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Hashimoto-Thyreoiditis

Chaos in der Schilddrüse

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine häufige Erkrankung der Schilddrüse und die häufigste Ursache einer Schilddrüsenunterfunktion. Autoimmunbedingt geht das Schilddrüsengewebe zugrunde. Professor Dr. Hans Udo Zieren, Chirurg und Gründer des Deutschen Schilddrüsenzentrums, gibt Antworten zu einer Erkrankung, die sich in vielfältigen Schweregraden und Symptomen äußern kann.
Isabel Weinert
06.10.2023  14:50 Uhr

Einiges ist bekannt über die Hashimoto-Thyreoiditis, Wesentliches aber nach wie vor nicht. So wissen Forscher auch heute noch nicht, was ursächlich die autoimmunen Attacken körpereigener Antikörper gegen Gewebe der Schilddrüse anstößt. Eine genetische Komponente für autoimmune Prozesse könnte eine Rolle spielen, weil die Erkrankung auch familiär gehäuft auftritt. Viruserkrankungen sind – wie bei anderen Autoimmunerkrankungen auch – als mögliche Auslöser im Gespräch. Hinzu könnten Umwelteinflüsse kommen und psychosozialer Stress. Auch eine überhöhte Zufuhr von Jod könnte eine Rolle spielen, der Zusammenhang ist aber nicht hinreichend bewiesen.

Nicht klar ist auch, ob steigende Diagnosezahlen in Deutschland wirklich auf häufigere Erkrankungen zurückzuführen sind oder schlicht auf die vermehrte Suche nach den entsprechenden Antikörpern. »Heutzutage wird auch bei eher untypischen Beschwerden an eine mögliche Hashimoto-Thyreoiditis gedacht und daher werden auch häufiger entsprechende Untersuchungen veranlasst« sagt Zieren.

Frauen häufiger betroffen

Generell steigt das Erkrankungsrisiko mit dem Alter. Und Menschen mit einer anderen Autoimmunerkrankung wie Typ-1-Diabetes, Morbus Addison, rheumatoider Arthritis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder dem polyzystischen Ovarsyndrom erkranken öfter daran. Frauen trifft es neunmal häufiger als Männer – zumindest bis zur Menopause, dann gleicht sich das Risiko wieder an. Die Häufung in der reproduktiven Phase von Frauen weist darauf hin, dass weibliche Geschlechtshormone das Geschehen hin zu einem erhöhten Risiko beeinflussen.

Die Autoantikörper initiieren einen Entzündungsprozess in der Schilddrüse. Wie es dann weitergeht, das unterscheidet sich jedoch von Patient zu Patient. Mediziner kennen milde Verläufe, bei denen die Betroffenen symptomatisch völlig unauffällig sind. Demgegenüber stehen Erkrankungen mit Symptomen einer Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) und akute Schübe, die mit deutlichen lokalen Beschwerden im Bereich der Schilddrüse (Schmerzen) sowie mit einer vorübergehenden Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) einhergehen können. »Dabei korreliert die Menge der Autoantikörper nicht zwingend mit der Stärke der Beschwerden und Symptome«, weiß Zieren. »Häufig schwanken die Blutwerte im Laufe der Erkrankung.«

Nicht heilbar

Fest steht, dass eine Hashimoto-Thyreoiditis nicht heilbar ist. Aber die Entzündung kann derart mild verlaufen, dass Menschen mit dieser schwachen Ausprägung ihr Leben lang keiner Behandlung bedürfen. Welche Symptome können darauf hinweisen, dass mit der Schilddrüse »etwas nicht stimmt«? Da gibt es die klassischen Merkmale einer Hypothyreose, zu denen eine extreme Müdigkeit zählen kann, ein Mangel an Antrieb, Appetit und Konzentrationsvermögen, trockene Haut, depressive Verstimmung, Verstopfung, Gewichtszunahme und Kälteempfindlichkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen. Manchmal kommen leichte Schmerzen oder Missempfindungen am Hals hinzu oder zeigen sich als einziges Symptom. In diesem Fall nehmen Betroffene in der Regel gar nicht wahr, dass eine Entzündung der Schilddrüse die Symptome verursachen könnte.

Startet die Erkrankung aber nicht schleichend – wie es überwiegend der Fall ist –, sondern akut, dann leiden Betroffene unter starken Halsschmerzen und einem allgemeinen Krankheitsgefühl. »In solchen Phasen kann der vermehrte Zellverfall in der Schilddrüse Schilddrüsenhormone in großer Menge freisetzen und damit vorübergehend eine Überfunktion auslösen«, erklärt Zieren. Die klassischen Anzeichen einer Hyperthyreose sind eine erhöhte Herzfrequenz und ein erhöhter Blutdruck, Herzrasen und Herzrhythmusstörungen, Zittrigkeit, Nervosität, Angstgefühle, Schlafstörungen, Gewichtsverlust bei gleichzeitig gutem Appetit.

