Lästig, aber harmlos |
27.04.2010 21:08 Uhr |
Lästig, aber harmlos
von Gudrun Heyn, Berlin
Auf Fernreisen ist Durchfall die häufigste Gesundheitsstörung. Wie Betroffene diese unangenehme Zeit besser überstehen können, darüber informierte der Tropenmediziner Professor Dr. Herwig Kollaritsch auf dem 11. Forum Reisen und Gesundheit während der Internationalen Tourismusbörse Berlin 2010.
Weltweit erkranken rund 15 Millionen Menschen einmal im Jahr an Reisediarrhö. Vor allem Bakterien, aber auch Viren und Parasiten können die lästige Erkrankung auslösen. Zumeist infizieren sich die Menschen über kontaminierte Lebensmittel. Während Einheimische oft genügend Abwehrkräfte gegen die Erreger besitzen, ist das Immunsystem von Reisenden zumeist nur ungenügend in der Lage, den ungewohnten Keimen zu trotzen. »Besonders schlechte Karten haben Deutsche und Österreicher auf Interkontinental-Reisen«, sagte Professor Kollaritsch von der Universität Wien auf einer Fortbildung, die das Centrum für Reisemedizin und das Auswärtigen Amt veranstaltet hatte.
Anstatt am Strand Sonne und Meer zu genießen oder auf einer Besichtigungstour das Land zu erkunden, verbringen die Betroffenen ihre Urlaubszeit dann überwiegend auf dem stillen Örtchen. Zusätzlich können Bauchschmerzen, Blähungen oder sogar Übelkeit die Erkrankung begleiten. In der Regel ist das heftige Leiden jedoch auf wenige Tage begrenzt, und der Stuhlgang normalisiert sich nach drei bis vier Tagen von alleine. »Dennoch kann es sehr sinnvoll sein, die Symptome zu mildern und die Leidenszeit zu verkürzen«, so Kollaritsch.
Ein besonders hohes Erkrankungsrisiko haben Touristen in den meisten Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas. Dort erkranken je nach Urlaubsgegend 20 bis 90 Prozent der Besucher. Aber auch in so manchen Ländern rund um das Mittelmeer sind die Erholungssuchenden nicht vor der unliebsamen Gesundheitsstörung gefeit. Weil sich die Infrastruktur in den touristisch erschlossenen Regionen deutlich verbessert hat, haben Risikoländer wie die Türkei, Marokko und Tunesien in den letzten Jahren deutlich an Gefährlichkeit verloren.
Unerwartet hoch kann dagegen das Infektionsrisiko auf Kreuzfahrtschiffen sein. »Eine einzige kontaminierte Speise reicht in diesem geschlossenen System aus, um die Infektionskette in Gang zu setzen«, sagte Kollaritsch. »Spätestens auf der Toilette werden die Durchfallerreger dann durch Schmierinfektionen von einer Person an die nächste weitergereicht. Sogar während eines Tropenurlaubs in einem 5-Sterne-Hotel sind die Reisenden nicht sicher geschützt. Selbst das beste, hygienisch einwandfrei arbeitende Personal in der Hotelküche hat keine Chance, wenn sie bereits kontaminierte Nahrungsmittel geliefert bekommen«, sagte Kollaritsch. Außerdem würden die Touristen in der Regel nicht daran glauben, dass in einer luxuriösen Unterkunft immer noch ein Infektionsrisiko besteht. So lässt sie das Ambiente häufig alle Vorsicht vergessen.
Durch Einhalten strenger Ernährungsregeln könnten Reisende ihr Durchfallrisiko nur um etwa 10 Prozent minimieren, so der Tropenmediziner. Die berühmte Empfehlung »peel it, cook it or forget it« sei zwar nett gemeint, doch wer auf Reisen nur geschältes Obst sowie gekochte oder gebratene Nahrungsmittel verzehre, würde eher sein Urlaubsvergnügen schmälern als eventuell vorhandenen Diarrhö-Erregern aus dem Weg gehen.
