Haarausfall an der Wurzel gepackt |
Barbara Döring |
19.05.2023 14:30 Uhr |
Nach der androgenetischen Alopezie ist die Alopecia areata die zweithäufigste Form von Haarausfall. Sie trifft alle Geschlechter und kann über vereinzelte kahle Stellen am Kopf bis zur Glatze führen. »1 bis 2 Prozent der Menschen sind weltweit davon betroffen«, sagt Lutz. Meist tritt der Haarausfall am Kopf auf, selten auch an anderen Körperstellen. Es beginnt in der Regel mit kleinen kreisrunden Stellen, zu der sich weitere gesellen. Verschmelzen sie, entstehen größere Areale, die sich in der Regel weiter ausbreiten, wenn keine Behandlung erfolgt. Verantwortlich sind fehlgeleitete T-Lymphozyten, die zur Entzündung führen und den Haarfollikel angreifen. Die Chance, dass die Haare von selbst nachwachsen, ist gering und sinkt mit jedem weiteren Schub und zunehmender Ausbreitung. Höchstens drei Monate würde Lutz auf eine Spontanheilung warten und dies auch nur bei kleinen Stellen.
Solange die Haarwurzel noch nicht zerstört ist, können die Haare unter einer adäquaten Behandlung wieder nachwachsen. Um die Entzündung zu unterdrücken, kommen stark wirksame Corticosteroide wie Clobetasol zum Einsatz, die als Lösung und Creme mindestens drei Monate angewendet werden. Bei ausgedehnten Formen kommt für Erwachsene zudem eine topische Immuntherapie mit DCP (Diphenylcyclopropenon) in Betracht. Die mehrmonatige Applikation provoziert ein Kontaktekzem, dass die fehlgeleiteten Immunzellen von den Haarwurzeln ablenkt. DCP ist jedoch nicht als Mittel gegen Haarausfall zugelassen und birgt gewisse gesundheitliche und rechtliche Risiken. Ergänzend kann bei Alopecia areata über mehrere Monate Zink supplementiert werden, rät Lutz. Zink fördert das Haarwachstum und reguliert die Funktion der T-Lymphozyten. Außerdem ist seit 2022 der Januskinase-Inhibitor Baricitinib für eine ausgedehnte Alopecia areata zugelassen.
»Diffuser Haarausfall ist häufig ein Kriminalfall«, weiß Lutz. Oft klagen Patienten darüber, dass am gesamten Kopf Haare ausfallen und das Haar immer lichter wird, obwohl das Blutbild und Routinelabor unauffällig sind, so der Experte. Hier ist die Anamnese besonders wichtig, betont Lutz: Wie lange besteht der Haarausfall? Hat jemand kürzlich eine Infektion durchgemacht? Ist die Ernährung vegetarisch oder vegan? Werden Medikamente eingenommen, die das Haarwachstum stören? »Manche Patienten nehmen mehrere Wirkstoffe ein, die jeweils das Haarwachstum potenziell beeinträchtigen, was den Haarausfall summierend verstärkt«, so Lutz Erfahrung. Während es bei Chemotherapeutika bekannt ist, dass die Haare zum Teil schon nach ein bis zwei Wochen vollständig ausfallen, sei der Verlust bei anderen Medikamenten moderater und träte meist verzögert auf.
Auf der Liste dieser Medikamente stehen, abgesehen von Chemotherapeutika, Betablocker an vorderster Stelle. Hinzu kommen Wirkstoffe zur Blutverdünnung wie Phenprocoumon oder Heparin, Psychopharmaka, Lipidsenker und Schmerzmittel. Bei Diclofenac sei das Risiko höher als bei Ibuprofen, bei Acetylsalicylsäure ist dagegen keine entsprechende Nebenwirkung bekannt. Auch viele andere Medikamente oder Antibaby-Pillen mit Gestagenen, die eine androgene Restwirkung haben, können das Haarwachstum stören. Um das zu vermeiden, gelte der Grundsatz »So viel wie nötig, so wenig wie möglich«, betont Lutz. Auch ein Wechsel der Medikation kann sinnvoll sein. Stehen Betablocker als Verursacher in Verdacht, wäre nach ärztlicher Rücksprache ein Wechsel auf ein Ausweichpräparat wie Telmisartan oder Olmesartan möglich. Aber auch diverse Hautkrankheiten, Intoxikationen oder radioaktive Stoffe können zu diffusem Haarausfall führen. Je nach Intensität der Wachstumshemmung tritt der Haarausfall auch hier kurzfristig oder erst nach einigen Monaten auf.
Infektionskrankheiten wie Covid-19 sind eine starke Belastung für den gesamten Organismus und können auch die Haarwurzel in Mitleidenschaft ziehen. Die Sängerin Lena Meyer-Landrut, die nach einer Coronainfektion unter starkem Haarausfall litt, ist ein prominentes Beispiel. Man spricht dabei von »Telogenem Effluvium«, einem diffusen Haarausfall, bei dem das Haar aus seiner Wachstumsphase zu früh in die Ausfallphase wechselt und nach einigen Wochen oder Monaten ausgeht. Der Haarverlust macht sich deshalb erst mit Verzögerung bemerkbar. Weil ihre Haare stark ausgedünnt waren, ließ Lena Meyer-Landrut sie auf Kinnlänge kürzen. Inzwischen wachsen sie wieder kräftig nach, denn diffuser Haarausfall nach Covid ist in der Regel reversibel. Für optimale Wachstumsbedingungen sollten Nährstoffstörungen ausgeschlossen und ein nachgewiesener Mangel ausgeglichen werden.