Das Bauchgefühl in der Wissenschaft |
Der vorherrschenden Meinung nach gilt: Das Bauchgefühl ist schnell, effizient, unbewusst und unbeabsichtigt. Rationales Denken hingegen langsam, weniger effizient, bewusst und gewollt. Lange wurden sie deshalb als zwei getrennte Prozesse betrachtet, zwischen denen man am Ende eine Entscheidung treffen muss. Inzwischen mehren sich jedoch die Stimmen, dass Bauchgefühl und bewusstes Denken parallel ablaufen und miteinander interagieren. Einen Beweis dafür, dass es klare Verknüpfungen gibt, sehen die Psychologen David E. Melnikoff und John A. Bargh von der Yale University, Connecticut, USA, zum Beispiel beim Schreiben auf einer Tastatur. Wer regelmäßig schreibt, muss die Tasten nicht suchen. Die Finger finden sie von selbst, allerdings in einer geplanten und absichtlichen Abfolge, so dass ein sinnvoller Text entsteht.
Ebenfalls nicht so ganz klar ist aus psychologischer Sicht, dass das Bauchgefühl tatsächlich in den Bauch gehört. Es soll durchaus Menschen geben, die es in anderen Körperteilen wie der Brust oder Schulter wahrnehmen können. Für viele Neurogastroenterologen ist die Frage der Lokalisation hingegen eindeutig. Sie vermuten, dass neben dem Gehirn, das enterische Nervensystem und damit eindeutig der Bauch eine Rolle bei intuitiven Entscheidungen spielt.
Das enterische Nervensystem, umgangssprachlich häufig als »Bauchhirn« bezeichnet, bildet die größte Ansammlung von Nervenzellen außerhalb des zentralen Nervensystems. Es umfasst mehr als 100 Millionen Nervenzellen, die als netzartige Struktur den gesamten Verdauungstrakt, von der Speiseröhre über den Magen, den Dünn- und Dickdarm bis hin zum Enddarm umziehen. Das enterische Nervensystem arbeitet selbstständig und unabhängig vom Gehirn. Es steuert und koordiniert das komplexe und fein abgestimmte Zusammenspiel der Schleimhautdrüsen, Verdauungsdrüsen und Muskulatur des Magen-Darm-Trakts, die für die Verdauungsvorgänge vom Schlucken bis zur Stuhlentleerung notwendig sind.
Die menschliche Darmflora ist eine eigene Welt für sich. Rund 100 Billionen Bakterien tummeln sich hier, die Schätzungen zufolge 1000 verschiedenen Arten von Darmbakterien angehören. Die Darmflora ist wichtig für die Verdauung, die Abwehr von Giften und Infektionserregern sowie das Immunsystem. Jeder Mensch beherbergt eine ganz individuelle Bakteriengemeinschaft, die zum einen schützt, aber auch als Trigger für verschiedene Erkrankungen dienen kann. Möglicherweise ist das Darmmikrobiom auch am Bauchgefühl beteiligt.
Grazer Wissenschaftler um den Neurogastroenterologen Professor Dr. Peter Holzer, Medizinische Universität Graz, konnten in Tierversuchen zeigen, dass chronische Bauchschmerzen die Gehirnfunktion und das soziale Verhalten beeinflussen. Dabei spielen neben neuronalen auch hormonelle und immunologische Signalwege eine Rolle. Bekannt ist, dass letztere durch das Darmmikrobiom beeinflusst werden. In weiteren Untersuchungen soll nun der Frage nachgegangen werden, inwieweit das Darmmikrobiom direkte Auswirkungen auf das Gehirn, die Schmerzempfindlichkeit und die Stimmungslagen bei Patienten mit chronischen Bauchschmerzen hat. Auch in Bezug auf neuropsychiatrische Erkrankungen, die bisher nicht ausreichend therapiert werden können, steht das Darmmikrobiom immer wieder im Mittelpunkt von Forschungsinteressen. In allen Fällen beruht die Hoffnung darauf, Betroffenen über die Ernährung oder die gezielte Supplementierung von Probiotika eine bessere Behandlung anbieten zu können.