gesunden Menschen länger als sechs Monate hält. Die Erkrankung und auch die Impfstoffe sind aber noch so neu, dass es Zeit braucht, um Daten für Geimpfte zu erheben«, sagt Mertens.
»Ich frage mich allerdings, warum Daten zur Immunantwort in Alten- und Pflegeheimen nicht von Anfang an großflächig und regelmäßig erhoben wurden«, kritisiert Patientenschützer Brysch. Ihm seien dazu nur Mini-Studien bekannt.
Große generelle Einschränkungen beim Thema Booster macht auch Charité-Forscher Sander. »Ich glaube nicht, dass wir uns alle zum Winter hin ein drittes Mal impfen lassen müssen«, betont er. Die Impfstoffe seien sehr gut wirksam. Sie bauten auch ein Immungedächtnis auf, das zumindest beim Großteil der Bevölkerung nicht so schnell nachlassen werde. »Ich fände es unter diesen Voraussetzungen auch ethisch problematisch, wenn wir in Deutschland für alle an eine dritte Impfung denken würden – und ein Großteil der Welt ist noch nicht einmal das erste Mal geimpft.«
Auch andere Forscher beschäftigen sich mit dem Thema Auffrischungsimpfung. »Im Herbst/Winter wird sich Delta auch bei uns durchsetzen. Dann werden sich die infizieren, die keinen oder einen zu schwachen Schutz haben«, twitterte jüngst der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl. »Aber auch ältere Personen mit hohem Risiko für schwere Verläufe könnten bei Delta ein Problem bekommen, wenn die Impfung bei ihnen nicht so gut gewirkt hat. Daher werden solche Personen vor dem Herbst eine dritte Impfung benötigen.«
Eine Masernimpfung halte ein Leben lang, der Tetanus-Schutz nur in etwa 10 Jahre, berichtet Charité-Forscher Sander. »Für Corona wissen wir das schlichtweg noch nicht, wo da jetzt die Grenze liegt.« Langfristige Daten fehlten noch, sagt auch er. Doch bereits im kurzfristigeren Verlauf sehe man, dass älteren Menschen mit einem dementsprechend älteren Immunsystem und auch jüngere Menschen mit einem geschwächten auf die Erstimpfung gar nicht ausreichend reagierten. Auch die Immunantwort nach der zweiten Impfung bleibe niedriger als bei jüngeren und gesunden Menschen. »Auch wenn wir bei den Älteren dann immer von einem relativ hohen Niveau reden.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.