Schmerz hat oft eine Vorgeschichte |
Vor allem in der ambulanten Versorgung mangelt es allerdings an schmerz-psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten und für den Alltag praktikablen Kooperationsformen, heißt es auch in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS). Nicht zuletzt die generelle psychotherapeutische Unterversorgung führt auch bei der Schmerztherapie zu langen Wartezeiten.
Zudem koste eine angemessene Schmerzprävention Zeit und Ressourcen, betont Überall. »Aus der Schmerzmedizin wissen wir, dass es etwa eine Stunde dauert, vor einer Operation in einem präventiven Gespräch mit dem Patienten herauszufinden, ob und welche Risikofaktoren für andauernde postoperative Schmerzen bestehen – und bei Bedarf Vorsorge zu treffen, dass dies nicht passiert.« Wer einmal selbst vor einer OP ein Aufklärungsgespräch geführt und den dazugehörigen Fragebogen ausgefüllt und unterschrieben hat, weiß allerdings, dass das Gespräch in der Regel eine Sache von zwei bis drei Minuten und auch eher ein ärztlicher Monolog als ein Dialog ist. Er dient vorwiegend medizinischen und rechtlichen Zwecken, weniger einer ganzheitlichen Risikoevaluation.
Weil die ärztliche Zeit für Schmerzpatienten häufig so knapp bemessen ist, komme PTA oft eine besondere Rolle zu, berichtet der Schmerzmediziner: »In der Apotheke reden viele Menschen freier und offener über ihre Probleme, die Hemmschwelle ist niedriger – vielleicht gerade weil sie Kunde sind und nicht Patient«, so Überall. Natürlich arbeiten auch PTA oft unter Druck. Aber wenn die Zeit es zulässt, kann es sehr hilfreich sein, zuzuhören und dabei die Person dazu anzuregen oder zu bestärken, ihre Probleme noch einmal mit dem Hausarzt zu besprechen – denn dazu fehle vielen schmerzgeplagten Menschen das Selbstbewusstsein.
Ein guter Tipp ist laut Überall auch, »Fragen vorab zu notieren und dann abzuarbeiten, und am besten auch die ärztlichen Antworten direkt beim Gespräch aufzuschreiben – wenn nötig auch nachzufragen.« Ebenso wichtig sei ein ganzheitlicher Blick auf die eigene Gesundheit: »Wie geht es mir derzeit? Habe ich mehr Stress als sonst? Schlafe ich gut? Bewege ich mich ausreichend? Ernähre ich mich vielleicht schlechter als sonst?«
Eine weitere, häufig vernachlässigte Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen kommt psychischen Traumatisierungen zu. Sie sind ein erhebliches Risiko für die Entwicklung chronischer Schmerzen, weil sie auf ähnliche zentralnervöse Mechanismen wirken und eine vorhandene Schmerzsymptomatik verstärken. Gemäß dem »Common Pathway Model« teilen alle chronischen Schmerzen, egal ob durch Verletzungen, Entzündungen, neuropathische oder psychogene Faktoren entstanden, ähnliche physiologische und neurobiologische Mechanismen. Gehirn und Rückenmark spielen dabei eine Schlüsselrolle. Praktisch bedeutet das, dass verschiedene Schmerzarten auch bei sehr unterschiedlichen Ursachen ähnlich behandelt werden könnten – beispielsweise mit Medikamenten, die auf zentrale Neurotransmitter abzielen. Es bedeutet aber auch, dass eine nicht medikamentöse Verarbeitung von Angst, Depression oder psychologischen Traumata auch das Schmerzempfinden senken kann.
So weist das Positionspapier »Psychosoziale Faktoren bei Schmerz und Schmerzbehandlung« auf die Placebo- und Noceboforschung hin, die schon seit Jahren zeige, wie Erwartungen über Krankheitsverläufe, Behandlungserwartungen, Lernmechanismen und Kontextfaktoren zur Schmerzverstärkung oder auch zur Schmerzhemmung beitragen. Durch systematische Koppelung von wirkungsvollen psychologischen Mechanismen an wirkstofffreie Substanzen – sozusagen als Träger – entstehe »eine neue Qualität psychotherapeutischer Interventionen für akuten und chronischen Schmerz. Diese Koppelung kann auch an potente Medikamente erfolgen, die so ihre Wirksamkeit steigern können.«