Giftige Auslöser
Obwohl manche Urlauber immer wieder Reiseumstände wie die Nahrungsumstellung, das andere Klima oder die Sonne für den störenden Durchfall verantwortlich machen, ist die Reisediarrhö eine reine Infektionskrankheit. Hauptauslöser sind Enterotoxin-produzierende Escherichia coli (ETEC = enterotoxische E.coli). Schätzungsweise an bis zu 50 Prozent aller Erkrankungen sollen diese Bakterien beteiligt sein. Rund 10 Prozent aller Reisenden erkranken dagegen an Bakterien wie Shigella, Salmonella oder Campylobakter. Weniger bedeutend sind Viren oder gar Parasiten. Daher wird die Rolle einer Norovirus-Infektion auf Kreuzfahrtschiffen von Reisenden zumeist sehr stark überbewertet. Zu den häufigsten Verursachern von Durchfallerkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern gehören übrigens Rotaviren.
In der Regel lösen Enterotoxine (Entero = Darm, Toxine = Giftstoffe) die akute Reisediarrhö aus. Diese Giftstoffe sondern vor allem Escherichia-coli-Bakterien, aber auch Salmonellen, Shigellen und Campylobakter ab. Außerdem können Salmonellen und Shigellen in die Darmschleimhaut eindringen und dort eine invasive Entzündung hervorrufen. »Doch nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Patienten mit einer Reisediarrhö ist davon betroffen«, informierte Kollaritsch. Da ein invasiv-entzündliches Krankheitsgeschehen für die Patienten gefährlich werden kann, müssen Betroffene auf Fieber oder starke Bauchschmerzen bei einer geringen Stuhlfrequenz achten. »Diese Patienten sollten immer einen Arzt aufsuchen«, erklärte der Tropenmediziner.
Doch für 90 Prozent der Betroffenen ist die Reisediarrhö harmlos und heilt von selbst aus. In der ersten Urlaubswoche erkranken die meisten am 3. oder 4. Tag am heftigsten. Die Patienten belastet diese Zeit sehr, denn im Durchschnitt müssen sie 3- bis 6-mal, in der akuten Phase sogar bis zu 20-mal auf die Toilette. Wenn sie dadurch geplante Aktivitäten verschieben oder stornieren müssen, wird die Diarrhö zu einer wirklichen Last.
Hilfe für Betroffene
Zur symptomatischen Therapie einer unkomplizierten Reisediarrhö ist Loperamid der Arzneistoff der Wahl. Er hemmt die Darmbewegung (Motilitätshemmer), ist rasch wirksam und verkürzt die Krankheitsdauer signifikant. In manchen Situationen sind Loperamid-Präparate sogar unverzichtbar, beispielsweise auf langen Auto- oder Busfahrten. Dennoch sollten die Patienten die Arzneimittel nicht länger als 48 Stunden einnehmen. Da Loperamid die Verweildauer der Krankheiterreger im Darm erheblich verlängert, kann es bei invasiven Keimen zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. So sind beispielsweise Darmperforationen möglich, wenn Patienten die Präparate zu lange einnehmen. Außerdem sollten PTA oder Apotheker bei der Abgabe eines Loperamid-Präparats darauf hinweisen, dass das Arzneimittel nicht bei Kindern unter zwei Jahren eingesetzt werden darf.
»Wirksamkeitsnachweise fehlen dagegen für die Anwendung von Absorbentien wie Kaolin, Pektin oder Kohle«, sagte Kollaritsch. Auch Probiotika können die Erkrankungszeit nicht verkürzen.
Eine der wichtigsten Therapie-Maßnahmen für Patienten mit Reisediarrhö ist die ausreichende Rehydrierung, das heißt die Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten zum Ausgleich des Wasser- und Mineralverlusts. Dann fühlen sich die Betroffenen nicht mehr so matt, und ihnen machen Kreislaufprobleme weniger zu schaffen. Allerdings sollten die Patienten wissen, dass die Rehydierung die Krankheitsdauer nicht verkürzt.
Ein sehr einfaches, aber bewährtes Rezept für Erwachsene ist die Mischung aus einem Glas Orangensaft mit einem Teelöffel Salz und einem Esslöffel Zucker. Dies entspricht etwa einer idealen Mischung von 3,5 g NaCl, 1,5 g KCl, 2,5 g NaHCO3 und 20 g Glukose pro Liter. »Bei Kleinkindern ist es dagegen eher ratsam, einen Arzt aufzusuchen«, empfahl Kollaritsch. Da die Kleinen in der Regel neben dem Durchfall auch unter Erbrechen leiden, ist bei ihnen eine wirkungsvolle orale Rehydrierung kaum möglich. Außerdem sollten sie immer Flüssigkeiten mit einer besonders ausgewogenen Elektrolytzusammensetzung bekommen.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
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