Wie (un)gesund ist Hafermilch wirklich? |
Kuhmilchalternativen gibt es viele. Hafermilch punktet bei der Umweltbilanz, hat aber dafür nicht den geringsten Kaloriengehalt unter den Pfanzendrinks und weniger Nährstoffe als Kuhmilch. / Foto: Getty Images/jenifoto
Haferdrinks enthalten Zucker – selbst dann, wenn sie ungesüßt sind. Denn wie jedes Getreide besteht auch Hafer aus Stärke. Auch wenn die erst einmal nicht süß schmeckt: In ihr sind viele Zuckermoleküle miteinander verbunden. Um aus dem Getreide ein schmackhaftes Getränk zu machen, wird der Hafer verarbeitet.
»Man gibt Enzyme dazu, die die Stärke spalten. Dabei werden Zuckerreste abgespalten und es entsteht Malzzucker. Haferdrinks haben also einen natürlichen Zuckergehalt«, erklärt der Ernährungswissenschaftler Professor Nicolai Worm. Wie hoch der ist, variiert stark und hängt auch vom Herstellungsprozess ab. Durchschnittlich aber liegt er bei 4 Gramm pro 100 Gramm Getränk, so Karlis Briviba. Er ist kommissarischer Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut.
Doch dieser Wert allein sagt aber noch nicht viel darüber aus, wie der Haferdrink auf den Blutzuckerspiegel wirkt. Dafür braucht es zwei weitere Maße: den glykämischen Index sowie die glykämische Last.
Der glykämische Index gibt an, wie stark die Kohlenhydrate eines Lebensmittels den Blutzuckerspiegel erhöhen. Langkettige Kohlenhydrate, wie in Vollkornprodukten, erhöhen den Blutzuckerspiegel eher langsam. Limonaden mit ihren kurzkettigen Kohlenhydraten – also Zucker – deutlich schneller. Die Skala reicht von 0 bis 100. Je höher der Wert, desto schneller werden die Kohlenhydrate verdaut und gehen ins Blut. »Haferdrinks haben dabei einen relativ hohen Wert«, sagt Karlis Briviba. Er liegt bei etwas über 60 und ist damit vergleichbar mit herkömmlichem Haushaltszucker.
Die glykämische Last sagt dagegen aus, wie viele Kohlenhydrate in einem Lebensmittel überhaupt stecken. So können zwei Lebensmittel denselben glykämischen Index haben, aber unterschiedlich stark auf den Blutzuckerspiegel einwirken – einfach, weil das eine Lebensmittel deutlich mehr Kohlenhydrate enthält als das andere.
»Der glykämische Index ist bei Haferdrinks zwar relativ hoch, aber die glykämische Last ist gering«, sagt Briviba. »Wenn wir einen Vergleich anstellen wollen, hätte ein Glas Hafermilch vergleichbare Werte wie eine kleine Scheibe Vollkornbrot oder eine halbe Scheibe Weizenbrot.« Die Einordnung des Experten: »Das ist sehr wenig und fällt für gesunde Menschen nicht besonders ins Gewicht.«
Kein Grund also, Hafermilch per se zu verteufeln. Geht es um eine gesunde und ausgewogene Lebensweise, kommt es nicht auf ein einziges Lebensmittel an, sondern auf die Ernährung in ihrer Gesamtheit.
Auch Nicolai Worm hält eine Gesundheitsdiskussion auf Basis des Zuckergehalts von Haferdrinks für »völligen Quatsch«. Wie gesund ein Lebensmittel ist, lasse sich nicht an einem etwas steigenden Blutzuckerspiegel festmachen, sagt er. Zumal ein gesunder Körper mit so einem Blutzuckeranstieg selbst gut umgehen könne. Bei gesunden Menschen steige der Blutzuckerspiegel nach dem Essen nicht höher als etwa 140 mg/dl an. »Egal ob sie mehr oder weniger Zucker essen, der Körper regelt durch eine Mehrausschüttung von Insulin gegen«, sagt Worm.