Diagnose-Trias

Will man dem Übel einer Hashimoto-Thyreoiditis auf die Spur kommen, brauchte es eine Diagnose-Trias aus der genauen Schilderung der Beschwerden durch den Patienten, aus Blutwerten und den Ergebnissen einer Ultraschalluntersuchung, so Zieren. »Ein erhöhter TSH-Wert als Hinweis auf eine Unterfunktion ist oft der Startschuss für eine weitergehende Diagnostik«. Die Menge der peripheren Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 zeigt dann an, ob es sich um eine latente oder um eine manifeste Fehlfunktion der Schilddrüse handelt.

»Die Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis wird wahrscheinlicher, wenn sich bestimmte Antikörper gegen schilddrüsenspezifische Antigene im Blut finden lassen«, erklärt der Experte. Dabei geht es zunächst unter anderem um Antikörper gegen die sogenannte Schilddrüsen-Peroxidase, abgekürzt TPO-AK. Zwischen 90 und 95 Prozent derer mit Hashimoto-Thyreoiditis tragen diese Autoantikörper in sich. Allerdings nicht nur sie, sondern auch ein großer Teil derjenigen, die an Morbus Basedow erkrankt sind. Und manchmal lassen sich diese Antikörper sogar bei gesunden Menschen finden. Deshalb ist der Test auf weitere Antikörper wichtig, aber auch der Ultraschallbefund. »Der Befund einer echoarmen Schilddrüse kann bei erfahrenen Medizinern sogar eine größere Aussagekraft haben als die Bestimmung von Autoantikörpern«, weiß der Schilddrüsenspezialist. Auf ein Szintigramm der Schilddrüse können Mediziner verzichten, wenn der Befund schon anhand der genannten Untersuchungen eindeutig ist.

Keine Einheitstherapie

»Die sich anschließende Therapie soll sich nach der aktuellen Symptomatik und nach den Befunden richten«, sagt Zieren, der schon Tausende von Schilddrüsenoperationen vorgenommen hat. Das ist besonders wichtig, denn in der Therapie dieser Erkrankung gibt es nicht die eine Dauerdosis oder die eine passende, lebenslange Therapie. »Es kommt immer darauf an, wie es dem Patienten geht und wie aktiv oder inaktiv die autoimmune Entzündung ist.«

Bei einer Hypothyreose, wie sie meist im Verlauf einer Hashimoto-Thyreoiditis auftritt, kommt zunächst L-Thyroxin zum Einsatz. Allerdings nicht in jedem Fall. Bei einer sogenannten latenten Hypothyreose entscheiden Mediziner im Einzelfall. Von einer latenten Hypothyreose sprechen sie bei einem erhöhten TSH-Wert über 4,0 mU/L und gleichzeitig noch normalem fT4 und fT3. Besteht nur eine latente Unterfunktion, müssen die Vorteile und Risiken der L-Thyroxin-Therapie im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Denn einerseits soll der Entwicklung einer manifesten und symptomatischen Unterfunktion vorgebeugt werden, andererseits solle eine Übertherapie vermieden werden, da diese unter anderem das Osteoporose-Risiko steigert.

TSH steigt mit dem Alter

Zudem ist zu beachten, dass der TSH-Spiegel im Laufe des Lebens auch ohne eine Schilddrüsenerkrankung ansteigt und daher alleine kein absolutes Entscheidungskriterium ist. Bei asymptomatischen Menschen über 70 Jahren kann sogar ein spontaner TSH-Wert von bis zu etwa 10 mU/L toleriert werden. Bei Schwangeren sieht es nochmals anders aus. »Ihr Thyroxinbedarf liegt 20 bis 30 Prozent über dem einer nicht schwangeren Frau. Das bedeutet: Die Thyroxindosis muss in der Schwangerschaft entsprechend angepasst werden«, erläutert Zieren.

Wenn bei einer akuten Form der Hashimoto-Thyreoiditis lokale Beschwerden auftreten, gehen Mediziner diese mit NSAR oder auch Glucocorticoiden an. Bei einer möglichen Freisetzungshyperthyreose kommen keine klassischen Thyreostatika zum Einsatz, weil diese nur die Produktion und nicht die Freisetzung des Thyroxins blockieren. Bei Hyperthyreose-bedingten Symptomen wie Zittern, Herzklopfen, innerer Unruhe werden Betablocker wie Propanolol eingesetzt.

