Vom tödlichen Gift zum therapeutischen Multitalent |
Einen enormen Bekanntheitsgrad erreichte Botulinumtoxin nach seiner Einführung in die ästhetische Medizin. Das Glätten von Sorgen- und Zornesfalten auf der Stirn oder das Mildern von Krähenfüßen rund um die Augen zaubert Anwender schnell ein paar Jahre jünger. Die Angst vor einer starren Mimik oder einem unnatürlichen Gesichtsausdruck ist dabei meist unbegründet. Erfahrene Mediziner injizieren Botulinumtoxin nur in die Muskeln, deren Anspannung die Falten verursacht. Alle anderen bleiben unbeeinflusst. Die Prozedur an sich kann etwas unangenehm sein, erfordert anders als die Behandlung von Spastiken in der Regel aber keine örtliche Betäubung oder Narkose.
Etwa eine Million Menschen in Deutschland sind von übermäßigem Schwitzen betroffen. Oft tritt es an den Händen, Füßen und Achselhöhlen auf und wird von Betroffenen als enorm belastend und lebenseinschränkend erlebt. Zur Verfügung stehen verschiedene therapeutische Maßnahmen, die Wirksamkeit ist mitunter jedoch nicht ausreichend oder die Anwendung geht mit Nebenwirkungen einher. Für die Behandlung der Achselhöhle ist Botulinumtoxin eine zugelassene Alternative, die die Schweißproduktion für durchschnittlich vier bis sechs Monate effektiv senkt.
Von Vorteil ist, dass die Wirkung auf die ekkrinen Schweißdrüsen begrenzt ist. Die apokrinen Drüsen bleiben unbeeinflusst, wodurch der Körpergeruch erhalten bleibt. Die Behandlung von Hand- und Fußflächen gestaltet sich komplizierter und für die Patienten deutlich schmerzhafter. Eine Zulassung für diese Indikation gibt es derzeit nicht.
Unkontrollierter und übermäßiger Speichelfluss ist bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen ein Begleitsymptom, das Hautbeschwerden und Lungenentzündungen begünstigt sowie zur Stigmatisierung der Betroffenen beiträgt. Botulinumtoxin ist deshalb seit 2019 für die Behandlung zugelassen.
Die Injektion von Botulinumtoxin gilt als wirksame, sichere und gut verträgliche Behandlungsmethode. Nebenwirkungen können vor allem im Bereich der Injektionsstellen auftreten. Dazu zählen Rötungen, Schwellungen oder blaue Flecken an den Einstichstellen. In der Faltenbehandlung kann eine zu hohe Dosis neben einer eingeschränkten Mimik zu Schluckstörungen, Mundtrockenheit und Kopfschmerzen führen. Bei Dystonien am Hals zählen Stimmveränderungen und Heiserkeit zu den möglichen Nebenwirkungen.
Die Behandlung von Lidkrämpfen kann mit Nebenwirkungen wie ein vorübergehendes Hängen der Augenlider, verstärktes Tränen der Augen und selten Doppeltsehen einhergehen. Meist klingen die Beschwerden innerhalb von zwei Wochen wieder vollständig ab.
In der Dauerbehandlung mit Botulinumtoxin entwickeln einige Patienten neutralisierende Antikörper. Die Wahrscheinlichkeit hierfür steigt mit der Häufigkeit der Injektion, der Höhe der Einzeldosis und der kumulierten Dosis an, zudem spielt die Formulierung des Botulinumtoxin-Präparats eine Rolle. Ausgenommen von einer Behandlung mit Botulinumtoxin sind Menschen mit bestimmten Formen des Grünen Stars oder einer Muskelschwäche. Bei schwangeren Frauen wird der Einsatz prinzipiell vermieden, kann jedoch in begründeten Ausnahmefällen und nach gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung durchgeführt werden.
Das Bakterium Clostridium botulinum und seine Neurotoxine konnten Ende des 19. Jahrhunderts als Ursache des Botulismus, einer gefürchteten Lebensmittelvergiftung, identifiziert werden. Bis heute gibt es immer wieder mal vereinzelte Fälle, die meist auf den Konsum von Lebensmitteln in Dosen oder Einmachgläsern zurückzuführen sind. Auslöser sind Fehler während des Konservierungsprozesses, die zu einer unzureichenden Abtötung des Erregers führen.
Unter anaeroben Bedingungen beginnen diese mit der Ausbildung von Toxinen. Hier reichen bereits kleinste Mengen, um einen Botulismus auszulösen. Auf der sicheren Seite sind Konsumenten, wenn Konservenwaren vor dem Verzehr noch einmal auf über 80 °C erhitzt werden, da das Neurotoxin hitzelabil ist.