Gefahr durch den Nocebo-Effekt |
Im Beipackzettel stehen die Nebenwirkungen sehr ausführlich, während der Therapieeffekt zu kurz kommt. / Foto: Getty Images/LEA PATERSON/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Müdigkeit, Herzrasen, Atemnot – wenn man im Beipackzettel eines Medikaments die Liste der möglichen Nebenwirkungen durchliest, kann einem ganz anders werden. Vor einer Operation das gleiche – der Arzt kommt zum Aufklärungsgespräch und erzählt vor allem, was alles schiefgehen kann. Das Problem dabei: Bei vielen Patienten kreisen die Gedanken dann nur noch um Komplikationen und Nebenwirkungen, und prompt treten sie auch auf. Nocebo-Effekt nennt die Medizin das – ein negativer Placebo-Effekt. Gemeint sind dabei positive (Placebo) oder negative (Nocebo) Veränderungen des Gesundheitszustands, die nicht auf die eigentliche Wirkung von Medikamenten oder Operationen zurückzuführen sind.
Die Auswirkungen dieser Effekte sind offensichtlich viel größer als lange gedacht, sagen Experten, die sich zum größten internationalen Kongress zur Placebo-Forschung im Ruhrgebiet getroffen haben. Die Erkenntnisse können dabei helfen, Behandlungen effektiver zu machen, indem Mediziner anders kommunizieren.
»Placebo- und Nocebo-Effekte sind nicht einfach Einbildung. Wir wissen, dass es zu sehr komplexen neurobiologischen Phänomenen kommt«, erklärt Ulrike Bingel, Professorin für Neurologie und Leiterin des Zentrums für Schmerzmedizin an der Uniklinik Essen. Dass Aufklärungsgespräche vor Operationen und die Beipackzettel von Medikamenten den Fokus vor allem auf die Risiken richten, sei deshalb nicht unproblematisch, findet Bingel. »Im Beipackzettel steht auf drei Seiten kurzgefasst ›Tod und Verderben‹. Aber da steht überhaupt nicht, welcher Therapieeffekt in Ihrer speziellen Situation erreicht werden soll«, sagt die Placebo-Spezialistin.
Ben Colagiuri, Professor für Psychologie an der Universität Sydney, hat in einer Studie Patienten auf zwei verschiedene Weisen über die Nebenwirkungen einer Chemotherapie informiert. Einer Gruppe erzählten die Forscher, dass bei 30 Prozent der Patienten Übelkeit auftritt. Der anderen Gruppe erzählten sie, dass bei 70 Prozent der Patienten keine Übelkeit auftritt. Das Ergebnis: Die Patienten, denen die Botschaft positiv vermittelt wurde, litten seltener an Übelkeit.
Auf Basis der Placebo-Forschung könnten Ärzte inzwischen geschult werden, wie sie mit einer empathischen Haltung und einer positiven Kommunikation eine Behandlung unterstützen, sagt Andrea Evers, Professorin für Psychologie an der Universität Leiden in den Niederlanden. »Man kann lernen, auch mit wenig Zeit die Placebo- und Nocebo-Effekte zu berücksichtigen«, sagt sie. Wenn medizinisches Personal vor einer Spritze sagt: »Das tut jetzt kurz weh« – dann tut es dem Patienten auch weh. Schon kleine, beruhigende Wörter könnten einen großen Unterschied machen, sagt Evers. »So können wir die Gesundheitsversorgung verbessern, den Patienten helfen, und auch die Kosten reduzieren, weil die Behandlung effektiver ist.«