Verhilft eine Extra-Dosis zu mehr Muskelmasse? |
Rühr- oder Spiegelei, dazu milchhaltiger Kartoffelbrei – das ergibt eine sehr hohe sogenannte Eiweißwertigkeit. / © Adobe Stock/dusanpetkovic1
Proteinreiche Lebensmittel wie Fleisch, Milchprodukte, Eier, Hülsenfrüchte und Nüsse liefern wertvolle Eiweißbausteine. Einige davon kann der Körper nicht selbst herstellen. Diese als unentbehrlich (früher als »essenziell«) bezeichneten Aminosäuren sind Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin für Erwachsene sowie zusätzlich Histidin für Säuglinge. Leucin, Isoleucin und Valin sind die sogenannten verzweigtkettigen Aminosäuren und wichtig für Muskelproteine wie Aktin und Myosin. Sie sind bei Kraftsportlern beliebt.
Lysin trägt zur Bildung kollagener Proteine bei und wird für das Bindegewebe gebraucht. Methionin ist eine Vorstufe für S-Adenosylmethionin, den Hauptmethyl-Donator für viele Synthesen und Entgiftungsreaktionen im Stoffwechsel. Phenylalanin wird unter anderem für die Produktion der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin benötigt, während Threonin zum Beispiel als Baustein für Proteine des Immunsystems dient. Tryptophan ist eine Vorstufe für Serotonin, das »Glückshormon«, und Melatonin, das »Schlafhormon«. Histidin hat eine starke Metallbindungskapazität und ist ein Bestandteil von Hämoglobin, dem eisenhaltigen Proteinkomplex in den roten Blutkörperchen, das Sauerstoff transportiert.
Während Nahrungsmittel stets eine Mischung aus Aminosäuren enthalten, gibt es einige isoliert in Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) zu kaufen. Dabei kann es sich um Präparate mit den unentbehrlichen Eiweißbausteinen handeln, die als EAA (»essential amino acids«, also essenzielle Aminosäuren) angeboten werden, oder auch um die verzweigtkettigen, die als BCAA (branched-chain amino acids) erhältlich sind. Einzelne Aminosäuren wie Glutamin oder Arginin werden ebenfalls angeboten.
Muskeln bestehen zu etwa einem Drittel aus BCAA. Die BCAA-Präparate im Handel sind in verschiedenen Mischungsverhältnissen erhältlich, meist im Verhältnis 2:1:1 (Leucin:Valin:Isoleucin). Die NEM werden vor allem im Kraftsport verwendet. Sie gelangen nach der Aufnahme schnell ins Blut, dienen als Energielieferanten und werden rasch verstoffwechselt. Hersteller werben damit, dass die Einnahme während des Trainings einen katabolen Zustand, also einen Muskelabbau, verhindern kann und die Proteinsynthese ankurbelt.
Dabei ist zu beachten, dass für eine physiologisch signifikante Steigerung der Muskelproteinsynthese alle unentbehrlichen Aminosäuren ausreichend verfügbar sein müssen. Im nüchternen Zustand nutzt der Körper dafür Bausteine aus dem intrazellulären Pool freier Aminosäuren, der durch Muskelproteinabbau entsteht. Da diese restlichen benötigten Aminosäuren die begrenzende Ressource sind, kann eine Supplementierung mit BCAA allein die Muskelproteinsynthese nur begrenzt fördern.
Ergibt die Einnahme von EAA mehr Sinn? Sie sollen wie BCAA den Muskelaufbau unterstützen, die Regeneration verbessern und katabole Prozesse verhindern, die sonst zu Muskelabbau führen können. Es gibt Hinweise, dass die Kombination aus Widerstandstraining und EAA-Einnahme einen synergistischen Effekt bewirkt und Muskelsynthese, Myokine und Entzündungsfaktoren verbessert.
Besonders sinnvoll könnte die Einnahme vor dem Schlafengehen sein. In einem Review aus 2019 stellten Wissenschaftler fest, dass vor dem Schlafengehen aufgenommenes Protein während des Nachtschlafs effektiv verdaut und absorbiert wird, wodurch die Muskelproteinsyntheserate über Nacht ansteigt. Der abendliche Proteinkonsum scheint den Appetit beim Frühstück am nächsten Tag nicht zu verringern und ändert nichts am Ruheenergieverbrauch.
Führten die Probanden über einen längeren Zeitraum Widerstandstraining durch, hatte die Proteinergänzung vor dem Schlafengehen eine positive Wirkung auf die Zunahme von Muskelmasse und -kraft. Möglicherweise hilft eine Proteinzufuhr vor dem Schlafengehen auch, um Muskelmasse bei älteren Menschen zu erhalten, insbesondere in Kombination mit körperlicher Aktivität oder neuromuskulärer elektrischer Stimulation.