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Bittergeschmack

Hui oder pfui

Die einen mögen ihn, die anderen verziehen angewidert das Gesicht: Warum bitterer Geschmack so unterschiedlich wahrgenommen wird und wie Bitteres der Gesundheit zugutekommen kann.
Barbara Döring
02.06.2025  12:00 Uhr

Ein morgendlicher starker Kaffee ist für viele Menschen der pure Genuss, andere ertragen das bittere Getränk allenfalls mit reichlich Milch verdünnt. An keiner anderen Geschmacksqualität scheiden sich die Geister wohl so stark wie bei Bitterem. Kein Wunder, denn ob wir zur Hui- oder Pfui-Fraktion gehören, hat viel mit Ess- und Genusserfahrungen im Laufe des Lebens zu tun.

Erst einmal kommen alle Menschen mit einer Abneigung gegen alles, was bitter schmeckt, auf die Welt. Babys, die bitteren Geschmack wahrnehmen, verziehen das Gesicht. Man spricht vom gustofaszialen Reflex. Vermutlich schützt die angeborene Aversion davor, versehentlich etwas Giftiges zu essen, das für Kinder schon in geringen Dosierungen schädlich sein kann. Schließlich weisen die meisten in der Natur vorkommenden Giftstoffe wie etwa Strychnin aus der Brechnuss oder Blausäure aus Maniok einen bitteren Geschmack auf.

Doch nicht alles, was bitter schmeckt, ist giftig. Manche Bitterstoffe sind im Gegenteil sogar der Gesundheit förderlich. Der Begriff Bitterstoff orientiert sich ausschließlich am Geschmack, nicht an der Molekülstruktur einer Substanz. Er umfasst chemisch sehr unterschiedliche Stoffe, die vor allem in Wurzeln, Blättern oder Früchten enthalten sind. Dazu zählen Glycoside, Isoprenoide oder Alkaloide. Einige Vertreter schützen die Pflanzen vor Krankheiten und Fraßfeinden. Beispiele für günstige Bitterstoffe sind das Intybin (auch Lactucopikrin) aus Chicorée oder das Cynarin aus der Artischocke.

Bitteres lieben lernen

Die Aversion gegen Bitteres bleibt meist nicht ein Leben lang bestehen. Durch den wiederholten und als positiv erlebten Genuss bitter schmeckender Lebensmittel wie Kaffee, Bier oder Grapefruit (Mere-Exposure-Effekt) und den Verzehr solcher Speisen im sozialen Umfeld kann sich die angeborene Abneigung ändern. Dann wird Bitteres oft sogar als besonders angenehm empfunden. Beim Kaffee trägt dazu die belebende Wirkung bei. Bereits Kinder können ihre Aversion ablegen, wenn ihnen bittere Lebensmittel wiederholt angeboten werden und sie das angenehme Gefühl der Sättigung mit dem Nahrungsmittel verbinden. Bei ihnen spielen zudem Vorbilder wie die Eltern eine große Rolle, wenn sie durch den Verzehr von Rosenkohl und Co. mit gutem Beispiel vorangehen.

Vermittelt wird der Bittergeschmack über T2R-Rezeptoren – auch TAS2R genannt – im Mund und auf der Zunge. Zwar werden die fünf Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig, umami und bitter prinzipiell in allen Bereichen der Zunge wahrgenommen; eine strenge Aufteilung der entsprechenden Rezeptoren gibt es nicht, wie früher angenommen. Dennoch wird bitter besonders stark im hinteren Bereich geschmeckt. Das könnte der Schutzfunktion geschuldet sein, giftige oder verdorbene Lebensmittel auszuspucken, bevor sie in den Rachen gelangen und geschluckt werden. Nicht jeder Mensch verfügt über die gleiche Ausstattung an T2R-Rezeptoren, weshalb Bitteres unterschiedlich wahrgenommen wird. Zudem gelten manche Menschen als »Supertaster«, die genetisch bedingt Geschmäcker intensiver wahrnehmen.

