Nicht jeder Tic ist gleich Tourette |
Katja Egermeier |
10.06.2024 10:00 Uhr |
Tic oder Tourette-Syndrom? Die Symptome sind ähnlich, aber es gibt dennoch deutliche Unterschiede. Eine frühzeitige richtige Diagnose kann für den Behandlungserfolg entscheidend sein. / Foto: Getty Images/Matteo Colombo
Bei Symptomen, die an das Tourette-Syndrom erinnern, sollte immer auch das Vorliegen einer funktionellen Tic-Störung in Betracht gezogen werden. Vor allem, wenn es sich bei den Betroffenen um Jugendliche handelt und die komplexen Extrabewegungen an Rumpf, Armen oder Beinen sehr plötzlich auftreten, wie die Barmer Krankenkasse erklärt.
Denn anders als beim Tourette-Syndrom, bei dem es sich um eine überwiegend genetisch bedingte neuropsychiatrische Störung handelt, die im Kindesalter beginnt, treten die ersten funktionellen Tic-ähnlichen Störungen meist erst ab der Pubertät auf und gehen mit langsameren, komplizierten Bewegungen von Oberkörper, Armen oder Beinen einher. Ein weiterer Unterschied zum Tourette-Syndrom: Die Tics verstärken sich in der Öffentlichkeit und verbessern sich, wenn die Betroffenen allein sind. Zudem erfüllten die Bewegungen meist einen gewissen Zweck, sind Variabel und auf eine Situation bezogen.
Die Tics selbst ähneln sich wiederum: Typisch für beide Störungen sind vokale Tics – also unerwartete Worte und Geräusche wie Husten, Räuspern, Schniefen, Tierlaute oder Fluchen –, sowie motorischen Tics mit wiederkehrenden, oft ruckartige Bewegungen wie Kopfschütteln, Blinzeln, Grimassenschneiden und dem Bewegen der Gliedmaßen.
»Ein Hauptproblem bei Menschen mit funktionellen Tics scheint zu sein, dass die Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung von Signalen des Körpers und von Bewegungen im Gehirn verändert ist. Dadurch verschlechtert sich die Kontrolle der Bewegung«, heißt es auf der Website der Barmer. Diese Störungen seien jedoch nicht Ausdruck einer Schädigung des Gehirns, sondern eher einer im Prinzip umkehrbaren Funktionsstörung. Aus diesem Grunde spreche man von einer funktionellen Störung.
Auch wenn funktionelle Bewegungs-Störungen grundsätzlich bei allen Menschen auftreten können, häufen sie sich bei Personen, die unter Stress, Anspannung und Ängsten leiden. Ein nationales Forschungsteam der Unikliniken Dresden und Schleswig-Holstein sowie der Universtitäten Trier und zu Lübek hat festgestellt, dass funktionelle Tic-ähnliche Beschwerden vor allem nach der Corona-Pandem drastisch zugenommen haben – aber häufig falsch eingeordnet worden seien. Es werde zudem vermutet, dass ein Teil der Betroffenen funktionelle Tics erst entwickelt, nachdem sie mit dem Thema Tourette-Syndrom in den sozialen Medien in Kontakt gekommen sind.
Unterschiedungsmerkmale | Tourette-Syndrom | Funktionelle Tic Störung |
---|---|---|
Erkrankungsalter: | Kindheit | Teenageralter (oder deutliche Verschlimmerung) |
Beginn: | schleichend | plötzlich auftretend |
Fluktuation der Symptome: | Ja | Nein |
Am meisten betroffene Körperareale: | Kopf und Hals | Rumpf, Beine und Arme |
Verschlimmerung der Tics: | alleine | in Gesellschaft |
Verbesserung der Tics: | in Gesellschaft | alleine |
Behandlung: | Psychotherapie, Antipsychotika | Psychotherapie, Physiotherapie, Stressreduktion |
Heilungschancen: | nicht heilbar | heilbar |