Kräuterhexen und Erbschleicher |
Angela Kalisch |
29.03.2021 16:00 Uhr |
Voraussetzung für einen gelungenen Giftmord ist auch die Wahl des passenden Gifts. Um über die Nahrung verabreicht zu werden, sollte es geruchs- und geschmacksneutral sein und sich idealerweise chemisch nicht nachweisen lassen. Aufgrund dieser Eigenschaften erlebte Arsen eine unvergleichliche Karriere als König der Gifte. In den 1830er-Jahren gelang dem englischen Chemiker James Marsh der Nachweis von Arsen, wodurch es überhaupt erst möglich wurde, Giftmörder zu überführen. Der Verwendung von Arsen zum Morden tat dies jedoch keinen Abbruch.
Im Jahr 1831 wurde die Bremer Bürgerin Gesche Gottfried öffentlich hingerichtet, nachdem sie drei Jahre zuvor des mehrfachen Giftmordes überführt worden war. Regelmäßig hatte sie sich in einer Apotheke Arsen besorgt, das sie unter die Butter mischte. Insgesamt vergiftete sie 15 Menschen aus ihrer unmittelbaren Nähe, darunter ihre Ehemänner und Kinder. Durch die Gabe von kleinen Giftmengen erkrankten die Betroffenen zunächst schwer und wurden von Gesche Gottfried noch aufopferungsvoll gepflegt. Als die Wahrheit hinter den Todesfällen ans Licht kam, war das Entsetzen in der Bremer Gesellschaft groß. Eine Frau, die zu solchen Taten fähig war, galt als Monster. In der Literatur, die diesen Fall mehrfach aufgegriffen hat, begann man sich dagegen eher für die psychologischen Hintergründe der Tat zu interessieren. Die Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts werden dabei genauso hinterfragt wie der Umgang mit psychisch kranken Straftätern und ihre Schuldfähigkeit. Der Literatur kommt somit die wichtige Funktion zu, kritisch auf die Gesellschaft und auch die Rechtsprechung einzuwirken.
Während sich die forensische Toxikologie über die Jahrzehnte einen Wettlauf im Nachweis immer neuer Modegifte lieferte, entdeckte die Literatur den spannenden Unterhaltungswert der Giftmorde. Das beliebte Genre der Kriminalromane lebt davon, raffinierte Verbrechen zu ersinnen und sie von cleveren Ermittlern aufdecken zu lassen. Der Giftmord bietet dafür ein besonders breites Spektrum an Möglichkeiten, wobei die Kenntnis über toxische Substanzen oder eine ausgefallene Methode, ein Gift zu verabreichen, den Reiz der Geschichte ausmachen.
Zwei der bekanntesten Kriminalautoren waren mit Medizin und Pharmazie bestens vertraut. Sir Arthur Conan Doyle, der die Fälle rund um Sherlock Holmes und Dr. Watson schrieb, war selbst Arzt und ließ seine beiden Ermittler mit wissenschaftlichen Methoden Verbrechen aufklären, die der klassischen Polizeiarbeit weit voraus waren. Und Agatha Christie, die Meisterin der Kriminalromane schlechthin, hatte im Ersten Weltkrieg in einer Krankenhausapotheke als Assistentin gearbeitet – in der heutigen Zeit wäre sie vielleicht PTA geworden. Durch ihre Arbeit in der Apotheke wurde Agatha Christie bewusst, dass sie von lauter Substanzen umgeben war, die in der richtigen Dosis Krankheiten lindern und heilen, bei missbräuchlichem Einsatz aber zur tödlichen Gefahr werden konnten. Davon inspiriert, betritt gleich in ihrem Romandebüt »The Mysterious Affair at Styles« (»Das fehlende Glied in der Kette«) der geniale Detektiv Hercule Poirot die Bühne und muss einen Giftmord aufklären. Einen komplett anderen Ermittlertyp hat Agatha Christie mit der schrulligen Miss Marple geschaffen, die auf ihre ganz eigene unkonventionelle Weise Verbrechen aufklärt. Nicht eben wenige davon, man ahnt es schon, sind Giftmorde. Ob ungeliebte Ehepartner oder reiche Erbonkel, bei erfolgreichem Giftmord trug das frühzeitige Ticket ins Jenseits den Stempel »Herzversagen«.
Der Gedanke, dass auch die Literatur selbst lebensgefährlich sein kann, steht im Mittelpunkt von Umberto Ecos Meisterwerk »Der Name der Rose«. In diesem historischen Krimi ereignet sich eine Reihe von mysteriösen Todesfällen unter Mönchen, die ein Buch aus dem verbotenen Teil der Bibliothek gelesen haben. Ob die Lektüre eines Buches die Leser in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord treiben kann? Tatsächlich ist das Buch das Mordwerkzeug, weniger allerdings sein aufklärerischer Inhalt als die mit Gift versetzten Seiten.