Gegen Nägelkauen

In der Datenbank BitterDB des Instituts für Biochemie, Lebensmittelwissenschaft und Ernährung der Hebräischen Universität Jerusalem sind inzwischen mehr als 2400 Bittermoleküle registriert, von denen etwa 2000 an einen T2R-Rezeptor binden. Die »Bitterkeit« eines Stoffs ist nicht objektiv messbar. Sie wird bestimmt, indem man den Geschmack mit einer Verdünnungsreihe von Chininhydrochlorid vergleicht. Einer der stärksten natürlichen Bitterstoffe ist Amarogentin, ein Bitterstoff des Gelben Enzians, der noch in einer Verdünnung von 1:60.000.000 als bitter empfunden wird. Noch bitterer ist Denatoniumbenzoat (Bitrex®), ein Derivat des Lokalanästhetikums Lidocain. Es wird verwendet, um Alkohol zu vergällen, sodass er nicht mehr für den menschlichen Genuss geeignet ist. Auch anderen Lösungsmitteln oder Reinigungsmitteln ist die Substanz beigemischt, um ein Verschlucken zu vermeiden. In speziellen Nagellacken kommt sie gegen Nägelkauen zum Einsatz.

Neben ihrer Funktion als Geschmackssensoren sind Bitterrezeptoren auch an der Regulation von Verdauungsprozessen beteiligt. So finden sich T2R nicht nur auf der Zunge und in der Mundhöhle, sondern auch auf der Oberfläche anderer Zellen und Gewebe des gesamten Darmtrakts. Schon lange ist bekannt, dass Bitterstoffe die Magensäureproduktion anregen. Forschende der Universität München haben jedoch erst kürzlich nachgewiesen, dass die beiden Bitterstoffe Koffein und L-Arginin diese Wirkung über die Bitterrezeptoren auf den säureproduzierenden Parietalzellen im Magen vermitteln. Die Wirkung ist womöglich darin begründet, dass eine potenziell giftige Speise durch das vermehrt gebildete Verdauungssekret unschädlich gemacht und schnell neutralisiert wird. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, neue Therapien gegen Reflux und Magengeschwüre zu entwickeln.

Auch die glatte Muskulatur der Atemwege verfügt über Bitterrezeptoren. Hier vermitteln sie bronchienerweiternde Effekte und eine erhöhte Schlagfrequenz der Zilien und tragen so zum Abtransport von Krankheitserregern bei. Selbst in Herzmuskel, Schilddrüse und auf Blutzellen wurden Bitterrezeptoren entdeckt, die Forschenden ganz neue Perspektiven eröffnen dürften.

Gesunde Wirkungen

Bitterstoffe unterstützen die Verdauung, können den Appetit anregen, aber auch Heißhunger bremsen. Zudem vermuten Forschende, dass sie das unspezifische Abwehrsystem des Darms stimulieren. Auch eine antidepressive Wirkung von Bittermitteln etwa aus Kurkuma ist in der Diskussion. Einige Bitterstoffe haben eine antioxidative Wirkung und sollen bei der Abwehr von Krankheitserregern helfen. Sie können die Lust auf Süßes verringern und so bei der Gewichtsregulation helfen. Eine Studie, an der Ernährungswissenschaftler der Universität Gießen beteiligt waren, deutet darauf hin, dass Bitterstoffe, die aus der Bittergurke gewonnen worden waren, auf den Blutzuckerspiegel wirken.

Ein in der Medizin bedeutsamer Bitterstoff ist das Alkaloid Chinin aus der Chinarinde, das einst als Malariamittel große Bedeutung hatte. Es verleiht zudem Getränken wie Bitter Lemon oder Tonic Water die besondere Note. Einige Bitterstoffe wie Koffein sind in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und entfalten hier ihre anregende Wirkung.

Um die gesunden Wirkungen von Bitterstoffen zu nutzen, hilft es, bitter schmeckende Lebensmittel regelmäßig in den Speiseplan zu integrieren. Dazu zählen Chicorée, Rosenkohl, Wirsing, Mangold, Artischocke und Aubergine. Auch Kräuter wie Basilikum, Bohnenkraut, Dill, Estragon, Oregano, Rosmarin, Salbei oder Thymian liefern reichlich Bitteres. Ein Salat mit Endivie, Radicchio, Rucola oder Löwenzahn aktiviert ebenfalls die T2R-Rezeptoren. Die Kräuter lassen sich auch getrocknet als Tee verwenden. Sie enthalten etwa die zehnfache Menge an Bitterstoffen wie die Frischpflanze. 2 g getrockneter Löwenzahn entspricht also etwa 20 g frischen Löwenzahnblättern. Da Bitterstoffe hitzeempfindlich sind, sollten sie nicht länger gekocht werden, sondern lediglich mit heißem Wasser überbrüht werden. Schwarzer und grüner Tee wartet ebenfalls mit Bitterstoffen auf. Beim Genuss von Grapefruit oder Grapefruitsaft ist zu bedenken, dass darin Stoffe enthalten sind, die Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) hemmen und so die Wirkung einiger Medikamente beeinträchtigen können.

