Wie Menschen mit Pandemien umgehen – früher und heute |
Doch auch Solidarität und Hilfsbereitschaft wurden in Krisenzeiten gelebt. Leven erinnert etwa an den Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo, der bei einer späteren Pest im 16. Jahrhundert die Kranken und unter Quarantäne Stehenden aufrief, die Messe von ihren Fenstern aus zu verfolgen. »Heute sehen wir die Bilder aus Italien, die zeigen, wie Menschen auf ihren Balkonen stehen und singen. Das ist quasi die säkulare Form der damals eingeführten Messen«, sagt Leven.
Auch während der Cholera in Hamburg 1892 war Solidarität zu beobachten. »Es gab Bürgerkomitees, die die Gesundheitsfürsorge in die Hand nahmen«, sagt der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Hansestadt und Professor Philipp Osten. »Die haben Desinfektionskolonnen organisiert und abgekochtes Trinkwasser ausgegeben.«
Auch Gerüchte und Verschwörungstheorien kennt die Seuchengeschichte zur Genüge. Aufklärung und Transparenz sehen Historiker daher als wichtige Lehren. Beispiel Spanische Grippe, die Schätzungen zufolge im März 1918 zwischen 25 und 50 Millionen Menschen das Leben kostete. »Das Bagatellisieren oder das Wegschauen und Verleugnen einer Seuchengefahr ist ein Problem«, sagt der Medizinhistoriker Volker Roelcke. Berichte zeigten, dass die zuständigen Behörden die Gefahr in Amerika, wo die Grippe ausbrach, zunächst ignorierten.
»Erst zwei, drei Monate später, als es eine größere Zahl von Betroffenen gab, haben die Behörden reagiert – aber nicht davon abgesehen, zum Beispiel amerikanische Soldaten nach Europa zu schicken«, erklärt der Professor der Universität Gießen.
Und auch die »soziale Distanz« feierte während der Spanischen Grippe schon erste Erfolge. In St. Louis kam es nach Angaben des Münchner Historikers Nicolai Hannig zu Schulschließungen und Isolationen. Eine US-amerikanische Studie belegte später: Während dort die Zahl der Infizierten nur langsam anstieg, schnellten in Philadelphia, wo es selbst nach den ersten Fällen noch öffentliche Paraden gab, die Zahlen in die Höhe.
Die Vorsorgemaßnahmen, die man damals ergriffen hat, sind recht vergleichbar mit unseren heutigen, sagt Hannig, der zur Geschichte von Naturkatastrophen und ihrer Bewältigung forscht. Er plädiert allerdings dafür, künftig noch genauer auf Probleme zu achten, die erst aus der Vorsorge entstehen – etwa die langfristigen Folgen von Quarantäne und Kontaktverboten für Wirtschaft und Gesellschaft.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.