Mehr Essstörungen bei Jugendlichen |
Verena Schmidt |
27.06.2023 15:30 Uhr |
Bei der Bulimie, der Ess-Brech-Sucht, kommt es ebenfalls zu den beschriebenen Essanfällen mit Kontrollverlust. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme ergreifen Bulimie-Betroffene allerdings anschließend »Gegenmaßnahmen«: Typischerweise führen sie selbst Erbrechen herbei (Purging), aber auch anschließendes Hungern, übermäßiges Sporttreiben oder eine missbräuchliche Anwendung von Medikamenten wie Appetitzügler, Abführmittel oder Diuretika sind gängig. Das führt oft in einen Teufelskreis: Die strenge Diät oder das Fasten lösen Heißhunger und daraufhin erneute Essanfälle aus. Diese wiederum bestärken die Betroffenen in dem Gefühl, gegensteuern zu müssen, um nicht zuzunehmen.
Bulimie-Betroffene sind in der Regel normalgewichtig, können aber auch zu viel oder zu wenig wiegen. Sie sind meist sehr unzufrieden mit ihrer Figur und ihrem Gewicht, ihr Selbstwertgefühl ist stark von ihrem Aussehen abhängig. Sie beschäftigen sich häufig und in übertriebenem Ausmaß mit ihrem Gewicht und leiden unter der Angst, dick zu werden.
Generell gilt: Viele Betroffene mit Binge-Eating und Bulimie erleben gute und schlechte Phasen. Oft zeigen sie über Monate hinweg keine Symptome. Dann können aber wieder Phasen mit verstärkten Anfällen und krankhaftem Verhalten folgen.
Durch das häufige Erbrechen bei der Bulimie sind Schäden an Zähnen und der Speiseröhre möglich. Auch Elektrolytstörungen, Nährstoffmangel, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufprobleme, Nierenschäden und eine verminderte Knochendichte können als Folgeschäden auftreten. Bei Mädchen und Frauen kann die Regelblutung ausbleiben.
Während die Betroffenen eine Bulimie oder Binge-Eating-Störung meist über Monate oder gar Jahre vor ihrem Umfeld verheimlichen können, ist das bei der dritten großen Form der Essstörungen, der Magersucht, langfristig kaum möglich. Denn typisch für die Anorexie oder Anorexia nervosa ist, dass die Betroffenen meist auffallend dünn sind beziehungsweise dass sie sehr stark an Gewicht verlieren. Sie selbst haben jedoch eine verzerrte Körperwahrnehmung und empfinden sich als zu dick und unförmig und schränken daher das Essen immer mehr ein. Das Körpergewicht hat einen enorm hohen Einfluss auf ihr Selbstwertgefühl.
Menschen mit einer Magersucht leiden unter der ständigen Angst, zuzunehmen. Gedanklich beschäftigen sie sich ständig mit Essen und ihrem Gewicht. Typisch ist die Furcht davor, dass das eigene Essverhalten außer Kontrolle gerät. Daher entwickeln die Betroffenen oft strikte Regeln für sich selbst: Sie essen extrem wenig und verzichten auf viele Nahrungsmittel, die als ungeeignet angesehen werden. Häufig entwickeln sie Rituale wie Kalorienzählen, langsames Essen oder Kleinschneiden der Nahrung und das Verzehren sehr kleiner Bissen. Auch Medikamentenabusus, Erbrechen und übermäßiges Sporttreiben können Teil der Erkrankung sein.
Starkes Untergewicht geht mit einem Nährstoff- und Elektrolytmangel einher und kann unter anderem zu Anämie, Bradykardie, Herz-Kreislauf-Problemen, verminderter Knochendichte und trockener Haut und Haarausfall führen. Bricht die Erkrankung früh aus, kann sich die körperliche Entwicklung verzögern, die Monatsblutung ausbleiben. Typisch ist auch eine Lanugobehaarung, die natürlicherweise nur bei Feten im Mutterleib vorhanden ist: Am ganzen Körper wächst ein feiner, heller Haarflaum.
Im schlechtesten Fall kann eine Magersucht – wie auch die anderen Essstörungen – tödlich enden. 2017 starben laut Statistischem Bundesamt 78 Menschen in Deutschland aufgrund von Essstörungen. Auch die KKH weist in ihrer Pressemeldung explizit darauf hin, dass Magersucht, Bulimie und Binge-Eating schwere psychische Erkrankungen sind, die häufig mit Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendem Verhalten oder Suchterkrankungen einhergehen. Wichtig: Die Patienten brauchen eine adäquate medizinische und psychotherapeutische Therapie; gut gemeinte Ratschläge aus dem Umfeld helfen in aller Regel nicht weiter.
Der erste Schritt zur Therapie ist die Selbsterkenntnis, krank zu sein – eine große Hürde, denn den Betroffenen fällt es oft enorm schwer, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Eltern und Freunde sollten daher ein wachsames Auge auf Veränderungen beim Essverhalten haben und möglichst früh Unterstützung anbieten (siehe Kasten). Mögliche Anlaufstellen sind neben dem Kinder- und Jugendarzt unter anderem spezielle Beratungsstellen vor Ort und telefonische sowie Online-Beratungsangebote der BZgA (Tel.: 0221 892031, www.bzga-essstoerungen.de/) und des Selbsthilfevereins ANAD® (www.anad.de).