Rätselhaftes Schmerzsyndrom |
Verena Schmidt |
17.09.2024 09:00 Uhr |
Die Fibromyalgie ist ein anerkanntes Krankheitsbild. Sie hat eine Prävalenz von 1,4 bis 6,6 Prozent in der Gesamtbevölkerung, meist sind Frauen zwischen 40 und 60 Jahren betroffen. Ursachen und Pathomechanismen des Schmerzsyndroms sind bisher noch nicht genau verstanden. Fibromyalgie-Patienten empfinden bereits schwache Reize wie einen leichten Druck als Schmerz. Den Leitlinienautoren zufolge lassen sich bei Betroffenen zahlreiche Unterschiede im Vergleich zu Gesunden nachweisen, etwa bei der Reizverarbeitung im Gehirn oder Veränderungen der kleinen Nervenfasern. Ob diese Veränderungen Ursache oder Folge der Beschwerden sind und ob sie spezifisch für das Fibromyalgiesyndrom sind, ist unklar.
Möglich scheinen nach aktuellem Kenntnisstand auch ursächliche Zusammenhänge mit psychischen Traumata, entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Genpolymorphismen des 5HT2-Rezeptors. Das Fibromyalgiesyndrom tritt auch gehäuft in manchen Familien auf. Ob eine Vererbbarkeit oder psychologische Faktoren (»Lernmechanismen«) dazu führen, ist aktuell nicht bekannt.
Laut Leitlinie erhöhen folgende Faktoren die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fibromyalgiesyndrom entsteht:
Depressive Störungen, ungünstige Verhaltensweisen (beispielsweise übertriebene körperliche Schonung) und Reaktionen der Umwelt – etwa mangelndes Verständnis für die Beschwerden der Patienten oder auch eine übertriebene Entlastung der Betroffenen – können sich darüber hinaus negativ auf den Verlauf der Beschwerden auswirken.
Wegen der recht unspezifischen Symptome dauert es in vielen Fällen lange, bis eine Fibromyalgie diagnostiziert wird. Es ist immer eine Ausschlussdiagnose, objektive Marker gibt es nicht. Labor- und Röntgenuntersuchungen sind unauffällig. Ärzte ziehen stattdessen eine ausführliche Anamnese, spezielle Fragebögen und Schmerzskalen heran. Ein wichtiger Befund bei der körperlichen Untersuchung ist die Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur sowie an Muskel-Sehnen-Ansatzpunkten, den sogenannten Tender-Points, die der Arzt durch Daumendruck testet. Spüren Betroffene an mindestens 11 von insgesamt 18 über den ganzen Körper verteilten Punkten Schmerzen, ist dies ein wichtiger Hinweis auf eine Fibromyalgie-Erkrankung.
Eine Fibromyalgie ist nicht heilbar und besteht meist lebenslang. Eine wichtige Botschaft für den Patienten ist jedoch: Das Syndrom verursacht trotz starker Schmerzen keine entzündlichen oder anderweitig schädlichen Veränderungen an Muskeln oder Knochen. Die Lebenserwartung der Patienten ist nicht herabgesetzt. Dennoch sollte natürlich eine individuell angepasste Behandlung erfolgen, um die Beschwerden zu lindern, die Lebensqualität zu erhöhen und die Funktionsfähigkeit im Alltag zu erhalten beziehungsweise zu verbessern.
Eine individuell erfolgreiche Therapie zu finden, ist für Arzt und Patient herausfordernd. 30 bis 40 Prozent der Betroffenen sprechen auf Medikamente nicht an. Auch gibt es in Deutschland keine Standardmedikamente, die zur Fibromyalgie-Therapie zugelassen sind. Typische Analgetika wie Opioide oder nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) werden nicht zur Behandlung empfohlen, da es keine Wirksamkeitsnachweise gibt, dafür aber Nebenwirkungen auftreten können. Gleiches gilt auch unter anderem für Cannabis und Corticoide.
Stattdessen wird in der Leitlinie eine zeitlich befristete Therapie mit einem niedrig dosierten Antidepressivum empfohlen: Amitriptylin (10 bis 50 mg/Tag), bei begleitenden, depressiven Störungen oder allgemeiner Angststörung Duloxetin (60 mg/Tag). Wird Amitriptylin nicht vertragen, ist Pregabalin (150 bis 450 mg/Tag), das in den USA zur Behandlung der Fibromyalgie zugelassen ist, eine Alternative. Bei begleitenden depressiven Störungen und Angststörungen kann bei Nichtansprechen auf Duloxetin ein Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (Fluoxetin 20 bis 40 mg/Tag, Paroxetin 20 bis 40 mg/Tag) oder Quetiapin (50 bis 300 mg/Tag) versucht werden. Nach sechs Monaten ist zu erwägen, das Medikament probeweise abzusetzen.