Stresstest für Arzneimittel |
Wenn Patienten die Lagerbedingungen korrekt einhalten, garantiert der Hersteller dafür, dass das Arzneimittel bis zum Ende der Laufzeit sicher und wirksam ist. Doch was kann die PTA raten, wenn das Medikament falsch aufbewahrt wurde? Allgemein gilt: Feste Arzneiformen wie Tabletten sind gegenüber Temperaturschwankungen meistens eher unempfindlich. Weichgelatinekapseln allerdings können bei hohen Temperaturen über längere Zeit ihre Konsistenz verändern und in einer Dose miteinander verkleben.
Bei anderen Arzneimitteln ist schon eine kurzzeitige Temperaturabweichung gefährlich. Beispiel Asthmasprays: Lagern sie in der direkten Sonne, heizen sie stark auf. Der Druck im Behälter steigt, die Dosiergenauigkeit leidet, da der Druckstoß heftiger ist als normal. Die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels sind beeinträchtigt, das Präparat muss entsorgt werden. Ebenfalls unbrauchbar können bei mehrstündigen Temperaturbelastungen über 25 °C arzneistoffhaltige Pflaster werden. Bei Membranpflastern kann sich die Wirkstoffkonzentration im Kleber erhöhen. Appliziert der Patient das Pflaster, erhält er eventuell eine zu hohe Dosis gleich zu Beginn.
War die Kühlschranktür zu lange auf? Mit Temperaturloggern gelingt die Temperaturkontrolle in der Apotheke lückenlos. / Foto: PZ/Wolf
Auch in der Apotheke kann versehentlich kurzzeitig von den vorgeschriebenen Lagerbedingungen abgewichen werden. Dann ist im Einzelfall zu entscheiden. Dazu sagt Buchautorin Born: »Gerade bei Kühlware ist selbst eine kurzfristige Unterschreitung von 0 °C als sehr kritisch zu betrachten.« Bei der Lagerung bei Raumtemperatur seien kurzzeitige Abweichungen in der Regel weniger schlimm. Zum weiteren Vorgehen empfiehlt sie: »Grundsätzlich sind alle betroffenen Arzneimittel zunächst unter Quarantäne zu stellen und anhand der auf der Umverpackung angegeben Lagerbedingungen zu bewerten. Sind keine Lagerbedingungen für das Arzneimittel angegeben, ist eine kurzfristige Überschreitung der üblichen maximal 25 °C Lagertemperatur in der Apotheke als unkritisch zu betrachten. Für diese Mittel haben die Hersteller Stabilitätsdaten vorliegen, die zeigen, dass das Arzneimittel auch noch bei höheren Temperaturen bis 40 °C stabil bleiben.« Macht der Hersteller hingegen Vorgaben zu den Lagerbedingungen, sollte das Apothekenteam die betroffenen Arzneimittel unter Quarantäne lassen und die Stabilitätsdaten beim Hersteller erfragen.
Die PTA kann in einigen Fällen bereits an äußeren Zeichen erkennen, dass ein Arzneimittel gelitten hat: Gele, Cremes, Salben und Zäpfchen haben ihre Konsistenz verändert, in der Regel sind sie flüssig geworden oder haben sich zersetzt. Suppositorien schmelzen bereits bei 25 °C. Auch wenn die Zäpfchen wieder erhärten, sind sie nicht mehr zu verwenden. Ihre Wirkstoffe könnten sich in der geschmolzenen Grundlage ungleichmäßig verteilt haben.
Außer dass sich Cremes verflüssigen, kann sich bei Erwärmung auch ihre Farbe ändern. Bei Tabletten können ebenfalls Farbveränderungen auftreten, ebenso sind Risse oder Aufwölbungen möglich. Wie bei Lebensmitteln sind auch bei Arzneimitteln aufgeblähte Verpackungen ein eindeutiges Zeichen für einen Verderb, ebenso, wenn sich ein ungewöhnlicher Geruch entwickelt hat. Flüssige Arzneimittel sind zudem nicht mehr verwendbar, wenn Bestandteile ausflocken und die Zubereitung trüb wird, solange dies nicht als typische Merkmale des Arzneimittels in der Gebrauchsanweisung beschrieben ist. Das Problem: Nicht alle Qualitätsmängel sind äußerlich zu erkennen. Daher ist die Rücksprache mit dem Hersteller so wichtig. Bewertet dieser die Temperaturabweichung als unkritisch und liegen keine äußerlichen Änderungen vor, können die Medikamente zur weiteren Verwendung freigegeben werden. »Im Härtefall sind die Arzneimittel oder ein Teil davon allerdings zu vernichten. Die Freigabe oder die Vernichtung sollte schriftlich dokumentiert sein, am besten zusammen mit den Temperaturdaten der Apotheke und den Antworten der Hersteller«, rät Born.
Auf Herz und Nieren prüfen: Bevor ein Arzneimittel auf den Markt kommt, nehmen pharmazeutische Hersteller umfangreiche Stabilitätsprüfungen vor. / Foto: Getty Images/Westend61/Andrew Brookes
Arzneimittel sind nicht ewig haltbar. Ihre Wirkstoffe können durch Oxidation, Hydrolyse und Racemisierungsprozesse ab- oder umgebaut werden, es können sich Zersetzungsprodukte bilden oder die Primärpackmittel können mit dem Arzneimittel interagieren. Temperatur- und Feuchtigkeitsbelastung, Licht und Sauerstoff beschleunigen die Prozesse. Pharmazeutische Unternehmen erstellen daher für jedes Arzneimittel einen Plan für Stabilitätsuntersuchungen.
Sie lagern es für mindestens die Dauer der erwünschten Laufzeit bei unterschiedlichen Klimabedingungen ein und untersuchen zu festgelegten Prüfzeitpunkten die mikrobiologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften. Die Vorgaben für diese Versuche werden in international anerkannten Leitlinien, den Richtlinien des International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use (ICH), festgelegt.
Die Unternehmen müssen solche Stabilitätstest durchzuführen, um eine Zulassung für ihr Medikament zu bekommen. Sie sind außerdem dazu verpflichtet, die Studien jährlich an mindestens einer Charge zu belegen (On-going-Stabilitätsprüfungen). Über die gesamte Laufzeit hinweg bis zum Ende der Verwendbarkeit muss der Wirkstoffgehalt üblicherweise noch mindestens 90 Prozent des deklarierten Wertes betragen, und es dürfen nur minimale Mengen an Zersetzungsprodukten auftreten.