Genug schlafen schützt |
Entscheidender Verknüpfungspunkt zwischen Schlaf und Stoffwechsel beziehungsweise der Entwicklung eines Diabetes könnte die Tiefschlafphase sein. In ihr wird entschieden, welche der im wachen Zustand gesammelten Informationen in das Langzeitgedächtnis übertragen werden. Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass Ratten am nächsten Tag schneller in der Lage sind, den Weg durch ein Labyrinth zu finden, wenn zuvor die Bildung einer besonderen Form von Hirnwellen, den sogenannten Sharp-Wave-Ripple-Komplexen, in der Tiefschlafphase künstlich gesteigert wurde. Gleichzeitig wirken sich Sharp-Wave-Ripple-Komplexe auf den Stoffwechsel aus. Wissenschaftler der NYU Langone Health in New York konnten beobachten, dass es nach einer Häufung von Sharp-Wave-Ripple-Komplexen innerhalb weniger Minuten zu einem Abfall des Blutzuckers bei Ratten kommt. Auch den Signalweg im Gehirn konnten die Wissenschaftler identifizieren. Wurde er unterbrochen, blieb der Blutzuckerabfall aus.
Bei Menschen scheint es zu ganz ähnlichen Abläufen während des Schlafs zu kommen, wie Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in Berkeley aufdecken konnten. Sie werteten Daten der »Cleveland Family Study« aus, die von 1990 bis 2006 zur Ursachenfindung der Schlafapnoe gesammelt worden waren. Dabei identifizierten sie wiederkehrende EEG-Phänomene in der Tiefschlafphase, die mit dem Blutzucker und Insulinspiegel verknüpft waren. Je häufiger diese EEG-Phänomene bei einem Probanden auftraten, umso niedriger fiel der Nüchternblutzucker am nächsten Morgen aus und umso besser war die Insulinwirkung. Zu demselben Ergebnis kam die »Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis« (MESA), in der die Blutzucker- und Insulinkonzentration von 1900 Probanden nach einer Nacht im Schlaflabor bestimmt worden war.
Sind Menschen bereits an Diabetes erkrankt, kann Schlafmangel weitere Folgen haben. Unbestritten ist, dass zu wenig Schlaf Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel und die Insulinempfindlichkeit hat. Schlafstörungen können dazu führen, dass der Diabetes schlechter einstellbar ist als bei Diabetikern mit gesundem Schlaf. Darüber hinaus zeigen Studien, dass das Schlafverhalten das Risiko für die Entwicklung von Diabetes-bedingten Komplikationen beeinflusst. Laut einer dänischen Studie geht eine Schlafdauer von unter sieben Stunden mit einem 2,6-fach erhöhten Risiko für eine mikrovaskuläre Erkrankung wie die Retinopathie oder Nephropathie einher. Ähnlich wirkt sich eine zu lange Schlafdauer von mehr als neun Stunden aus. Hier war das Risiko 2,3-fach erhöht. Besonders stark war dieser Zusammenhang bei Menschen über 62 Jahren.
Auch die Sterblichkeitsrate steigt stark an, wie die Daten der UK-Biobank zeigen. Sie liegt bei Menschen mit Diabetes und Schlafstörungen um 87 Prozent höher als bei Menschen mit Diabetes, die ein gesundes Schlafverhalten aufweisen.
Diabetiker sind – auch ohne es selbst zu bemerken – häufiger von Schlafstörungen betroffen als stoffwechselgesunde Menschen. Das obstruktive Schlafapnoesyndrom tritt laut Screeninguntersuchungen bei 30 bis 40 Prozent aller Diabetiker (hier besonders adipöse Menschen) auf, gleichzeitig berichten sie aber wesentlich seltener von Tagesmüdigkeit. Auffällig ist in diesem Fall meist nur das begleitende Schnarchen, das von Alleinschläfern selbst nicht wahrgenommen wird.
Auch nächtliche Hypoglykämien führen nicht immer zum Aufwachen. Hinweisgeber können morgendliche Müdigkeit, Unwohlsein oder Kopfschmerzen sein. Und nicht zuletzt können auch Medikamente, schmerzhafte Neuropathien oder ein Restless-Legs-Syndrom Durchschlafstörungen begünstigen. Diabetikern mit Verdacht auf Schlafstörungen sollte immer eine Abklärung beim behandelnden Arzt empfohlen werden.