Tumorzellen gezielt ausschalten |
Es sind Frauen jedes Alters, die die Diagnose Brustkrebs aus ihrem bisherigen Leben reißt. Inzwischen gibt es jedoch auch für bisher kaum therapierbare oder fortgeschrittene Brustkrebsformen neue Behandlungsmöglichkeiten. / © Getty Images/FatCamera
Anders als die klassische Chemotherapie richten sich zielgerichtete Therapien spezifisch gegen bestimmte Merkmale der Brustkrebszellen. Gesundes Gewebe schädigen sie kaum. Dadurch sind sie potenziell besser verträglich. Sie können allerdings nur wirken, wenn die Tumorzellen der Patientin die jeweiligen Zielstrukturen aufweisen. Ob das so ist, stellt der Arzt in der Regel anhand einer Gewebeprobe fest. Manchmal sind zusätzlich auch Gentests nötig.
Der wichtigste Angriffspunkt zielgerichteter Medikamente ist der Rezeptor HER2 (manchmal auch HER2/neu genannt) für den humanen epidermalen Wachstumsfaktor. Er findet sich bei etwa 15 bis 20 Prozent aller Brustkrebspatientinnen in großen Mengen auf der Oberfläche der Krebszellen. HER2 erleichtert es dem Tumor, in gesundes Gewebe einzuwachsen und Metastasen zu bilden. Früher verringerte das die Überlebenschance der Betroffenen. Durch die Entwicklung von monoklonalen Antikörpern gegen HER2 hat sich das in den letzten 20 Jahren umgekehrt: Diese Medikamente blockieren den Rezeptor und unterbinden dadurch das Wachstumssignal. Heute sind die Heilungsaussichten bei HER2-positivem Brustkrebs deshalb besser als bei HER2-negativem.
Besonders effektiv wirken die HER2-Antikörper Trastuzumab (Herceptin® unter anderem) und Pertuzumab (Perjeta®) in Kombination mit einer Chemotherapie. Bei den ersten Infusionen verursachen sie bei manchen Patientinnen allergie- oder grippeartige Nebenwirkungen. Weil die Therapie den Herzmuskel in Mitleidenschaft ziehen kann, sollte die Herzfunktion regelmäßig überwacht werden. Anders als die meisten anderen zielgerichteten Wirkstoffe ist Trastuzumab auch für Brustkrebs im Frühstadium zugelassen.
HER2 wird darüber hinaus als Eintrittspforte genutzt, um besonders potente Zytostatika gezielt ins Innere von Tumorzellen zu schleusen: Trastuzumab-Emtansin (Kadcyla®) und Trastuzumab-Deruxtecan (Enhertu®) sind feste Konjugate aus dem HER2-Antikörper und einem Chemotherapeutikum. Die »bewaffneten« Antikörper binden an den Rezeptor und gelangen so in die Krebszelle, wo das Zellgift seine Wirkung entfalten kann. Gesunde Zellen bleiben verschont. Sie wirken sehr zielgenau und bekämpfen auch Mammakarzinome mit niedriger oder ultraniedriger HER2-Konzentration, die manchmal fälschlicherweise als HER2-negativ eingeordnet werden.
Die Wirkung der sogenannten Tyrosinkinase-Hemmer setzt ebenfalls an HER2 an. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Antikörper, sondern um sehr kleine Moleküle (»Small Molecules«), die direkt in die Zelle eindringen können. Dort verhindern sie, dass die wachstumsfördernden Signale von HER2 und anderen Rezeptoren innerhalb der Tumorzelle weitergeleitet werden – die Zelle kann sich also nicht mehr teilen.
Der Tyrosinkinase-Hemmer Neratinib (Nerlynx®) ist für frühen Hormonrezeptor-positiven Brustkrebs nach Trastuzumab-Vorbehandlung zugelassen, Lapatinib (Tyverb®) und Tucatinib (Tukysa®) sind fortgeschrittenen Stadien vorbehalten. Einen ähnlichen, aber von HER2 unabhängigen Signalweg blockiert der Kinaseinhibitor Capivasertib (Truqab®), der seit Juni 2024 in der EU erhältlich ist. Voraussetzung für die Verordnung ist jedoch der Nachweis bestimmter Genmutationen.