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Bandscheibenvorfall

Operation oft unnötig

Bandscheibenvorfälle werden zu häufig operiert, kritisieren Neurochirurgen. In neun von zehn Fällen lassen sich die Beschwerden mit konservativen Maß­nahmen erfolgreich behandeln.
AutorKontaktUlrike Viegener
Datum 13.02.2019  14:04 Uhr

Eine unglückliche Bewegung, und aus heiterem Himmel schießt ein heftiger Schmerz in den unteren Rücken. Nun ist jede Bewegung eine Qual. Oft können sich die Betroffenen kaum aufrichten. Hexenschuss heißt dieses Phänomen im Volksmund, weil man im Mittelalter dachte, böse Geister hätten ihre Hand im Spiel. Lumbago ist der Fachbegriff oder auch akuter lumbaler (die Lenden betreffender) Rückenschmerz.

Viele denken bei diesem Beschwerdebild auch an einen Bandscheibenvorfall (Prolaps). Die Verschiebung eines Bandscheibenkerns im Bereich der Lendenwirbelkörper ist jedoch nur eine mögliche Ursache für die starken Schmerzen. Oft ist das Röntgenbild bei Lumbago unauffällig. In diesen Fällen sind meist rein muskuläre Funktionsstörungen infolge Überlastung oder mangelndem Training für die Beschwerden verantwortlich. Auch Wirbelblockaden, bei denen sich Wirbel verschieben und verhaken, können akute lumbale Schmerzen auslösen. Solche Blockaden entstehen häufig auf dem Boden einer schwachen Rückenmuskulatur.

Liegt tatsächlich ein Bandscheibenprolaps vor, können schon kleinere Bewegungen heftige Beschwerden auslösen. Andererseits gibt es Menschen, die jahrelang mit einem relativ ausgeprägten Bandscheibenvorfall leben und nichts davon wissen. Rein zufällig werden diese symptomlosen Bandscheibenvorfälle mitunter entdeckt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie lassen sich bei über 60 Prozent aller gesunden älteren Menschen kernspin­tomografisch Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule nachweisen. In diesen Fällen kommt es offenbar nicht zu einer Nervenkompression, wobei andererseits auch nicht jede Nervenkompression zwingend Schmerzen verursachen muss, wie experimentell gezeigt wurde. Wie auch immer –stumme Bandscheibenvorfälle müssen nicht behandelt werden.

Dringender Handlungsbedarf besteht dagegen bei einer sogenannten Red-Flag-Symptomatik. Bestimmte Begleitsymptome und Vorerkrankungen des akuten lumbalen Rückenschmerzes wurden mit einem roten Fähnchen gekennzeichnet, um die Entdeckung schwerer Erkrankungen wie Frakturen, Tumoren und Infektionen zu erleichtern. Starke nächtliche Schmerzen zum Beispiel sind ein Red-Flag-Symptom. Sie sind ein Verdachtsmoment, das sowohl auf einen Tumor als auch auf eine Infektion hindeuten kann. Auch Gewichtsverlust und Fieber geben Anlass, in diese Richtung zu denken. Nach einem Trauma dagegen besteht der Verdacht auf eine Wirbelfraktur. Bei Osteoporosepatienten ist zu bedenken, dass schon Bagatelltraumen – unter anderem durch Husten und Niesen – eine Wirbelfraktur hervorrufen können. Patienten mit Red-Flag-Symptomen gehören in die Hände eines Spezia­listen, wobei in der Regel eine Klinikeinweisung erforderlich ist.

Das gilt auch bei Zeichen einer gravierenden Radikulopathie, für die ein Bandscheibenvorfall die Ursache sein kann. Als Radikulopathie wird eine Reizung oder Schädigung einer dem Rückenmark entspringenden Nervenwurzel bezeichnet. Die motorischen und sensiblen Nervenfasern von Vorder- und Hinterwurzel vereinigen sich noch im Wirbelkanal zu Spinalnerven, die paarweise zwischen den Wirbelkörpern austreten.

Eine Radikulopathie im Bereich der Lendenwirbelsäule kann zu einem Kauda-Syndrom führen. In diesem Fall besteht Alarmstufe rot. Das Kauda-Syndrom beruht auf einer Quetschung der Cauda equina. Dabei handelt es sich um pferdeschweifartig angeordnete Nervenwurzeln, die in einem liquorgefüllten Duralsack vom unteren Ende des Rückenmarks bis zum Kreuzbein verlaufen. Typische Anzeichen für eine Kompression der Cauda equina durch eine verlagerte Bandscheibe oder einen Tumor sind plötzlich einsetzende Harn- und Stuhlinkontinenz, Impotenz sowie die sogenannte Reithosenanästhesie (Sensibilitätsausfälle im Bereich von Gesäß und Oberschenkeln). Auch Lähmungserscheinungen in den Beinen gehören zum Kauda-Syndrom. Progrediente Lähmungen können – ebenso wie nachlassende Schmerzen – darauf hindeuten, dass die betroffenen Nervenwurzeln im Absterben begriffen sind.

Entlastung durch Operation

Beim Kauda-equina-Syndrom muss der komprimierte Nerv notfallmäßig durch eine Operation entlastet werden. So verfahren die Chirurgen grundsätzlich bei jeder Radikulopathie, die mit progredienten und/oder schweren motorischen Ausfällen einhergeht.

Die besonders stark beanspruchte Lendenregion ist der bevorzugte Ort für Bandscheibenvorfälle und dadurch verursachte Radikulopathien. Deutlich seltener, in rund 10 Prozent der Fälle, treten Vorfälle im Bereich der Halswirbelsäule auf. Die Brustwirbelsäule ist kaum betroffen.

Insgesamt machen gefährliche Bandscheibenvorfälle, bei denen ein chirurgischer Eingriff zwingend erforderlich ist, nur einen Bruchteil aller Fälle aus. Die meisten Bandscheibenvorfälle – nämlich neun von zehn – lassen sich konservativ behandeln. In einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aus dem Jahr 2014 forderte Professor Dr. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Technischen Universität München am Klinikum rechts der Isar, eine entsprechende Aufklärung der Patienten. Studien hätten gezeigt, dass bei der großen Mehrzahl (90 Prozent) der Patienten mit Vorfällen im Lendenwirbelbereich konservative Behandlung und chirurgische Intervention langfristig gleich gute Ergebnisse liefern. Hintergrund dieses Statements ist die Tatsache, dass weit mehr Bandscheibenvorfälle operiert werden als es medizinisch erforderlich ist. Allein zwischen 2006 und 2011 wurde eine inflationäre Zunahme lumbaler Bandscheiben-Operationen um 25 Prozent verzeichnet.

Verschleiß nicht beseitigt

Was die Patienten auch wissen sollten: Nach offenen Bandscheiben-Operationen kehren die Schmerzen laut der Deutschen Schmerzliga bei 30 von 100 Patienten zurück, nach mikro­chirurgischen Eingriffen bei 12 von 100 Patienten. Diese Zahlen erklären sich unter anderem damit, dass ein chirurgischer Eingriff die Verschleißproblematik nicht beseitigen kann.

Wenn keine bedrohlichen Ausfall­erscheinungen vorhanden sind, sollten auch bei gesicherter Wurzelkompression zunächst die konservativen Therapieoptionen ausgeschöpft werden, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in ihrer 2018 vollständig überarbeiteten Leitlinie »Lumbale Radikulopathie«. Erst wenn sich mittels intensiver konservativer Therapie über sechs bis zwölf Wochen keine ausreichende Besserung der Schmerzen erzielen lässt, sei eine Operation zu erwägen.

Das Selbstheilungspotenzial bei Bandscheibenvorfällen ist groß. In aller Regel ist der Spuk nach sechs bis acht Wochen vorbei. Schonung ist dabei dem Heilungsprozess allerdings nicht zuträglich. Patienten mit Bandscheibenvorfällen sollten vielmehr schnellstmöglich mobilisiert werden. Längere Bettruhe, wie sie früher empfohlen wurde und bisweilen auch heute noch praktiziert wird, ist nicht mehr zu em­pfehlen. Sie schwächt die Muskulatur und birgt das Risiko, dass sich die Pro­bleme noch verstärken. Optimale Heilungsbedingungen werden nach aktuellem Verständnis vielmehr durch möglichst normale – wohldosierte – Bewegung geschaffen. Deshalb sollen die Patienten mithilfe einer konsequenten Schmerztherapie zügig in die Lage versetzt werden, eine aktivierende Physiotherapie durchzuführen und ihren Alltagsaktivitäten nachzugehen.

Zur Analgesie bei lumbalen Radikulopathien empfiehlt die Leitlinie nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) als Mittel der ersten Wahl. Diese Medikamente bieten sich an, da bei der Schmerzentstehung offenbar – neben der mechanischen Nervenkompression – auch entzündliche Prozesse eine Rolle spielen. NSAR sollen aber mit Blick auf ihr Nebenwirkungspotenzial nur zeitlich begrenzt und in möglichst niedriger Dosis zum Einsatz kommen, besonders bei älteren Patienten. Bei kardiovaskulären Risikopatienten seien Di­clofenac und Ibuprofen zu meiden. Alternativ kommt auch Paracetamol bei leichteren Schmerzen infrage. Bei starken Schmerzen sind laut der Leitlinie kurzfristig retardierte Opioide indiziert. In der Akutphase kann zudem auch die Gabe von Muskelrelaxanzien sinnvoll sein, um den Patienten wieder beweglich zu machen.

Spätestens vier Tage nach dem akuten Ereignis sollte mit einer aktivierenden Physiotherapie begonnen werden, heißt es in der Leitlinie weiter. Das wissenschaftliche Fundament zur Wirksamkeit verschiedener Behandlungsverfahren sei allerdings unzureichend, sodass verbindliche Aussagen zum optimalen Vorgehen nicht möglich sind. Das betrifft aktivierende Verfahren wie die Bewegungstherapie im Wasserbad ebenso wie passive Verfahren wie Wärmeanwendung und Massage. Was dem Patienten gut tut und seine zügige Mobilisierung befördert, muss individuell ausgetestet werden.

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