KI als Ersatz für menschliche Therapeuten? |
Bei psychischen Problemen fällt gerade jüngeren Menschen der Austausch mit KI oft leichter als mit menschlichen Therapeuten. / © Adobe Stock/Evrymmnt
Nach Angaben von Open.AI nutzen jede Woche 700 Millionen Menschen ChatGPT. Wie viele von ihnen Fragen zu psychischen Problemen stellen, beziffert das Unternehmen nicht. Studien zufolge zählen sie zu den häufigsten Themen, insbesondere bei jüngeren Nutzern. Vielen von ihnen fällt der offene Umgang mit der künstlichen Intelligenz offenbar leichter als mit einem menschlichen Therapeuten. Aber kann eine KI diesen wirklich ersetzen? Die Forschung zeigt: Menschen empfinden die unterstützende Haltung von Sprachmodellen wie ChatGPT positiv. Sie können das Gefühl vermitteln, gehört, ernst- und wahrgenommen zu werden. Mitunter schneiden Chatbots dabei sogar besser ab als menschliche Gesprächspartner.
In einer Studie des US-amerikanischen Psychologen Gabe Hatch erhielten 13 Psychotherapeuten sowie ChatGPT 18 fiktive Situationen aus einer Paartherapie und wurden um eine Reaktion gebeten. Die Antworten erhielten 830 Testpersonen, die sie bewerten und einschätzen sollten, ob sie von einem Menschen oder einer KI stammen. Punkten konnte ChatGPT vor allem in Empathie-Fähigkeit und kultureller Kompetenz. Herauszufiltern, was Mensch und was KI ist, fiel den Testpersonen schwer. Die richtige Antwort wurde nur in rund der Hälfte der Fälle erkannt.
Damit eine Therapie erfolgreich ist, braucht es neben Unterstützung aber noch weiteres Handwerkszeug. So müssen Therapeuten ihre Klienten mitunter mit Dingen konfrontieren, die sie nicht gerne hören. Sie müssen nonverbale Signale wahrnehmen, entschlüsseln und thematisieren können. Chatbots stoßen hier ganz klar an ihre Grenzen. Besonders problematisch ist das im Fall suizidaler Absichten. Solange Anwender diese nicht deutlich verbalisieren, wird die Situation von Chatbots meist unterschätzt und Hilfsangebote zu spät geliefert.
Dennoch sehen Experten großes Potenzial für einen sinnvollen Einsatz von künstlichen Intelligenzen in der Psychotherapie. Insbesondere bei leichteren Erkrankungen könnte ein KI-Therapeut helfen, Engpässe bei Therapieplätzen abzufedern und die Zeit bis zum Freiwerden eines Therapieplatzes zu überbrücken. Ist der Gesprächsbedarf größer als mit wöchentlichen Therapiesitzungen abgedeckt werden kann, wären Chatbots als Co-Therapeuten sinnvoll, die rund um die Uhr erreichbar sind. In einer Verhaltenstherapie können sie motivieren, erlernte Techniken zu Hause weiter zu üben.
Denkbar ist zudem, künstliche Intelligenzen als Anlaufstelle für Menschen zu etablieren, die (noch) nicht den Mut haben, sich einem menschlichen Therapeuten anzuvertrauen. Voraussetzung für den psychotherapeutischen Einsatz von Chatbots ist ein entsprechendes Training und das strikte Einhalten der erlernten Regeln. Wie gefährlich es werden kann, wenn Chatbots ohne Ausbildung als Therapeuten fungieren, zeigen Fälle aus den USA.
Aktuell wird das Unternehmen Character.AI von einer Familie verklagt, deren Sohn nach dem Austausch mit ihrer KI gewalttätig geworden ist. Eine weitere Mutter verklagt den Anbieter, da ihr Sohn nach dem Gespräch Suizid beging.
Erkennen, ob eine KI psychotherapeutisches Wissen besitzt, können Laien nicht. Recherchen von 404 Media konnten zeigen, dass KIs sich als Therapeuten ausgeben und Uniabschlüsse, Doktortitel und Lizenznummern erfinden, wenn Anwender sie danach fragen.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) kommen derzeit bei verschiedenen psychischen Störungen zum Einsatz und können zur Reduzierung der Symptome beitragen. Ärzte können die digitalen Angebote – meist Apps – verschreiben. Sie werden dann von den Krankenkassen erstattet. DiGA bei psychischen Störungen arbeiten auf Grundlage psychologischer Leitfäden. Die Antworten sind allerdings vorgefertigt, sodass keine Beziehung zwischen Anwender und App aufgebaut werden kann. Psychotherapeutische KI-Chatbots arbeiten nach denselben Leitfäden, zeigen sich im Antwortverhalten aber wesentlich flexibler. Für Menschen ist der Unterschied zwischen einem Gespräch mit einer KI oder einem menschlichen Therapeuten kaum mehr spürbar.
