Muskelaufbau mit Nebenwirkungen |
Schnell mehr Muskeln? SARM sollen das erleichtern. Ein Potenzial mit Nebenwirkungen. / Foto: Getty Images/Nastasic
Viele Menschen träumen von einem schlanken und muskulösen Äußeren. Mit Sport und einer angepassten Ernährung ist es jedoch ein langer und mühsamer Prozess, den Körper den Wünschen entsprechend zu formen. Eine Abkürzung versprechen selektive Androgenrezeptor-Modulatoren (selective Androgen Receptor Modulators, SARM). Dabei handelt es sich um eine recht neue Klasse von Verbindungen mit Vertretern wie Ostarin, Ligandrol und Andarin, die selektiv an den Androgenrezeptor binden. Dieser nukleäre Hormonrezeptor findet sich sowohl in reproduktiven als auch in nicht reproduktiven Geweben. Er ist für die männliche Sexualität bedeutsam und beeinflusst Knochendichte, Kraft, Muskelmasse, Hämatopoese, Blutgerinnung, Stoffwechsel und Kognition.
SARM sind für die therapeutische Anwendung attraktive Substanzen, da sie eine sehr gute orale und transdermale Bioverfügbarkeit haben. Vom Wirkmechanismus ausgehend rufen sie einige, aber nicht alle Wirkungen von Testosteron hervor. Sowohl in Tier- als auch in Humanstudien erhöhten sie zwar die Skelettmuskelmasse, führten aber weder zu Nebenwirkungen an der Prostata bei Männern noch zur Virilisierung bei Frauen.
SARM werden nicht durch Aromatase in Estrogene umgewandelt, sodass das Risiko für estrogene Wirkungen als gering eingeschätzt wird. Als Arzneimittel wurden SARM bereits zur Behandlung von so unterschiedlichen Krankheiten wie Osteoporose, Alzheimerdemenz, Brustkrebs, Stressharninkontinenz, Prostatakrebs, Hypogonadismus, Duchenne-Muskeldystrophie, Sarkopenie und Krebskachexie in Erwägung gezogen. Bis zur Zulassung hat es jedoch noch kein SARM geschafft.
Selektive Rezeptormodulatoren (Selective receptor modulators, SRM) haben in verschiedenen Geweben unterschiedliche Wirkungen. Sie verhalten sich mal als Agonist und in anderen Geweben als Antagonist. Die erste Klasse von SRM, die entdeckt wurde, waren die selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM). Sie binden an die gleiche Bindungsstelle am Estrogenrezeptor wie die Agonisten, lösen als Partialagonisten substanzspezifisch aber nur einen Teil der Estrogenwirkung aus. Ein bekannter Vertreter ist Tamoxifen, das zur Behandlung von hormonabhängigem Brustkrebs eingesetzt wird. Ein weiteres SERM, Clomifen, wird bei Infertilität und Kinderwunsch eingesetzt, während Raloxifen der Therapie und Prophylaxe von postmenopausaler Osteoporose dient.
Neben SERM und SARM gibt es noch weitere Arten von SRM, etwa die selektiven Progesteronrezeptor-Modulatoren (SPRM). Sie wirken agonistisch oder antagonistisch am Progesteronrezeptor. Ein Beispiel ist Ulipristalacetat, das als Wirkstoff in der »Pille danach« zur Notfallkontrazeption enthalten ist.
Auch für nicht therapeutische Zwecke besteht Interesse an den Substanzen. Leistungssteigernde Medikamente wie exogenes Testosteron einzunehmen, ist in einigen Sportarten wie Bodybuilding verbreitet. Die Einnahme von Steroiden bietet zwar Vorteile wie eine Zunahme der Muskelmasse und -kraft, ist jedoch mit einer hohen Rate an unerwünschten Wirkungen verbunden. Dazu zählen unter anderem Hodenatrophie, Erythrozytose, Dyslipidämie, Gynäkomastie, Hepatotoxizität und bei Frauen Virilisierung und uterine Hyperproliferation.
Die Nebenwirkungen sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass exogen zugeführtes Testosteron Androgenrezeptoren in verschiedenen Geweben und nicht nur an den gewünschten Orten aktiviert. Weiterhin fehlt für Testosteron derzeit eine hochwirksame orale Formulierung. Konsumenten müssen die Wirkstoffe spritzen oder als Gel anwenden. Diese Nachteile könnten einige Athleten davon abgehalten haben, es durch Stoffkonsum zu beschleunigen, die körperlichen Ziele zu erreichen. Mit SARMs könnten die Hemmungen fallen. Sie werden oral eingenommen und sollen den Androgenrezeptor in Nichtzielgewebe weniger stark aktivieren. Das Missbrauchspotenzial der Substanzen hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) veranlasst, mehrere SARM auf die Verbotsliste zu setzen.
Obwohl sie bislang nicht als Arzneimittel zugelassen und in Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) verboten sind, können SARM online in Form von NEM erworben werden. Dies ist derzeit weder in Europa noch in den USA legal. Die Werbeaussagen mögen für so manchen Sportler verlockend klingen. Laut der Texte auf den Internetseiten sollen SARM zu einem schnelleren Fettverlust führen, Muskeln schneller wachsen lassen und die sportliche Leistungsfähigkeit und Ausdauer erhöhen. Weiterhin sollen die Wundermittel den Stoffwechsel ankurbeln, den Knochenaufbau unterstützen und sogar die sexuelle Ausdauer fördern.
