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Kindererholungskuren

Heimweh verboten

Aus heutiger Perspektive wäre es unvorstellbar, ein kleines Kind für mehrere Wochen allein in eine Kur zu schicken. Noch bis in die frühen 1980er-Jahre hinein war dies jedoch eine weit verbreitete Maßnahme – über deren Umstände lange geschwiegen wurde.
Angela Kalisch
25.11.2020  16:00 Uhr

Schwarze Pädagogik und Wirtschaftswunder

PTA-Forum: Es gibt den Verdacht, dass auch pharmazeutische Experimente mit den Kindern gemacht wurden. Ist dazu schon etwas bekannt?

Zeis: Das wird noch erforscht, aber in einigen Fällen steht schon fest, dass Medikamente verabreicht wurden, zum Beispiel, um die Kinder ruhigzustellen. (2)

Runde: Heute ist man da ja viel vorsichtiger geworden und würde Kindern keine Medikamente geben, wenn für dieses Alter keine Erkenntnisse vorliegen. Damit ist man früher viel sorgloser umgegangen.

PTA-Forum: Die NS-Ideologie und die pharmazeutischen Experimente sind zwei Aspekte der Forschung. Wie sieht es mit der wirtschaftlichen Seite aus, wer hat an den Verschickungen verdient? Erste Erkenntnisse lassen vermuten, dass es sich um eine gezielte Maßnahme gehandelt haben könnte, um den Kurorten im Wirtschaftswunder-Deutschland zu neuem Aufschwung zu verhelfen?

Zeis: Ja, aber hallo! Die Kinderkuren versprachen eine Bettenbelegung über das ganze Jahr, auch außerhalb der Ferien, finanziert und subventioniert über die Krankenversicherung. Viele Häuser existierten schon, wurden einfach von neuen Trägern übernommen, die Strukturen waren alle schon da. Und auch die Bahn hat daran verdient, Millionen von Kindern das ganze Jahr quer durchs Land zu fahren.

Runde: Und auch mit kleinen Beträgen wurde an den Kindern Geld verdient. Viele erinnern sich, dass bei der Ankunft im Heim alle Pflegeartikel wie Zahnpasta und Cremes eingesammelt wurden. Zudem mussten die Kinder von ihrem Taschengeld am Ende der Kur ein Abschlussfoto und weitere Souvenirs kaufen, um den Eltern eine Freude zu machen.

PTA-Forum: Was fordert die Initiative?

Zeis: Diese Geschichte gehört aufgearbeitet, genauso gründlich und seriös wie die Zeit des Nationalsozialismus. Man trifft damit nicht überall auf offene Türen, da steckt noch jede Menge Arbeit drin.

Runde: Es ist wichtig, die Dokumentation fertigzustellen. Die Sicht auf das Kind, der geänderte Blick auf die kindliche Seele muss im Vordergrund stehen, damit es nie wieder passiert, dass mit Kindern so umgegangen wird, sie für irgendeine Idee ausgenutzt werden.

PTA-Forum: Gibt es schon Reaktionen aus der Politik oder von den ehemaligen Trägern der Kurheime?

Zeis: Einige haben schon reagiert und bieten Unterstützung an, andere mauern. Aber so langsam kommt es in Bewegung, da muss man jetzt am Ball bleiben.

Runde: Eine konkrete Forderung an die Politik ist die Freigabe von Forschungsgeldern, damit weitere Studien finanziert werden können. In einigen Bundesländern gibt es schon einen Runden Tisch, um mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen.

»Diese Geschichte gehört aufgearbeitet, genauso gründlich und seriös wie der Nationalsozialismus.«
Sabine Zeis

PTA-Forum: Welche Interessen haben die Betroffenen, die sich in der Initiative beteiligen?

Zeis: Es gibt ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen. Da ist einmal die historische Aufarbeitung, Aufklärung über die Strukturen, gründliche Erforschung zeitgeschichtlicher und regionalgeschichtlicher Hintergründe. Andererseits Selbsthilfegruppen vor Ort. Manchen reicht schon der gemeinsame Austausch, sich einfach gefunden zu haben, zu wissen, damit nicht allein zu sein.

Das Erlebte hat bei vielen traumatische Spuren hinterlassen. Manche mögen sich gefragt haben, ob sie einfach zu sensibel waren und sich alles nur eingebildet haben. Die Gemeinschaft tut gut, der gemeinsame Austausch kann helfen, die belastenden Erinnerungen jetzt zu bewältigen.

Runde: In Deutschland war es ja früher nicht üblich, bei Problemen mit Kindern und Jugendlichen Psychotherapeuten zu Rate zu ziehen. Ein Ziel der Initiative sollte auch sein, sie jetzt nicht alleine zu lassen, ihnen den Weg zu therapeutischer Unterstützung zu erleichtern.

PTA-Forum: Wie sieht die Arbeit der Heim- und Landeskoordination aus?

Zeis: Normalerweise gibt es Treffen in regionalen Gruppen, zur gemeinsamen Spurensuche. Das ist wegen Corona zurzeit leider nicht möglich. Aber wir leisten auch viel Unterstützung bei Recherchen und dem Umgang mit Archiven. Es gibt einen intensiven Austausch untereinander. Außerdem werden Kontakte zur Politik, zu Presse und Medien geknüpft und die Öffentlichkeitsarbeit unterstützt.

Runde: Es wird jetzt auf vielen unterschiedlichen Kanälen miteinander kommuniziert. Übrigens ist es aus heutiger Sicht vielleicht etwas eigenartig, dass viele Kinder ausgerechnet wegen der zensierten Post so traurig waren. Aber damals gab es ja noch keine Smartphones, die meisten Eltern hatten nicht mal ein Festnetztelefon, also waren die Briefe die einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen, und auch die wurde den Kindern genommen. Es ist so wichtig, miteinander zu reden. Das wird jetzt nachgeholt.

PTA-Forum: In diesem Sinne ganz herzlichen Dank für das nette Gespräch!

Aktualisiert am 28.12.2020

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag Erholungskur mit Spätfolgen in der PZ.

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