Viele Maßnahmen sinnvoll – Bewertung bleibt schwierig |
Das gelte auch für die Wirkungen von Lockdowns. »Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker«, so das Gutachten. Je länger ein Lockdown dauere und je weniger Menschen bereit seien, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer sei der Effekt. Bei vielen sinkt laut den Wissenschaftlern die Bereitschaft mit der Zeit. Ähnlich wie bei den Lockdown-Maßnahmen sei auch die Kontaktnachverfolgung vor allem in der Frühphase der Pandemie wirksam gewesen.
Einen hohen Effekt messen die Expertinnen und Experten Zugangsbeschränkungen auf Geimpfte, Genesene und/oder Getestete bei, sogenannten 2G/3G-Maßnahmen – aber vor allem in den ersten Wochen nach der Boosterimpfung oder der Genesung. Der Schutz vor einer Infektion lasse mit der Zeit deutlich nach.
In der aktuellen Phase der Pandemie sei die Beurteilung der Wirkung solcher Beschränkungen schwierig. Wenn diese nötig würden, sollte zunächst eine Testung unabhängig vom Impfstatus als Zutrittsbedingung empfohlen werden. Wie gut eine Eindämmung über Testung funktionieren könne, müsse aber weiter erforscht werden.
Weiterhin offen sei die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Virus. Weil zeitgleich mehrere Maßnahmen eingeführt wurden, könne demnach deren Effekt allein nicht gemessen werden. Das Gremium stellt zugleich fest, dass im Gegensatz dazu aber die »nicht-intendierten Wirkungen« durchaus untersucht worden seien. Das Gremium rät, eine weitere Expertenkommission sollte diese nicht beabsichtigten Folgen »unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls« genau prüfen.
Die Sachverständige Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, sagte, nötig sei »so etwas wie ein Rechtsanspruch auf ein Mindestmaß an sozialen Kontakten«. In Familien sei es zu einem »Rückfall in alte Geschlechterrollen« und zu einem »unglaublichen Ausmaß an mentaler Erschöpfung« gekommen.
»Die Bewertung der Corona-Maßnahmen ist in weiten Teilen vernichtend«, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der Nachrichtenagentur dpa. »Für uns Freie Demokraten steht eines fest: Tiefgreifende Grundrechtseingriffe wie Lockdowns oder Schulschließungen wird es nicht mehr geben.« Gemäß dem Urteil der Expertinnen und Experten seien derartige Einschränkungen weder wirksam noch angemessen gewesen. Nun würden die Schutzmaßnahmen für den Herbst beraten. Nur mit einer besseren Datenlage könnten evidenzbasierte Entscheidungen getroffen werden.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der dpa hingegen: »Die Aussagekraft des Berichts ist (...) begrenzt.« An vielen Stellen weise er auf Unsicherheiten hin. »Die Abwesenheit von Evidenz zur Wirksamkeit ist keine Evidenz für die Abwesenheit von Wirksamkeit«, stellte Dahmen fest.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.