Starke Krümmung bei Skoliose verhindern |
Isabel Weinert |
11.07.2023 11:30 Uhr |
Ist die Wirbelsäule verkrümmt? Das können Kinder- und Jugendmediziner auch im Rahmen der U-Untersuchungen feststellen. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Warum sich bei manchen Menschen im Jugendalter die Wirbelsäule verkrümmt, weiß man nicht genau. Mediziner sprechen dann von einer Adoleszenten Idiopathischen Skoliose, kurz AIS. Weil der Grund bis auf eine mögliche erbliche Komponente unbekannt ist, spricht man von einer idiopathischen Form. Die Betroffenen können nichts für ihre womöglich schlechte Haltung und der Entwicklung einer Skoliose lässt sich auch nicht vorbeugen. Mädchen erkranken nicht nur häufiger als Jungen, sondern auch häufiger schwerer.
Leichte Formen einer Skoliose sind von außen in aller Regel nicht zu erkennen, dennoch können sich Beschwerden entwickeln, und zwar je länger die Erkrankung unentdeckt und unbehandelt bleibt. Das gilt noch weit mehr für stärkere Ausprägungen, die aber oft schon optisch ins Auge fallen. Brust, Hüfte, Rücken und Schulter zeigen Asymmetrien auf oder sie stehen schief, mitunter fällt auch eine Fehlhaltung des Kopfes auf. Beugen sich die Patienten nach vorne, dann bilden die Rippen in seltenen Fällen und bei schwerer Erkrankung auf einer Seite einen Buckel. Stellt der Arzt eine solche sogenannte Kypho-Skoliose fest, dann existieren meist noch andere Krankheiten, zum Beispiel eine hierzulande mittlerweile seltene Rachitis, eine Entzündung des Knochenmarks oder eine Tuberkulose der Wirbelkörper.
Des Weiteren kann sich eine Skoliose auch in Muskelwulsten am Hals oder im Bereich der Lenden äußern. Wurde eine Skoliose im Jugendalter nicht erkannt, können die Folgen der Nichtbehandlung im Erwachsenenalter schmerzhaft und/oder optisch störend sowie Organe bedrängend in Erscheinung treten. Deshalb ist es laut S2k-Leitlinie »Adoleszente Idiopathische Skoliose« das Ziel, den krummen Rücken aufzurichten. Die Leitlinie entstand unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) und der Vereinigung für Kinderorthopädie (VKO) gemeinsam mit zehn weiteren Fachgesellschaften beziehungsweise Bundesverbänden.
Leitlinienkoordinator Professor Dr. Tobias Schulte, DWG, erklärte in einer Pressemitteilung: »Besteht der klinische Verdacht auf eine Skoliose, etwa weil der Oberkörper sichtbar schief steht, wird die Durchführung einer Röntgenaufnahme im Stand für die ganze Wirbelsäule empfohlen.« Dabei bestimme man den Grad der Verkrümmung, der fachsprachlich Cobb-Winkel genannt wird. Lautet die Diagnose »leichte Verkrümmung«, dann genüge es, abzuwarten und den Verlauf so lange regelmäßig zu kontrollieren, bis das Wachstum der Wirbelsäule abgeschlossen ist.
Bei Krümmungen der Wirbelsäule von 25 bis 40 Grad werde konservativ behandelt, also mittels Physiotherapie und eventuell mit dem Einsatz eines Korsetts. Erst wenn eine konservative Therapie nicht die gewünschte Wirkung bringt oder direkt eine Skoliose mit einer Verkrümmung von über 50 Grad diagnostiziert wird, empfehlen die Leitlinien, operativ vorzugehen. Dabei gehen die Autoren ausführlich auf alle Methoden ein sowie auf die Nachbehandlung.
Ob eine Skoliose weiter voranschreitet oder einfach in einem Anfangsstadium verbleibt, lässt sich schwer prognostizieren und ist individuell ganz verschieden. Doch eines gilt in jedem Fall: Je früher die Erkrankung auftritt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie voranschreitet, wenn sie nicht behandelt wird. Das bezieht sich allerdings nicht auf die Skoliose bei Säuglingen. Binnen der ersten beiden Lebensjahre erleben 96 Prozent der betroffenen Babys eine vollständige Remission.
Beträgt der Cobb-Winkel nach den ersten beiden Lebensjahren jedoch noch 20 Prozent, dann ist davon auszugehen, dass die Verkrümmung der Wirbelsäule fortschreitet. Die Leitlinien widmen sich auch Alltagsthemen. Je nachdem, wie stark die Wirbelsäule verändert ist und sich dadurch bedingt Schmerzen zeigen, gibt die Leitlinie in diesem Kapitel vorsichtige Anhaltspunkte zur Berufswahl. Das allermeiste ist möglich, aber individuell kann es schon geschehen, dass sich bestimmte Tätigkeiten zumindest weniger eignen.
Dazu gehören solche, bei denen man sich häufiger bücken muss, jene, die mit dem schweren Heben und Tragen mittelschwerer und schwerer Lasten verbunden sind, außerdem Tätigkeiten, bei denen man andauernd gehen muss, sowie solche, die mit monotonen Körperhaltungen und Zwangshaltungen verbunden sind. Für den (Arbeits-)Alltag ist es auch wichtig zu wissen, dass Patienten mit AIS einen Antrag auf einen Grad der Behinderung (GdB) stellen können. Dabei gibt folgende Tabelle aus den Leitlinien Anhaltspunkte, welches Ausmaß an Beschwerden welchem GdB wahrscheinlich zugeordnet wird.
Wirbelsäulenschäden | GdS/GdB |
---|---|
ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität | |
mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) | 10 |
mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) | 20 |
mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) | 30 |
mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten | 30 – 40 |
mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule/anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z.B. Milwaukee-Korsett]/schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) | 50 – 70 |
bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit | 80 – 100 |
Erhalten junge Menschen die Diagnose AIS, dann sorgen sie sich oft um die eigene körperliche Entwicklung und um ihre persönliche Wirkung innerhalb der Peergroup, so die Autoren der Leitlinie. Psychosoziale Probleme sind deshalb möglich und bedürfen einer frühen psychosozialen Unterstützung. Das ist auch deshalb so wichtig, weil die oft gestörte Körperwahrnehmung der Betroffenen und die damit einhergehenden seelischen Probleme wiederum ein eigenständiger Risikofaktor für Rückenschmerzen sind.
Geht es um die Familienplanung, sehen die Experten der Leitlinie keine Einschränkungen. Sie schreiben: »Eine AIS ist kein Hindernis für eine normale Schwangerschaft und natürliche Geburt.« Und auch was Sport betrifft, gibt es gute Aussichten. Menschen mit AIS sollten sportlich aktiv sein, es existiert kein prinzipielles Verbot einzelner Sportarten und ein solches sollte auch vom behandelnden Arzt nicht erfolgen.