Stillstand wider Willen |
Caroline Wendt |
01.08.2025 12:00 Uhr |
Wie so häufig bei Autoimmunerkrankungen spielt auch beim Stiff-Person-Syndrom das Geschlecht eine Rolle: Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer. Zudem leiden viele Betroffene zusätzlich an weiteren Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder einer Schilddrüsenfehlfunktion. Das Stiff-Person-Syndrom kann in jedem Alter auftreten – dokumentiert sind Fälle vom Kleinkindalter bis zum 81. Lebensjahr. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 46 Jahren, der Verlauf ist chronisch. Es kann jedoch durchaus vorkommen, dass Patienten nach Phasen schleichender Verschlechterung über Monate oder Jahre hinweg stabil bleiben und keinen Krankheitsschub erfahren. Bei Fortschreiten der Erkrankung können sich die Symptome verstärken oder neue hinzukommen. So kann ein Patient, der bisher nur einseitige Beschwerden hatte, eine beidseitige Ausprägung entwickeln – bis hin zur Plusvariante des Syndroms (PERM), bei der zusätzliche neurologische Symptome auftreten.
Die Diagnose stützt sich in erster Linie auf die typischen Symptome wie Rigidität in Beinen und Rumpf sowie eine ausgeprägte Reizempfindlichkeit. Eine Untersuchung mittels Elektromyogramm (EMG) kann den Verdacht bestätigen. Zusätzlich lassen sich Autoantikörper nachweisen – wobei der Nachweis im Nervenwasser (Liquor) noch aussagekräftiger ist als im Blut. Dennoch ist dieser Test nicht zwingend erforderlich: Auch bei negativem Antikörperbefund kann das Stiff-Person-Syndrom vorliegen.
Die Autoantikörper richten sich in 70 Prozent der Fälle gegen die Glutamat-Decarboxylase (GAD), welche normalerweise die Umwandlung von Glutamat zu dem hemmenden Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) katalysiert. Bei 10 bis 15 Prozent der Patienten lassen sich Antikörper gegen den Glycin-α1-Rezeptor finden. Seltener richten sich die Autoantikörper gegen andere inhibitorische Zielstrukturen wie Amphiphysin, den GABA-A-Rezeptor oder Dipeptidyl-Peptidase-like Protein-6 (DPPX).
Laut der S1-Leitlinie »Stiff-Man-Syndrom« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von 2017 ist Physiotherapie in den meisten Fällen hilfreich. Nur bei starker Stimulus-Sensitivität – also einer Überempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen – kann sie unter Umständen die Symptome verstärken. Eine Verhaltenstherapie kann laut Leitlinie das Krankheitsgeschehen zusätzlich positiv beeinflussen, zeigt sich jedoch bei der Behandlung von Angstattacken meist als wenig wirksam.
Benzodiazepine wie Diazepam oder Clonazepam wirken muskelrelaxierend und anxiolytisch und sind meist schon in geringer Dosierung gut wirksam. Aufgrund der Toleranzentwicklung ist jedoch häufig eine kontinuierliche Dosisanpassung erforderlich. Ein süchtiger Fehlgebrauch ist selbst bei höherer Dosierung selten. Alternativ können Patienten Muskelrelaxanzien wie Baclofen oder Tizanidin sowie Antikonvulsiva wie Valproat, Gabapentin oder Carbamazepin erhalten. In ausgewählten Fällen – etwa wenn aufgrund einer Spastik Gelenkschäden drohen – ist auch eine Injektion von Botulinumtoxin möglich.
Wenn die symptomatische Therapie nicht ausreicht, kann eine Behandlung mit Kortikosteroiden – etwa Prednisolon oder Methylprednisolon – in Erwägung gezogen werden, wobei die potenziellen Nebenwirkungen bei Langzeitanwendung zu beachten sind. Darüber hinaus kommt eine intravenöse Gabe von Immunglobulinen (IgG) infrage. Die Wirkung setzt meist rasch ein und hält nach zweimaliger Infusion etwa zwei bis drei Monate an.
Die Leitlinie empfiehlt, bei Beginn einer immunmodulierenden Therapie möglichst auf zusätzliche symptomatische Maßnahmen wie Muskelrelaxantien zu verzichten oder diese zumindest konstant zu halten. Nur so lässt sich die Wirkung der Immunmodulation zuverlässig beurteilen.