Ein Problem bestehe erst, wenn der Körper nicht mehr genug Insulin produzieren kann, also Diabetes vorliegt. Oder wenn es eine Insulinresistenz gibt. Der Körper müsse dann eine vielfache – und damit ungesunde – Menge an Insulin ausschütten, um den Zucker aus dem Blut zu bekommen, so Nicolai Worm.
Eine Insulinresistenz wird durch einen Lebensstil mit Bewegungsmangel, Übergewicht, Schlafmangel und weiteren Faktoren begünstigt. Sie bleibt oft lange unentdeckt, weil sie keine Beschwerden verursacht. Für Menschen mit Diabetes gilt allerdings schon eine gewisse Vorsicht, was Haferdrinks angeht: »Sie sollten grundsätzlich sehr genau berücksichtigen, wie viele Kohlenhydrate sie zu sich nehmen«, sagt Briviba – und den Haferdrink dem Blutzuckerspiegel zuliebe lieber durch die ungesüßte Mandel- oder Soja-Variante ersetzen.
Bezogen auf Haferdrinks hat Nicolai Worm aber einen anderen Kritikpunkt: »Im Vergleich zur Kuhmilch enthalten Haferdrinks sehr wenige essenzielle Nährstoffe wie Calcium oder Jod.« Deswegen reichert die Industrie die Produkte mit Mineralstoffen und Spurenelementen an.
Doch in Pflanzen – so auch in Hafer – gibt es auch immer sogenannte Hemmstoffe, wie Worm erklärt. Diese erschweren es dem Körper, Nährstoffe aufzunehmen, sodass selbst das hinzugefügte Calcium kaum genutzt werden könne. »Laut Studien liegt die Calciumverfügbarkeit bei Haferdrinks bei 3 Prozent. Bei Kuhmilch wird sie mit 30 Prozent angegeben.« Auch im Hinblick auf den Proteingehalt stehe der Haferdrink deutlich hinter der Kuhmilch. »Das heißt, die Wertigkeit, der reine Ernährungswert, ist im Vergleich zur Milch niedriger.«
In Sachen Treibhausgase schneiden alle pflanzlichen Milchersatzprodukte deutlich besser ab als Kuhmilch, besonders aber Haferdrinks. Diese werden sogar häufig aus einheimischem Getreide aus regionalem Anbau hergestellt. Das spart im Vergleich zur Herstellung von Mandel- und Reisdrinks große Mengen an Wasser und reduziert Transportemissionen, die wiederum bei Sojaprodukten anfallen.
Wer beim Milchersatz Kalorien sparen möchte, greift am besten zu Mandel- oder Kokosdrinks. Sie sind mit gerade einmal 13 bis 21 Kilokalorien pro 100 Milliliter am kalorienärmsten, hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen 2023 in einem Marktcheck ermittelt. Das gilt jedoch nur für die ungesüßten Varianten. Damit sind Mandel- und Kokosdrink übrigens auch deutlich leichter als Kuhmilch: In Vollmilch (3,5 Prozent Fettgehalt) stecken auf 100 Milliliter rund 65 Kilokalorien. In fettarmer Milch (1,5 Prozent) sind es rund 45 Kilokalorien.
Sojadrinks liegen beim Kaloriengehalt mit durchschnittlich 38 Kilokalorien pro 100 Milliliter im Mittelfeld, punkten jedoch beim Proteingehalt. Dieser ist nicht nur hoch, sondern die Wissenschaftler stellten auch eine »eine sehr gute Proteinqualität« fest, mit einem hohen Anteil an essenziellen Aminosäuren. Bei Hafer- und Mandelmilch ist die Proteinqualität dem Bericht zufolge geringer, der Körper kann sie schlechter verwerten.
Apropos Haferdrinks: Weil sie auf Getreide basieren, enthalten sie viele Kohlenhydrate und wenig Eiweiße – und damit auch eher viele Kilokalorien: durchschnittlich 46. Vor allem Barista-Varianten sind oft fett- und kalorienreicher.