Die Macht der Viren |
Viren aus ganz verschiedenen Familien bilden die Gruppe der Mykoviren. Ihnen allen gemeinsam ist ihre Affinität zu Pilzen. Sie unterscheiden sich von den humanpathogenen Viren dadurch, dass sie sich ausschließlich in der Wirtszelle aufhalten und sich nur mit Hilfe ihrer Zellteilung vermehren. Mit wenigen Ausnahmen existieren keine Virionen außerhalb der Zelle. Die Mykoviren werden deshalb auch als Kryptoviren (versteckte Viren) bezeichnet. Diese Eigenschaft führt dazu, dass sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, keine Erkrankung bei ihrem Wirt hervorrufen, was man als Hypovirulenz bezeichnet.
Mykoviren haben jedoch die Fähigkeit, den »Charakter« ihres Wirtes komplett zu verändern: vom friedlichen Schaf zum Wolf und umgekehrt. Sie regulieren bestimmte Gene der Wirtszelle herunter, andere wiederum hoch. So können sie den Zellzyklus, die DNA-Verarbeitung und -reparatur, die Zellverteidigung sowie den gesamten Stoffwechsel kontrollieren.
Chinesische Forscher der Huazhong Agricultural University in Wuhan haben den Schadpilz Sclerotinia sclerotiorum untersucht, der Raps, Soja und Sonnenblumen befällt und jährlich für hohe Ernteeinbußen sorgt. Sie infizierten ihn mit einem Mykovirus namens SsHADV-1 (Sclerotinia sclerotiorum hypovirulence-associated DNA virus 1) und stellten fest, dass das Virus den Pilz nicht wie erhofft abtötete. Dann bemerkten sie jedoch, dass der Pilz unter dem Einfluss des Virus zum harmlosen Endophyten geworden war und die Wirtspflanze gesünder und widerstandsfähiger werden ließ. Im Vergleich zum virulenten Stamm waren die Gene für jene Enzyme herunterreguliert, die die pflanzliche Zellwand abbauen. Auch die Gene für Effektorproteine, wichtige Angriffswerkzeuge des Pilzes, waren weniger aktiv. Das Gen, dessen Produkt die pflanzliche Abwehr verstärkt, war hingegen hochreguliert. Auf dieser Basis könnte es gelingen, neue und umweltverträglichere Pflanzenschutzmittel zu entwickeln.
Aber auch der gegenteilige Effekt ist möglich. Bestimmte Virustypen können die Zellen der Bäckerhefe veranlassen, Toxine herzustellen. Die hormonähnlichen Toxine wirken sehr spezifisch, indem sie die Membran der Zielzelle durchlöchern. Ziele können sowohl die eigene Spezies als auch konkurrierende Hefen sein. So stellt für das Brauerei- und das Winzergewerbe das Saccharomyces-cerevisiae-Virus LA ein ernst zu nehmendes Problem dar, weil es die Gärung ins Stocken bringen und damit ganze Ansätze verderben kann.
Die sogenannten Killerhefen versprechen für die Suche nach intelligenten Fungiziden und Antimykotika neue Ansätze. Durch die Auswahl verschiedener, auch gezüchteter Viren könnte es möglich sein, mit der Hilfe harmloser Hefepilze gezielt Toxine zu produzieren. Da manche Toxine auch die Zellteilung hemmen, könnten sie in der Behandlung von Tumorerkrankungen eine Rolle spielen. Die Forschungen dazu befinden sich jedoch noch im Anfangsstadium.