Ob es möglich ist, eine künstliche Intelligenz so auszubilden, dass sie Menschen mit psychischen Problemen unterstützt und ihnen nicht zur Gefahr wird, untersuchen Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie. Gearbeitet wird mit ChatGPT-4o von OpenAI. Der Chatbot verfügt bereits über grundlegendes psychotherapeutisches Wissen und kann die schriftliche Approbationsprüfung für Psychotherapeuten besser lösen als der Durchschnitt der menschlichen angehenden Therapeuten.
Weiter trainiert wurde er mit einer Methode aus der Verhaltenstherapie, der sogenannten Verhaltensaktivierung. Sie soll Menschen mit Depressionen unterstützen, Aktivitäten wieder aufzunehmen, die ihnen vor der Erkrankung Freude gemacht haben. Die Umsetzung der Methode und das Einhalten der gelernten Regeln wurde an KI-Patienten getestet. Dafür kreierten die Wissenschaftler mehr als 2000 verschiedene Menschen, die in Alter, Geschlecht, Schwere der Erkrankung und Verhalten im Gespräch variierten. Per Zufallsprinzip wurden 48 ausgewählt und von der KI therapiert.
Abschließend wurden die Gespräche durch zehn menschliche Therapeuten analysiert und bewertet. Das Ergebnis war durchweg positiv. Die KI hat alle Schritte der Verhaltensaktivierung befolgt, sich sehr unterstützend gezeigt und keine Aussagen getätigt, die für Patienten gefährlich werden könnten. Nachholbedarf sahen die Experten beim Hinterfragen der Ideen der Anwender. Hier zeigt sich der Chatbot auch dann unterstützend, wenn die Ideen weniger sinnvoll sind wie zum Beispiel häufige Belohnungen mit Schokolade.
Wie viele andere Wissenschaftler weltweit wollen die Karlsruher Forscher ihr Modell künftig weiter trainieren. Welche Daten dafür infrage kommen, ist ein sensibles Thema. Sollen Chatbots mit echten Daten aus Therapiesitzungen trainiert werden? Finden sich dafür überhaupt Menschen, die dem zustimmen? Nach welchen Kriterien müssten die menschlichen Therapeuten ausgewählt werden, wenn ihr Verhalten einer KI als Vorbild dienen soll? Und nicht zuletzt steht im Raum, wie Datenschutzrichtlinien dabei eingehalten werden können.
Problematisch könnte zudem sein, dass Chatbots menschliche Vorurteile und Stereotypen übernehmen. Auch die Schilderung traumatischer Erlebnisse hat Auswirkungen auf die Reaktion der KI, wie Wissenschaftler von der Yale School of Medicine in den USA zeigen konnten. Sie haben ChatGPT fünf verschiedene emotionsbesetzte Geschichten präsentiert und vorher beziehungsweise nachher mit psychologischen Standardtests die Angstwerte der KI ermittelt. Diese stiegen auf mehr als das Doppelte, während ein neutraler Vergleichstext keine Veränderungen bewirkte.
Aus der psychologischen Forschung weiß man, dass Angst bei Menschen Vorurteile verstärken kann. In einer Studie des Helmholtz Institute for Human-Centered AI konnte gezeigt werden, dass ChatGPT ganz ähnlich reagiert. Der »ängstliche« Chatbot reagierte rassistischer, sexistischer und diskriminierend gegenüber Älteren. Ob künstliche Intelligenzen lernen können, ihr problematisches Verhalten zu erkennen und entsprechend anzupassen, ist derzeit unklar. Die Wissenschaftler der Yale School of Medicine konnten zumindest zeigen, dass die Angstwerte des Chatbots deutlich schwächer ausfielen, wenn nach der traumatischen Geschichte ein Achtsamkeitstext präsentiert wurde.
Ebenfalls in Frage steht derzeit, wann und wie man psychotherapeutische Chatbots an Menschen testen kann. Bisher haben das nur wenige Arbeitsgruppen gemacht. Eine davon arbeitet am Dartmouth College in den USA. Sie haben 100 Testpersonen mit depressiven Symptomen, Ängsten und Essstörungen regelmäßig mit ihrem Chatbot kommunizieren lassen und Veränderungen der Beschwerden der Teilnehmer erfasst. Zur Absicherung wurden jedoch noch alle Chats mitgelesen.