Kindheitstrauma erkennen und überwinden |
»Traumatische Erfahrungen können sich im Erwachsenenalter bemerkbar machen, wenn man feststellt, dass man in bestimmten Situationen immer wieder auf alte Verhaltensmuster zurückgreift«, erklärt Stefanie Stahl weiter. »Diese Muster, die in der Vergangenheit nützliche Strategien darstellten, sind in der Gegenwart, wo die traumatische Situation nicht mehr besteht, oft dysfunktional.«
Und sie seien ein Hinweis darauf, dass das Gehirn nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden könne, so die Expertin. »Durch die Prägung aus der Kindheit ist es dann quasi umgekehrt: Man hat eine unnormale und unpassende Bewältigungsstrategie für eine normale Situation.«
Belastende Kindheitserlebnisse können auch Folgen auf körperlicher, sozialer und psychischer Ebene, etwa in Form psychischer Störungen und Erkrankungen haben.
»Das Vertrauen in andere Menschen, die Bindungsfähigkeit, eine Selbstwirksamkeit und eine Fähigkeit, sich wirkungsvoll mit der Umwelt auseinanderzusetzen leiden am stärksten unter einer Traumatisierung«, sagt Marc Schmid, Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT). »Kernproblem sind Schwierigkeiten in der Emotions-, Selbstwert- und Beziehungsregulation.«
»Traumata wirken sich dosisabhängig aus; je schwerer und länger die Traumatisierung andauert, desto tiefgreifender sind die Auswirkungen auf das spätere Leben«, so Stefanie Stahl. Sie nennt ein Beispiel: Wenn jemand etwa in seiner Kindheit und Jugend immer wieder durch ein Elternteil gedemütigt und sinnlos beschämt wurde, entwickelt er eine übermäßige Angst vor Fehlern und Ablehnung. »Das kann zu extremem Perfektionismus im Erwachsenenalter führen – und einen enormen Leidensdruck bedeuten.«
Ein wichtiger erster Schritt ist das Erkennen und Akzeptieren des Traumas als Teil der eigenen Lebensgeschichte. »Traumatisierte sind oft abgespalten von ihren Gefühlen, weil es zum Zeitpunkt des Traumas ein sinnvoller Überlebensmechanismus war, einfach gar nichts mehr zu fühlen«, sagt Stahl.
Doch sie können selbst versuchen, Zugang zu ihren Emotionen zu finden: »Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie viel sie selbst zur Heilung beitragen können, indem sie sich die richtigen Fragen stellen«, erklärt die Psychologin. »Wenn man etwas verändern möchte, sollte man sich grundsätzlich fragen: Was hat mich geprägt? Und wo verfalle ich immer wieder in Verhaltensweisen oder auch emotionale Zustände, die der äußeren Situation im Hier und Jetzt gar nicht angemessen sind?«
Das gehe auch in Selbsthilfe mit seriösen Leitfäden und Ratgebern, in manchen Fällen ist aber professionelle Hilfe, etwa in Form einer Psychotherapie, hilfreich oder auch nötig, um das Erlebte aufzuarbeiten und gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln.