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Hochrisikopatienten erkennen

PTA gehören zum AMTS-Team

Pharmazeutische Dienstleistungen kommen – und damit mehr Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Auch wenn dabei häufig Apotheker im Fokus sind: »AMTS braucht ein ganzes Team«, verdeutlichte Katrin Hecking, Apothekerin und Fachapothekerin für Offizinpharmazie. Beim 8. Westfälisch-lippischen Apothekertag erklärte sie, warum AMTS so wichtig ist, und welche Rolle PTA spielen.
Juliane Brüggen
27.09.2021  11:30 Uhr

Betrachtet man den Kreislauf des Medikationsprozesses – von Diagnose, Verordnung, Rezepteinlösung, Beratung, Abgabe und gegebenenfalls Therapie-Monitoring – hat die AMTS-Prüfung ihren Platz zwischen Beratung und Abgabe der Arzneimittel. »Der Kreislauf wird durch AMTS aufgebrochen, indem sich die Apotheke als Koordinator zwischen Patient und Arztpraxis stellt«, erklärte Hecking.

AMTS ist definiert als die »Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses mit dem Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare Risiken für Patientinnen und Patienten bei der Arzneimitteltherapie zu verringern« (Aktionsplan AMTS 2021–2024, Bundesministerium für Gesundheit). Das Risiko für Medikationsfehler steige, je mehr Schnittstellen es gibt – das heißt, je mehr Ärzte, Apotheken, Pflegende, Angehörige oder Nachbarn am Medikationsprozess beteiligt sind, so Hecking. Die Apothekerin verdeutlichte, dass Medikationsfehler zusätzlich finanziell einschlagen: Die aus ihnen resultierenden Behandlungskosten liegen jährlich zwischen 800 Millionen und 1,2 Milliarden Euro in Deutschland.

Die Zahlen, die bei Krankenhausaufnahmen erhoben wurden, zeichnen ein erschreckendes Bild: Etwa 34 Prozent der aufgenommenen Patienten weisen Nebenwirkungen ihrer Arzneimitteltherapie auf und bei 71 Prozent dieser Patienten sind Medikationsfehler die Ursache. »Das ist enorm, denn ein Medikationsfehler beinhaltet ein vermeidbares Risiko für den Patienten«, so Hecking.

In der Apotheke findet in der Regel die Medikationsanalyse Typ 2a statt – anhand der Patientenkartei, sofern vorhanden, und als wichtiger Faktor: das Patientengespräch. »Denn viele theoretische Probleme und viele theoretische Fragezeichen lösen sich bereits in Luft auf, wenn der Patient erklärt, was dahinterstecken könnte«, betonte die AMTS-Expertin.

Medikationsdaten (zum Beispiel Patientenkartei) Patientengespräch Klinische Daten (zum Beispiel Laborwerte)
1: Einfache Medikationsanalyse Ja Nein Nein
2a: Erweiterte Medikationsanalyse Ja Ja Nein
2b: Erweiterte Medikationsanalyse Ja Nein Ja
3: Umfassende Medikationsanalyse Ja Ja Ja
Typen der Medikationsanalyse, Quelle: Bundesapothekerkammer

Wo kommen PTA ins Spiel?

Die Medikationsanalyse 2a in der Apotheke hat das Ziel, die Effektivität der Arzneimitteltherapie zu erhöhen, während Arzneimittelrisiken reduziert werden. Im ersten Schritt geht es darum, Patienten zu gewinnen. Dies sei auch der Punkt, an dem PTA sich aktiv einbringen können, erläuterte Hecking. Die anderen Schritte der Medikationsanalyse – das Anamnesegespräch, die AMTS-Prüfung und das Abschlussgespräch – liegen in der Hand des Apothekers, sollten aber nicht unter Verschluss stattfinden: Besprechungen im Team, zum Beispiel zum Ausgang eines Falls, gehören ebenso dazu.

»Es ist wichtig, die Patienten zu gewinnen. Und wie kann man das besser tun als im Beratungsgespräch«, so die Apothekerin. PTA hätten »allerbeste Möglichkeiten, ihre Patienten im Blick zu behalten und den richtigen Patienten herauszufiltern, der am meisten von AMTS profitiert.« Es sei eine »große Kunst« und erfordere Fachkunde, herauszufinden, wo arzneimittelbezogene Probleme versteckt sein könnten – bei den vielen Patienten, die täglich die Apotheke besuchen.

Mit wem fange ich an?

Um Patienten zu finden, die von AMTS profitieren, sei es hilfreich, sich zunächst auf bestimmte Patientengruppen zu fokussieren, riet die AMTS-Expertin. Eine dieser Gruppen bilden Hochrisikopatienten, zum Beispiel Personen mit einer Polymedikation. »Das heißt, mindestens fünf dauerhaft angewandte, systemisch wirkende Medikamente«, so Hecking. Weitere Faktoren sind Multimorbidität und mehrere Ärzte, die Medikamente verordnen. Die Kommunikation der Ärzte untereinander sei ein »großer Unsicherheitsfaktor im Medikationsprozess«. Auch Schwangere mit einer Dauermedikation gehören zu Hochrisikopatienten, wie der Barmer Arzneimittelreport 2021 verdeutlichte.

Augenmerk auf Hochrisiko-Arzneimittel

Eine weitere Gruppe, die von AMTS profitieren kann, sind Patienten, die Hochrisiko-Arzneimittel einnehmen. »Bestimmte Medikamente tragen ein hohes Risiko mit sich. Diese Patienten sollte man daher besonders in den Fokus nehmen«, riet Hecking. Ein Augenmerk müsse beispielsweise auf Medikamenten liegen, die ein hohes Risiko für gefährliche Nebenwirkungen bergen, wenn sie unter- oder überdosiert werden, etwa Methotrexat (oral), Insuline oder Digitoxin. Auch ein hohes Interaktionspotenzial ist ein Risiko: So müssen zum Beispiel bei oralen Antikoagulanzien wie Phenprocoumon zahlreiche Interaktionen bedacht werden, nicht nur mit anderen Antikoagulanzien, sondern auch mit Antidepressiva (SSRI), Antibiotika oder Schilddrüsenmedikamenten. Eine umfassende Liste mit Hochrisiko-Arzneimitteln gibt es auf der Webseite des ISMP (Institute for Safe Medication Practices, Kanada).

Das sollte aber nicht heißen, dass zum Beispiel Marcumar als das »Medikament des Monats« ausgerufen wird und allen entsprechenden Kunden ein AMTS angeboten wird, erklärte Hecking. »Das ist leider datenschutztechnisch nicht erlaubt. Aber Sie können eben bei diesen Patienten genauer nachfragen, wenn Ihnen ein Marcumar-Rezept überreicht wird.«

Hochrisikosituationen kennen

Ebenfalls für AMTS prädestiniert sind Hecking zufolge Patienten in Hochrisikosituationen. Dazu zählen die Erstverordnung eines Arzneimittels, eine Krankenhauseinweisung oder -entlassung und die Umstellung einer Medikation. Bekommt jemand ein Arzneimittel zum ersten Mal, müsse die beratende Person sicherstellen, dass der Patient weiß, wie die Einnahme oder Anwendung funktioniert. Dabei dürfe der Fokus nicht nur auf erklärungsbedürftigen Darreichungsformen wie Inhalatoren liegen – auch bei vermeintlich einfachen Medikationen wie Tabletten könne Beratung, zum Beispiel zu Einnahmezeitpunkten, Fehler unterbinden.

Die Einweisung oder Entlassung aus dem Krankenhaus berge wiederum eine Schnittstellenproblematik. Hier müsse genau auf die bestehende oder eine veränderte Medikation geschaut werden. Nicht zuletzt könne eine Therapieumstellung zu Fehlern führen: PTA und Apotheker sollten daher auf die neuen Aspekte der Medikation eingehen, zum Beispiel einen verzögerten Wirkeintritt oder neue Nebenwirkungen.

Ein akutes Problem durch AMTS lösen

Bei Patienten, die ein akutes Problem schildern, müsse ebenfalls an AMTS gedacht werden, so Hecking. Hinter dem akuten Problem können stehen:

  • Verdacht auf eine Nebenwirkung (Beispiel Husten unter ACE-Hemmern)
  • Verdacht auf ein nicht ausreichendes Ansprechen
  • Verdacht auf mangelnde Therapietreue
  • Ein fehlender oder veralteter Medikationsplan
  • Verdacht auf eine Über- oder Unterdosierung

Hecking verdeutlichte dies anhand eines Fallbeispiels, in dem ein neues Rabattarzneimittel das Problem verursachte. Die Patientin löste ihr Rezept für eine 100-Stück-Packung Torasemid 20 mg ein und erhielt ein neues Rabattpräparat. Auf das veränderte Packungsdesign wurde sie hingewiesen. Nach kurzer Zeit kam sie jedoch mit einem neuen Rezept über Torasemid-Tabletten. Auf Nachfrage berichtete sie, dass die Tabletten des alten Rabattpartners rund waren, die des neuen oval. Daher dachte sie, sie müsse nun beide Tabletten einnehmen. »Wir gehen natürlich davon aus, dass die Patienten das tun, was wir sagen. Aber der Patient zuhause kann Unsicherheiten entwickeln,« stellte Hecking fest. Es sei wichtig, den Patienten klar zu machen, dass sie die Apotheke dann kontaktieren können und es »keine dummen Fragen gibt«.

Ein weiteres Fallbeispiel verdeutlichte, wie wichtig die Beratung zu einer Erstverordnung ist. Eine Kundin hatte einen Trulicity®-Fertigpen per Botendienst erhalten, und beschwerte sich, dass der Pen nicht richtig funktionierte – ihr Zuckerwert sei viel zu hoch. Die Apotheke forschte nach und stellte fest, dass die Kundin die Schutzkappe des Pens vor der Injektion nicht abgenommen hatte. »Man muss wissen, dass es eine Schutzkappe gibt. Nicht nur der Patient, auch die PTA oder Apotheker im HV müssen es wissen. Nur dann können sie den Patienten bei der Erstverordnung optimal begleiten«, folgerte Hecking.

Wie spreche ich die Patienten an?

Damit nicht das Gefühl einer Kontrolle entstehe, empfahl Hecking, im Gespräch mit Kunden, die für die AMTS-Prüfung in Frage kommen, nicht auf Fehler hinzuweisen, sondern eher Unterstützung anzubieten und Neugierde zu wecken. Die Apothekerin nannte Beispiele für den Einstieg in das Gespräch:

»Bei den vielen Medikamenten und ihren verschiedenen Ärzten fällt es bestimmt schwer, den Überblick zu behalten. Wir können Ihnen helfen, Ihre Arzneitherapie zu organisieren.«

»Darf ich Ihnen unseren neuen AMTS-Service für mehr Sicherheit in der Arzneitherapie vorstellen?«

»Wir besprechen mit Ihnen Ihre Sorgen und Bedenken rund um Ihre Arzneitherapie.«

»Jeder vergisst mal etwas. Wie häufig haben Sie Ihre Medikamente im letzten Monat vergessen?«

Ist ein Patient mit der AMTS-Prüfung einverstanden, sei es wichtig, einen konkreten Termin zu vereinbaren und den Patienten mit den nötigen Informationen zu versorgen, zum Beispiel, mit welchem Mitarbeiter das Gespräch stattfindet, welche Medikamente er mitbringen muss oder wie mit kühl zu lagernden Medikamenten zu verfahren ist (nur Beipackzettel mitbringen). Dazu eignet sich eine Patientenbroschüre der ABDA zur Medikationsanalyse, die alle relevanten Informationen enthält.

Möglichkeiten, AMTS zu verbessern

Es lohne sich, AMTS bewusst in den Apothekenalltag zu integrieren, sagte Hecking. »Auch kleine Dinge können große Wirkung haben.« Hier nannte sie:

  • Patientenverständliche Einnahmehinweise zu jedem Arzneimittel
  • Patienten ermuntern, den aktuellen Medikationsplan mit sich zu führen
  • Patientenschulung bei Erstabgabe von erklärungsbedürftigen Arzneiformen
  • Vier-Augen-Prinzip vor der Abgabe besonders kritischer Arzneimittel
  • Augenmerk auf die Teilbarkeit der Darreichungsformen (zum Beispiel bei Austausch)
  • Tagebuch für Hypertoniker, Diabetiker, Asthmatiker und Schmerzpatienten empfehlen
  • Fertigarzneimittelprüfung

Die Fertigarzneimittelprüfung ist laut Hecking die perfekte Gelegenheit, die »Patientenbrille« aufzusetzen. »Sie können sich damit quasi in die Rolle des Patienten begeben und genau das erleben, was der Patient zuhause erlebt.« Man denke an das Beispiel des Trulicity-Fertigpens. Eine gute Fehlerkultur gehört auch zum AMTS. »Man muss nicht jeden Fehler selber machen, um daraus zu lernen«, sagte die Apothekerin und verwies auf die Datenbanken »Jeder Fehler zählt« und CIRS-NRW.

Hecking betonte, dass AMTS nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Apotheke Vorteile bringt: Patientenbindung, Jobsicherheit, Zufriedenheit, Teamstärkung und Motivation. Wenn alle an einem Strang ziehen, um die Therapie sicherer zu machen, stärke das das ganze Team. Die Wertschätzung von Patienten, Teamkollegen und Ärzten erhöhe die Zufriedenheit. »Somit möchte ich Sie motivieren, gemeinsam mit ihrem ganzen Team AMTS in den Fokus zu bringen und für Ihre Patienten das Höchstmaß an Sicherheit herauszuholen«, sagte Hecking abschließend.

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