Selektionsvorteil Blutgruppe |
Bei anderen Infektionskrankheiten erweist sich die Blutgruppe 0 als Nachteil. Das kann erklären, warum im Gangesdelta in Bangladesch die Blutgruppe 0 kaum vorkommt, während die Prävalenz der Blutgruppe B hoch ist. Dort gefährdet die Durchfallerkrankung Cholera die Gesundheit und das Leben vieler Menschen. Die Infektion wird durch das gram-negative Bakterium Vibrio cholerae ausgelöst. Bereits in den 1970er Jahren wurde in epidemiologischen Studien festgestellt, dass Personen mit Blutgruppe 0 anfälliger für eine schwere Cholera sind als andere Menschen. Seitdem haben mehrere Fall-Kontroll-Studien gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 ein erhöhtes Risiko für Krankenhausaufenthalte haben, wenn sie sich mit bestimmten Stämmen des Erregers infiziert hatten.
Menschen mit der Blutgruppe 0 sind ähnlich anfällig, sich mit V. cholerae zu infizieren, wie Menschen mit den Blutgruppen A, B und AB, aber der Verlauf der Krankheit ist bei ihnen schwerer. Das erste Stadium der Infektion, das auf die Adhäsion der Bakterien an den Darmepithelzellen zurückzuführen ist, hängt nicht vom Antigentyp ab. Entscheidend ist vielmehr, dass das von den Bakterien gebildete Toxin (Choleratoxin) an Zellen mit bestimmten Antigenen bindet. Der Hauptrezeptor ist das Gangliosid GM1. Das gastrointestinale Epithel ist äußerst reich an Glykokonjugaten und exprimiert neben GM1 auch Glykolipide und Glykoproteine, die Blutgruppen-ABH-Antigene tragen. Diese Blutgruppenantigene befinden sich auch auf der Schleimschicht, die die Epithelzellen auskleiden. Choleratoxin bei Menschen mit den Blutgruppen A, B oder AB kann daher an die Blutgruppenantigene am Ort der Infektion binden. Die Menge Toxin, die über den GM1-Weg aufgenommen wird, ist geringer. Das kann bei Trägern der Blutgruppen A, B und AB zu leichteren Cholera-Symptomen führen als bei Menschen mit Blutgruppe 0, die nur das schwächer bindende H-Antigen exprimieren.
Noroviren erkennen die Antigene A, B und H. Diese Antigene sind auf der Oberfläche von Darmepithelzellen bei Menschen, die das »Se«-Gen homo- oder heterozygot tragen, vorhanden. Diese Menschen erkranken bei einer Infektion. Personen jedoch, die homozygot für das rezessive Allel »se« sind, sind gegen Infektionen mit den meisten Stämmen der Noroviren resistent. Im Laufe der Evolution der Viren entstanden jedoch Stämme, die Menschen unabhängig von ihrem AB0- und Se-Status infizieren können, da sie andere Antigene erkennen. Die Beispiele zeigen, dass das Zusammenspiel von Pathogenen und Blutgruppen-Antigenen komplex sein kann. Die Mechanismen sind bei den einzelnen Erregern noch längst nicht ausreichend erforscht. Zu beachten ist auch, dass alleine dadurch, dass eine bestimmte Blutgruppe statistisch häufiger mit einem schweren Verlauf zusammenfällt, noch keine Kausalität bewiesen ist.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.