Ruhe nach Entfernung

Zieren verweist auch auf eine Studie, bei der eine andere Therapie untersucht wurde: die chirurgische Entfernung der Schilddrüse bei euthyreoten Patienten mit lokalen Beschwerden. »In dieser prospektiv-randomisierten Studie ließ sich zum ersten Mal zeigen, dass die vollständige Entfernung der Schilddrüse dazu führte, dass Patienten ihre Lebensqualität höher einschätzten, sich weniger erschöpft und müde fühlten und zudem die TPO-Antikörper viel stärker absanken als nach einer klassischen symptomatischen medikamentösen Behandlung« erklärt er. Daher könnten Patienten mit entsprechendem Leidensdruck nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung von einer kompletten Schilddrüsenentfernung profitieren.

Herkunft der Hormone

Zur Behandlung der Hypothyreose stehen sowohl chemisch-synthetisch hergestelltes L-Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) als auch sogenannte bioidentische Hormonextrakte (DTE für Desiccated Thyroid Extract) zur Verfügung. Letztere werden aus den Schilddrüsen von Schweinen und – seltener – Rindern gewonnen. Sie sollen prinzipiell alle in der Schilddrüse produzierten Hormone – also neben Thyroxin zum Beispiel auch T3 und Calcitonin – in einem natürlichen Mischungsverhältnis enthalten. Allerdings ist der tatsächliche Hormongehalt nicht immer exakt reproduzierbar. Zudem sind die Kosten vergleichsweise hoch. Wegen der guten Steuerbarkeit und Verträglichkeit gilt die Gabe von synthetischem L-Thyroxin als primäres Medikament der Wahl. Sind die Patienten trotz guter laborchemischer Einstellung nicht zufrieden, kann ein Therapieversuch mit zusätzlichem Trijodthyronin oder auch mit DTE erfolgen. Am Ende komme es darauf an, dass es dem Patienten unter der Therapie gut geht.

Kontrollen wahrnehmen

Jeder chronische Entzündungsprozess, wo auch immer im Körper, steigert das Risiko für einen Tumor. Denn Entzündungen bedeuten eine hohe Teilungsrate von Zellen an diesem Ort und mit jeder Teilung geht die Möglichkeit einer Mutation einher. Aus diesem Grunde haben auch Menschen mit einer Hashimoto-Thyreoiditis eine etwas größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich in der Schilddrüse ein Tumor entwickelt. Um diesen so früh wie möglich zu erkennen und mehr noch, um zu wissen, wann die Therapie im Rahmen dieser schwankenden Krankheit angepasst werden muss, sollten Betroffene regelmäßig ihre Schilddrüse durch Blutwerte und Ultraschall überprüfen lassen, empfiehlt Zieren. Wenn keine aktuellen Probleme auftreten, reichen häufig Kontrollen in jährlichen Abständen.

Alternativen nur nach Absprache

Der Mediziner kennt auch die Stolperfallen für Patienten gerade bei Hashimoto-Thyreoiditis. »Nicht in jedem Fall lässt sich diese Erkrankung für die Patienten befriedigend behandeln. Dann suchen sie nach Alternativlösungen«. Vielfach nehmen Menschen dann Nahrungsergänzungsmittel ein oder probieren alternative Heilverfahren aus. »PTA sollten Patienten auf jeden Fall mit auf den Weg geben, keine Alternativtherapie und auch mit keinem Nahrungsergänzungsmittel ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu starten«, so Zieren.

Ein Beispiel ist die Einnahme von Selen, das grundsätzlich auch entzündungshemmend wirken kann. Zudem kann bei einem schweren Selenmangel eine Hypothyreose entstehen. Aber der Umkehrschluss, Selen helfe gegen eine Hypothyreose, stimmt nicht. Ist ein Mensch nämlich normal mit Selen versorgt, dann bringt ihn eine zusätzliche Einnahme nicht nur nicht weiter, sondern bei einer dauerhaften Überdosierung kann das Spurenelement durchaus auch Nebenwirkungen mit sich bringen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Haarausfall, Müdigkeit und Nervenschäden.

Menschen mit einer Hashimoto-Thyreoiditis sollten auch keine zusätzlichen Jodpräparate einnehmen, so Zieren. Eine sehr hohe Zufuhr des Spurenelements steht im Verdacht, der Erkrankung Vorschub leisten zu können. Eine Ausnahme gibt es aber von dieser Regel: die Schwangerschaft. Der hier erhöhte Jodbedarf soll auch bei bekannter Hashimoto-Thyreoiditis mit einer Zufuhr von außen ausgeglichen werden. /

 

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