»Lasst uns doch einfach stottern« |
Den Blickkontakt halten und keine Wörter vorwegnehmen, wenn es beim Sprechen mal länger dauert: Stotternde Menschen möchten von ihrem Umfeld nicht anders behandelt werden wie flüssig sprechende Menschen. / Foto: Getty Images/Westend61
Diese sei weltweit von mehr als 50 Organisationen unterzeichnet worden, teilte die deutsche Interessenvertretung stotternder Menschen in Köln mit. »Lasst uns doch einfach stottern, erwartet nicht automatisch, dass wir unser Sprechen verändern oder anpassen müssen«, forderte die Vorsitzende des Selbsthilfe-Verbands, Anja Herde. In der internationalen »Erklärung auf das Recht zu stottern« heißt es etwa, es müsse betroffenen Menschen selbst überlassen werden, ob sie Unterstützung, zum Beispiel in Form einer logopädischen Therapie, in Anspruch nehmen möchten oder nicht.
»Durch die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention wurde schon viel bewegt«, sagte Herde. Die Redeflussstörung sei als Behinderung anerkannt, so hätten stotternde Schulkinder Anspruch auf einen so bezeichneten Nachteilsausgleich. Dennoch fehle es noch zu oft an allgemeiner Akzeptanz. Dem Selbsthilfe-Verband zufolge sind stotternde Menschen häufig noch Hohn und Spott ihrer Mitmenschen ausgesetzt. Sie würden auf »Basis von Fehleinschätzungen und Vorurteilen in Ausbildung und Beruf benachteiligt«. »Es ist unser Recht, so zu sprechen, wie wir es tun«, forderte die Vorsitzende, die selbst seit ihrer Kindheit stottert.
Stottern ist einfach ausgedrückt eine Störung des Sprechablaufs. Die Betroffenen wissen, was sie sagen möchten, können es aber nicht aussprechen oder brauchen länger dafür. Dabei werden Silben oder Laute wiederholt. Die neurologisch bedingte Störung des Redeflusses werde vererbt, sagt Herde.
»Eine gewisse Autobahn im Gehirn, die das Sprechen steuert, ist nicht so ausgefahren, sondern eng und holprig«, erläutert Herde, die selbst seit dem vierten Lebensjahr stottert. Beim Sprechablauf arbeite die rechte Gehirnhälfte mehr als die linke. Es müsse irgendeinen auslösenden Faktor geben, »über den wir wenig wissen«, erklärt der Neurologe Martin Sommer von der Bundesvereinigung.
»Für alle Altersgruppen gibt es sinnvolle Therapien«, sagt der Logopäde Robert Richter in Leipzig. Stottern beginne in der Regel ab dem dritten Lebensjahr und könne bis ins hohe Alter andauern. »Bei 70 bis 80 Prozent der Kinder, die damit anfangen, bildet sich das Stottern wieder zurück, gegebenenfalls auch ohne therapeutische Unterstützung.« Doch nicht allen gelingt das.
Allerdings lasse sich mit Therapien das »überdauernde Stottern« in den meisten Fällen gut behandeln, erklärt Richter. Nach seinen Angaben gibt es zwei große Therapie-Richtungen: das Erlernen einer Sprechtechnik und eine zur Stressreduktion. Bei der Sprechtechnik gehe es zum Beispiel darum, »das einzelne Stotter-Ereignis leicht zu lösen. Denn in der Folge des Stotterns können sich emotionale Reaktionen wie Angst und Scham entwickeln.«
Bei manchen ist die Sehnsucht groß nach einem Wundermittel als Alternative zu den Therapien. »Nach meinem Empfinden gibt es aktuell wieder mehr Forschung«, sagt Anja Herde, die Vorsitzende der Bundesvereinigung. Es gehe aber vielmehr darum, die »Einstellung hin zu einer inklusiven Gesellschaft zu verändern und Stotternde zu unterstützen. Sie sollen so sprechen können, wie sie es nun mal tun.«