Mehr junge Frauen mit riskantem Konsum |
Suchthilfeeinrichtungen in Deutschland müssten sich an diese Entwicklung anpassen, sagt Kiefer. »Wir haben aktuell immer noch eine große Überzahl an Männern in der Suchthilfe«, so der Suchtexperte, der Ärztlicher Direktor am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim ist. Dementsprechend richte sich das Angebot vor allem nach den männlichen Patienten. Grundsätzlich brauchen Frauen aus seiner Sicht keine anderen Therapien. Allerdings müsse in Gesprächsgruppen ein gleichberechtigter Austausch ermöglicht werden. Angebote speziell für alkoholkranke Frauen seien daher sinnvoll und notwendig.
Davon ist auch Stephanie Krüger überzeugt, die an zwei Einrichtungen der Berliner Vivantes Kliniken die Abteilung für seelische Gesundheit leitet. Beide Häuser führen ein Zentrum für Seelische Frauengesundheit, das auf Diagnostik und Therapie weiblicher psychischer Beschwerden und Erkrankungen spezialisiert ist. Auch sie glaubt, dass das veränderte Trinkverhalten mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängt: »Frauen wollen nicht hinten anstehen, sie wollen überall mithalten. Und dann sagen sie eben auch mal: Dann lass ich mich halt volllaufen, das kann ich genauso gut«, sagt die Psychiaterin.
Trotzdem sei es bei Frauen nach wie vor sozial weniger akzeptiert, Alkohol zu trinken, sagt Krüger. »Eine in der Öffentlichkeit trinkende Frau, eine rauchende Frau oder eine, die sich völlig enthemmt verhält, wird viel eher stigmatisiert als ein Mann und wird auch heute noch sozial geächtet.« Der Psychiaterin zufolge trinken Frauen deswegen viel öfter heimlich als Männer. In ihren Einrichtungen blieben Frauen in allen Gesprächsrunden unter sich: »Da herrscht mehr Offenheit und die zugrunde liegenden Probleme werden besser verstanden, weil andere Frauen sich damit auch identifizieren können.«
Für Frauen zwischen 18 und 24 Jahren gebe es eine Spezialsprechstunde, in der sie »geschützt und vorurteilsfrei« sprechen könnten. Bislang könne sie zwar nicht erkennen, dass das veränderte Trinkverhalten zu einem Anstieg von psychischen Folgeerkrankungen führe, sagt Krüger. Allerdings steige die Zahl der Frauen, die im berauschten Zustand in der Rettungsstelle landen. »Wir haben häufig gerade bei jungen Frauen schwere Intoxikationen mit diversen Substanzen, unter anderem auch Alkohol in der Rettungsstelle.« Manche hätten bis zu drei oder vier Promille intus.
Die Psychiaterin meint, dass bei der Entwicklung auch andere Faktoren eine Rolle spielten. Viele junge Frauen fühlten sich unter Druck gesetzt, etwa durch Schönheitsideale, die in den sozialen Medien verbreitet würden. »Ich kann mir vorstellen, dass dieser Druck dazu führt, dass man sich Entlastung in Form von Alkohol und Drogen verschafft und im Rausch gerne vergessen möchte, dass man geghostet oder gemobbt wurde.« Ghosting bezeichnet einen plötzlichen Kontaktabbruch. Umso wichtiger sei es, bei jungen Frauen besonders gut hinzuschauen: »Es ist ein Alter, in dem sich seelische Erkrankungen häufig das erste Mal manifestieren.« Alkohol könne das begünstigen oder verschlimmern.