Wenn sich Halbwissende für besonders schlau halten |
»Ich weiß, dass ich nichts weiß«, soll einst Sokrates gesagt haben. Bei Menschen mit Dunning-Kruger-Effekt ist es umgekehrt. / Foto: Getty Images/nicoletaionescu
Die Psychologen Professor Dr. David Dunning und Professor Dr. Justin Kruger stellten ihre Theorie in einer Arbeit von 1999 vor. Demnach überschätzen sich gerade wenig kenntnisreiche Menschen, weil sie nicht einmal ahnen, was sie alles nicht wissen. Es sei zwar toll, so viel öffentliche Bekanntheit zu haben, sagte Dunning kürzlich in einem »Scientific American«-Podcast. Er würde sich aber wünschen, der Begriff würde nicht als Schimpfwort benutzt, wie es derzeit üblich in Sozialen Medien ist, »denn es geht wirklich darum, über sich selbst nachzudenken und zu wissen, dass es Dinge geben könnte, die man nicht weiß. Es geht nicht darum, über andere Menschen zu urteilen.«
Unter Fachleuten teils belächelt bis umstritten, hat der so einleuchtend klingende Effekt in der Öffentlichkeit eine riesige Fangemeinde. Denn wohl jeder hat gelegentlich den Eindruck, dass sein Gegenüber von einem Thema herzlich wenig Ahnung hat, sich selbst aber für den größten Kenner hält. »Das begegnet einem im Alltag doch recht oft«, sagt der Sozialpsychologe Professor Dr. Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg. »Die am lautesten schreien, sind meist die mit der wenigsten Ahnung.«
Der paradoxe Hang zur Selbstüberschätzung kann gefährlich sein. Für denjenigen selbst, wenn er sich nach der Google-Recherche eine medizinische Diagnose stellt oder nach drei Lehrvideos für den neuen Börsenexperten schlechthin hält. Für andere, wenn der 18-jährige Fahranfänger meint, besser zu fahren als alle anderen. Und für Unternehmen, wenn Angestellte die Tragweite ihres Tuns nicht überblicken.
Zugrunde liegt dem Phänomen den zwei US-amerikanischen Psychologen zufolge, dass Menschen generell schlecht darin sind, ihr Wissen, ihre Fähigkeiten oder ihre Leistung realistisch einzuschätzen: Mehr als 90 Prozent der Autofahrer in den USA sind Untersuchungen zufolge überzeugt, überdurchschnittlich gute Fahrer zu sein. Auch beim Fußballgucken, bei Finanzfragen oder Ansichten zur Klimakrise wird häufig deutlich: Menschen glauben schnell von sich, dass sie sich bestens auskennen.
Auf die Spur gekommen waren Dunning und Kruger dem Effekt bei Testreihen mit Studenten, die Fragebögen bearbeiten und dann einschätzen sollten, wie gut sie wohl im Vergleich zu den anderen abschnitten. Ausgerechnet beim schlechtesten Viertel glaubten viele von sich, weitaus besser zu liegen – selbst dann noch, wenn sie die Bögen der besten Teilnehmer zu sehen bekamen. Sie waren nicht in der Lage, die eigene Inkompetenz zu bemerken und auch nicht dazu, die Kompetenz von Menschen mit mehr Fachwissen zu erkennen – und anzuerkennen. Weitere Tests zeigten, dass Einsteiger zunächst mit Respekt an eine Sache herangehen. Sobald sie aber erste kleine Kompetenzen erworben haben, neigen sie zu gravierender Selbstüberschätzung.
In die entgegengesetzte Richtung geht im Übrigen ein anderes psychologisches Phänomen: das Impostor-Syndrom, auch Hochstapler-Syndrom genannt. Auch bei diesem sind Betroffene nicht in der Lage, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen richtig einzuordnen, jedoch in die andere Richtung: Diese Menschen zweifeln die eigene Leistung an und halten sich irrtümlich für Hochstapler. Unter diesem Syndrom leiden meist leistungsstarke Personen, die ihre Erfolge jedoch häufig externen Faktoren wie Glück, Zufall oder der Hilfe von außen zuordnen.