Wer sich die gesunde Wirkung der Bitterstoffe zunutze machen möchte, aber den Geschmack nicht sonderlich schätzt, muss nicht verzagen. Die Chancen stehen gut, doch noch zum Bitterfan zu werden. Durch wiederholtes Probieren kann sich das Geschmacksempfinden schnell verändern. Beim nächsten Versuch schmeckt das Lebensmittel womöglich schon besser. Die Kombination mit anderen Geschmacksrichtungen kann zudem die Geschmacksnerven austricksen und den Genuss angenehmer machen. So schmeckt etwa ein Endivien-Salat mit Granatapfeldressing ausgewogener und Radicchio wird in Kombination mit Apfel milder.

Giftstoffe vermeiden

Vorsicht geboten ist bei bitter schmeckenden Kürbisgewächsen aus dem eigenen Garten. Sie könnten durch Rückzüchtung ebenso wie Zierkürbis hohe Mengen des giftigen Curcubitacins enthalten. Bei Kürbissen, Zucchini und Gurken aus dem Handel sind die Bitterstoffe dagegen zugunsten eines angenehmeren, süßeren Geschmacks zum großen Teil herausgezüchtet. Das gilt auch für andere ursprünglich bitter schmeckende, aber nicht giftige Gemüsesorten wie Möhren oder Auberginen. Selbst Chicorée und Radicchio können Bitterempfindliche heute kaum noch erschrecken. Etwas höher kann der Bitterstoffgehalt bei Gemüse direkt vom Erzeuger oder vom Wochenmarkt sein.

Übrigens schmecken auch die Alkaloide Solanin und Chaconin, die in grünen Stellen und Keimen von Kartoffeln vorkommen, leicht bitter und können zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen führen. Ebenso giftig sind die Blausäurevorstufen aus Bittermandeln, Steinobstkernen und Leinsamen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt, höchstens 15 g Leinsamen pro Mahlzeit aufzunehmen.

Der heute überwiegend abgemilderte, kaum noch bittere Geschmack von Lebensmitteln kann die natürliche Essbremse beeinträchtigen und die Lust auf Süßes steigern. Süßgeschmack regt zudem die Insulinproduktion an und kann zu Übergewicht beitragen. Wer sich jedoch partout nicht dazu hinreißen lässt, sich auf Bitteres einzulassen, wird keinen Mangel leiden. Bitterstoffe sind nicht essenziell, eine Mindestverzehrmenge gibt es nicht. Bei einer insgesamt ausgewogenen Ernährung dürfte es kein Problem sein, wenn einmal etwas nicht gemocht wird.

Vor und nach dem Essen

Bei Appetitlosigkeit und vorzeitigem Sättigungsgefühl empfiehlt es sich, einen bitterstoffhaltigen alkoholfreien Aperitif oder Heilpflanzensaft mit Wermut oder anderen Kräutern 30 Minuten vor der Mahlzeit einzunehmen. Nach einer schweren Mahlzeit genossen fördert ein Digestiv mit Artischocke oder ein Verdauungstee (siehe Kasten) die Magenfunktion. Zudem können Blähungen, die bei Anwendung von Quellstoffen auftreten, durch die Kombination mit Bitterstoffen mitunter vermieden werden.

Auch Eiweißbausteine zählen zu den Bitterstoffen. Das könnte unter anderem erklären, warum seit jeher Käse als Abschluss einer Mahlzeit gereicht wird, um »den Magen zu schließen«. Casein, das Hauptprotein aus Käse und Quark, schmeckt zwar selbst nicht bitter, bei der Verdauung im Magen entstehen daraus jedoch bitter schmeckende Peptide wie L-Arginin. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (LSB) lässt annehmen, dass die Peptide über Bitterrezeptoren Regulationsmechanismen wie die Ausschüttung von Serotonin aktivieren, die zum Sättigungsgefühl beitragen.

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