Macht Verzicht glücklich? |
Minimalismus ist kein neuer Trend, hat es aber in den vergangenen Jahren zu enormer Beliebtheit geschafft. Auf Instagram und Youtube tummeln sich Influencer, die Einblicke in ihr Leben geben, es werden praktische Anleitungen und Tipps geteilt. Es gibt unzählige Bücher und Blogs zum Thema. Und auch die Forschung setzt sich mit Minimalismus als Lebensstil auseinander. Dabei wird klar: Minimalismus wird individuell ganz unterschiedlich gelebt und findet sich in einer großen Bandbreite.
In den Sozialwissenschaften werden inzwischen drei verschiedene Typen definiert: Auf Stufe 1 stehen die moderaten Minimalisten. Sie konzentrieren sich auf das Ausmisten überflüssig gewordener Gegenstände und verzichten in ausgewählten Lebensbereichen bewusst auf Konsumgüter, während andere Lebensbereiche davon unangetastet bleiben. Auf Stufe 2 finden sich die starken Minimalisten. Sie verzichten bewusst auf eine (stressige) Karriere und reduzieren freiwillig ihr Einkommen, um sich Themen widmen zu können, die ihnen bedeutsamer erscheinen. Der Lebensstil wird hierbei in der Regel stark reduziert. Noch einen Schritt weiter gehen die ganzheitlichen Minimalisten. Ihr Besitz ist auf wenige ausgewählte Dinge reduziert, der Wohnraum minimiert. Sie verzichten vollständig auf Konsum und führen ein Leben als Selbstversorger. Wichtig für alle drei Minimalismus-Typen ist, dass die Wahl des Lebensstils freiwillig erfolgt, um eine klare Abgrenzung zu prekären Lebensbedingungen aus wirtschaftlicher Not heraus zu schaffen.
Wie stark sich die einzelnen Auslegungen von Minimalismus auf das Wohlbefinden seiner Anwender tatsächlich auswirken, ist bisher wenig untersucht. In einer Metaanalyse der University of North Texas mit 23 Studien konnte zwar bestätigt werden, dass ein bewusst einfacher Lebensstil mit einem erhöhten Wohlbefinden einhergeht, allerdings nicht für alle Bevölkerungsgruppen. So deutet die Studie daraufhin, dass Menschen mit niedrigem Einkommen stärker vom Minimalismus profitieren als Menschen mit hohen Einkommen. Das Team um Joshua Hook vermutet, dass es Menschen mit hohem Einkommen einfach schwerer fällt, bewusst auf ihren gewohnten Lebensstandard zu verzichten und mit weniger Konsum glücklich zu sein. Zudem konnte die Meta-Studie zeigen, dass die Verbindung von Wohlbefinden und Minimalismus stärker ausgeprägt ist, je älter die Studienteilnehmer waren.
Darüber hinaus wird Minimalismus nicht nur positiv gesehen. Psychologen weisen darauf hin, dass auch hinter einer minimalistischen Lebenseinstellung immer die Vorstellung steckt, das eigene Wohlbefinden über die richtigen Konsumentscheidungen steuern zu können. Der Disziplinierungs- und Optimierungsanspruch an das eigene Selbst kann dabei schnell überfordernd wirken. Kritisch wird zudem der Umstand gesehen, dass Unternehmen Minimalisten längst für sich entdeckt haben. Sie nutzen ihre konsumkritische Haltung gezielt in Produkt- und Serviceangeboten sowie in ihrer Kommunikation. Minimalisten liegen im Fokus von Unternehmen, die umweltfreundliche Produkte mit durchaus hohen Preisen anbieten. Denn bekannt ist, Minimalisten legen bei ihren Kaufentscheidungen Wert auf hochwertige und langlebige Produkte. Auch Serviceleistungen wie Mietangebote für Produkte, Car-Sharing oder Reparaturdienstleistungen orientieren sich inzwischen ganz an den Bedürfnissen von Minimalisten und sprechen sie gezielt an.