Zugutehalten kann man einigen Herstellern allerdings, dass sie zumindest den Hinweis geben, vor der Anwendung einen Arzt zu fragen. Die Aufmachung der Produkte erweckt dennoch meist den Eindruck, dass sie sicher seien. Die Hersteller leiten aus der Wirkung der SARM ab, dass diese nebenwirkungsfrei wären. Dies ist allerdings höchstens in der Theorie der Fall. Tatsächlich ist das Spektrum an unerwünschten Wirkungen noch längst nicht ausreichend erforscht. SARM sind definitiv keine nebenwirkungsfreie Steroidalternative und sie können kein Bestandteil von NEM sein.
Das geht schon aus der Definition von NEM hervor. Gemäß der EU-Richtlinie 2002/46/EG sind NEM definiert als »Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen«. Unter Nährstoffen sind Vitamine und Mineralstoffe, einschließlich Spurenelemente, zu verstehen. Zu den sonstigen Stoffen zählen zum Beispiel Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren, Ballaststoffe und verschiedene Pflanzen- und Kräuterextrakte. Weiterhin ist per Definition festgelegt, dass NEM keine Arzneimittel sind und keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung haben. Für NEM mit SARM fehlt damit eine gesetzliche Grundlage.
Weiterhin sind SARM kein harmloser Trainings-Booster. Die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration warnte im April 2023 die Verbraucher. Laut der US-Behörde würden Beiträge auf Social-Media-Plattformen, die sich an Jugendliche und junge Erwachsene richteten, das Interesse an SARM wecken. Sie würden dort als Mittel beworben werden, um schnell und einfach das körperliche Erscheinungsbild zu verbessern, Muskelmasse aufzubauen oder die sportliche Leistung zu steigern. Berichte von unerwünschten Ereignissen im Zusammenhang mit der Einnahme zeigten jedoch, dass SARM nicht harmlos seien.
Die tatsächliche Zahl der Verbraucher, die von unerwünschten Ereignissen betroffen sei, hält die FDA für höher, da zu wenige Meldungen vorlägen. Möglicherweise zögerten Verbraucher, Nebenwirkungen zu melden, weil es sich um nicht zugelassene Arzneimittel handle. Einige wüssten vielleicht auch nicht, dass sie unerwünschte Ereignisse melden könnten. Anwender könnten auch unsicher sein, ob ihre Symptome tatsächlich durch das Produkt verursacht würden.
Zu den schweren oder lebensbedrohlichen Gesundheitsproblemen in Verbindung mit SARM zählen laut dem FDA-Beitrag ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall, Psychosen/Halluzinationen, Schlafstörungen, sexuelle Dysfunktion, Leberschäden und akutes Leberversagen, Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und Hodenschrumpfung. Zu beachten ist, dass bislang nichts über Langzeitnebenwirkungen bekannt ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) griff in seinem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit vom März 2023 das Thema SARM auf. Es warnte vor der Einnahme im Zusammenhang mit der ansteigenden Rate an Depressionen.
Neben dem Risiko für die körperliche Gesundheit setzen sich SARM-Konsumenten auch der Gefahr aus, in Konflikt mit dem geltenden Gesetz zu geraten. Laut dem Paragrafen 2 des Gesetzes gegen Doping im Sport (Anti-Doping-Gesetz – AntiDopG) ist es verboten, ein Dopingmittel in nicht geringer Menge zum Zwecke des Dopings beim Menschen im Sport zu erwerben, zu besitzen oder einzuführen. Konsumenten müssen also stets die Menge ihres Mittels im Auge behalten. Bei den namentlich genannten SARM Andarin (S-4), Ligandrol (LGD-4033, VK 5211), Ostarin, synonym Enobosarm (S-22, MK-2866), RAD-140, synonym Testolon, S-23 und YK-11 gelten laut der Verordnung zur Festlegung der nicht geringen Menge von Dopingmitteln (Dopingmittel-Mengen-Verordnung - DmMV) als nicht geringe Menge 540 mg.
Eine stete Gefahr insbesondere bei illegalen NEM sind Verunreinigungen und Beimischungen. 2017 haben US-amerikanische Wissenschaftler die Inhaltsstoffen von NEM und anderen Produkten untersucht, die über das Internet verkauft und als SARM beworben werden. Ihre Analyse von 44 Produkten ergab, dass nur 52 Prozent SARM enthielten und weitere 39 Prozent ein anderes nicht zugelassenes Arzneimittel. In 25 Prozent der Produkte fanden sie Substanzen, die nicht auf dem Etikett aufgeführt waren, 9 Prozent waren frei von Wirkstoffen und bei 59 Prozent wichen die tatsächlichen Substanzmengen von den Angaben auf dem Etikett ab. Der Konsum von SARM ist somit ein Spiel mit der eigenen Gesundheit. Vor diesem Risiko kann das Apothekenteam nur warnen. Wer unbedingt Substanzen einnehmen möchte, um mehr Muskeln zu bekommen oder die sportliche Leistung zu verbessern, sollte legale Wege suchen und die Anwendung in einem vertraulichen Gespräch mit dem Arzt besprechen.