Lipödem – verbreitet und oft unerkannt |
Mit Sport und Diät ist ein Lipödem meist nicht in den Griff zu bekommen. / Foto: Getty Images/Iam Anupong
Es ist eine schwere, unheilbare Erkrankung, die nahezu ausschließlich Frauen trifft und oft eine massive Volumenzunahme vor allem an Beinen und Armen sowie Dauerschmerzen bedeutet. Das Lipödem ist weitverbreitet, bleibt aber häufig unerkannt oder wird mit Adipositas verwechselt. Die Ursachen der chronischen Krankheit, bei der es zu einer drastischen Vermehrung und Vergrößerung von Fettzellen kommt, sind noch immer weitgehend unklar.
»Der Weg bis zur Diagnose ist für viele Frauen voller Stolpersteine«, sagt Tanja Degner, die von der Erkrankung betroffen ist. »Nach einem wahren Ärzte-Marathon und 14 Jahren mit extremer Gewichtszunahme und starken Beschwerden habe ich dann endlich die richtige Diagnose bekommen.« Der Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie am Uniklinikum Münster, Tobias Hirsch, spricht von einem »Diagnose-Gap« von oft rund 20 Jahren, bis das Lipödem richtig erkannt werde. »Wir wissen zu wenig über diese Krankheit und was genau im Körper passiert.« Klare Zahlen zu Betroffenen gebe es nicht, die Dunkelziffer sei hoch.
Unstrittig: »Ein relevanter Teil der weiblichen Bevölkerung ist betroffen.« Es gebe wenig spezialisierte Ärzte, bei denen es zu extremen Wartezeiten komme. »Wir gehen von einer genetischen Veranlagung und hormonellen Triggern aus, und dass das Lipödem in hohem Maße Diät-resistent ist.« Trotzdem spiele Ernährung eine Rolle. Manchmal komme Adipositas noch obendrauf.
Das Lipödem wird je nach Fettgewebemenge in die Stufen I bis III unterteilt. Im dritten Stadium kann der Umfang so enorm sein, dass das Gewebe über die typischerweise schmal bleibenden Knie-, Hand- und Fußgelenke hinüberhängt. Bei manchen verharre das Lipödem aber auch in Stadium I oder II, erläutert Hirsch, der im Gesundheitsausschuss des Bundestags als Sachverständiger eine bessere Versorgung angemahnt hatte. Die Stufen-Einteilung nach Fettmasse hält er für sehr problematisch, denn der Schmerz sei das zentrale Symptom. »Es kann sein, dass eine Patientin mit noch schlanken Beinen im Stadion I sehr viel stärkere Schmerzen hat als eine Frau im Stadion III mit massiver Volumenzunahme.«
Claudia Effertz von der Lipödem-Gesellschaft (LipöG) schätzt, dass bundesweit bis zu vier Millionen Frauen vom Lipödem betroffen sind, sehr viele das aber nicht wissen. Es brauche eine breite Informationskampagne. Meistens trete das Lipödem in Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause auf. Es könne zu orthopädischen Begleiterkrankungen wie einer Fehlstellung der Beinachsen oder Gelenkverschleiß kommen. Auch die seelischen Belastungen seien schwer. Verlauf, Ausmaß und Dynamik variierten.
Kompressionswäsche und Lymphdrainage helfen, die Beschwerden zu lindern. Auch Tanja Degners Tag beginnt damit, sich in medizinische Kompressionsstrümpfe zu zwängen. »Ich habe 24 Stunden am Tag Schmerzen in den Armen und den Beinen und bin von einem sekundären Lymphödem betroffen«, schildert sie – es droht ihr also auch eine Degeneration der Lymphgefäße. Das Gewicht belastet Wirbelsäule und Gelenke, zwei Knie-Operationen waren erforderlich. Nach ihrer Diagnose hat sie mithilfe einer Ernährungsberaterin und Bewegungstherapie inzwischen 45 Kilo verloren. Für eine Liposuktion – operatives Fettabsaugen – lehnte ihre Krankenkasse die Kostenübernahme ab. Nach der Absage sei sie psychisch zusammengebrochen, sagt die 52-Jährige.