Kurzkettige Fettsäuren im Fokus |
Barbara Döring |
04.12.2024 08:00 Uhr |
Die Untersuchungen lassen vermuten, dass die Bakterien-Metabolite den Neurotransmitter-Haushalt sowie die Ausbildung von Synapsen und damit kognitive Funktionen beeinflussen. Die kurzkettigen Fettsäuren helfen offenbar zudem der Mikroglia, Entzündungsreaktionen zu bekämpfen. Die »Fresszellen des Gehirns«, auch Gehirn-Makrophagen genannt, entsorgen eingedrungene Keime, abgestorbene Nervenzellen und sind an der lebenslangen Formbarkeit des Gehirns beteiligt. Ein Mangel an SCFA scheint dagegen die Funktion der Mikroglia zu beeinträchtigen. Störungen der Mikroglia wiederum bringen Forscher mit neurologischen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer in Verbindung.
Dass die Bakteriengemeinschaft im Darm die Immunabwehr des Gehirns beeinflusst, hatten Neuropathologen des Universitätsklinikums Freiburg am Mäusemodell festgestellt. Sie konnten zudem nachweisen, dass SCFA für die Funktion der Mikroglia benötigt werden. Bei sterilen Mäusen ohne Darmflora war die Mikroglia unreif und verkümmert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Ernährung mit ausreichendem Ballaststoffanteil, der die Darmbakterien zur Produktion von SCFA anregt, auch bei der Prävention von Gehirnerkrankungen eine Rolle spielen kann.
Studien der Ruhr-Universität Bochum zeigen darüber hinaus, dass Patienten mit Multipler Sklerose (MS) von einer Supplementation mit kurzkettigen Fettsäuren profitieren könnten. Bei MS-Patienten, die mit Propionsäure supplementiert wurden, kam es bereits nach zwei Wochen zur Erhöhung und gesteigerten Funktion von regulatorischen Immunzellen, die Entzündungsreaktionen reduzieren. Nach der dreijährigen Anwendung waren Schubrate und körperliche Einschränkungen reduziert und der Untergang von Nervenzellen im Gehirn verringert. Die Erkenntnisse könnten dazu führen, diätetische Maßnahmen als Ergänzung zu den bekannten MS-Therapeutika zu entwickeln.
Damit dem Körper ausreichend kurzkettige Fettsäuren zur Verfügung stehen, ist es wichtig, dass sich SCFA-produzierende Bakterienstämme im Darm wohl fühlen. Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen – vor allem löslichen Ballaststoffen – ist, füttert die günstigen Bakterien und regt sie zur Vermehrung an. 30 g Ballaststoffe insgesamt – lösliche und unlösliche – sollten es täglich für eine ausreichende Produktion von SCFA sein. Wer reichlich Gemüse verzehrt, ist schon einmal auf der guten Seite. Als besonders ergiebige Lieferanten des löslichen Ballaststoffs Inulin zählen Chicorée, Artischocken, Topinambur, Schwarzwurzel, Spargel, Kohl und Lauchgewächse wie Porree, Zwiebeln und Knoblauch. Obstsorten wie Äpfel, Birnen, Beeren, Zitrusfrüchte, Pflaumen und Aprikosen liefern den löslichen Ballaststoff Pektin. Hülsenfrüchte tragen zur Versorgung mit löslichen Ballaststoffen in Form von Galacto-Oligosacchariden (GOS) bei.
Neben löslichen Ballaststoffen zählt resistente Stärke zu den Leibspeisen der SCFA-produzierenden Bakterien. Sie entsteht, wenn stärkehaltige Lebensmittel wie Brot, Kartoffeln, Reis oder Teigwaren abkühlen. Die Lebensmittel müssen etwa zwölf Stunden stehen bleiben, bis sich eine ausreichend große Menge Kohlenhydrate in resistente Stärke umgewandelt hat. Kartoffelsalat darf deshalb gerne häufiger auf dem Speiseplan stehen. Die resistente Stärke bleibt aber auch bei erneutem Erhitzen erhalten, etwa wenn es lieber Bratkartoffeln sein sollen. Unterstützt wird das Mikrobiom zudem durch Milchsäurebakterien (Probiotika), die mit fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Essig, Joghurt, Kimchi oder Sauerteig in den Darm gelangen. Manche Lebensmittel enthalten bereits kurzkettige Fettsäuren, zum Beispiel Milch und daraus hergestellte Produkte wie Butter und Käse.
Studien am Mausmodell konnten zeigen, dass durch die Gabe von Probiotika wie Bifidobacterium longum im Darm vermehrt Butyrat gebildet wurden und die Infektanfälligkeit sank. Eine probiotische Mischung aus acht Bakterienstämmen, darunter Lactobacillus, Bifidobacterium und einem Streptococcus-Stamm hatte in verschiedenen Studien deutliche Wirkungen auf Erkrankungen des Verdauungssystems und einen positiven Einfluss auf Adipositas, Diabetes, allergische und neurologische Erkrankungen.
Die Erkenntnisse unterstützen die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) überwiegend pflanzlich und ballaststoffreich zu essen. Da eine hohe Zufuhr an Ballaststoffen die Aufnahme von kurzkettigen Fettsäuren in den systemischen Kreislauf fördert, kann sie laut DGE zur Prävention von Entzündungen und Krebs beitragen. Die gute Nachricht für alle, bei denen Ballaststoffe in der Ernährung bislang zu kurz gekommen sind: Werden die Essgewohnheiten umgestellt, finden bereits innerhalb eines Tages Veränderungen der Darmflora statt. Dafür sollten ungünstige Fette und Zucker, wie sie vor allem in Fast Food enthalten sind, reduziert werden. Eine hohe Zufuhr verändert die Zusammensetzung und Vielfalt der Darmbakterien und führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für entzündliche Erkrankungen.