Harninkontinenz behandeln |
Verena Schmidt |
19.06.2024 08:00 Uhr |
Die Therapie der Harninkontinenz richtet sich in erster Linie nach den zugrunde liegenden Ursachen. Bei einer Belastungsinkontinenz – und häufig auch bei Dranginkontinenz und Mischformen – sind Beckenbodenübungen effektiv, wie viele Studien zeigen. Erfolge lassen sich mit regelmäßigem Training über längere Zeit bei Problemen nach einer Schwangerschaft, aber auch bei älteren Patientinnen erzielen. Biofeedbackverfahren, Vaginalkonen («Liebeskugeln« oder Kegel zum Einführen in die Scheide), Elektro- oder Magnetfeldstimulation können ebenfalls die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur unterstützen. Ein vom Gynäkologen angepasstes Pessar kann in die Scheide eingeführt werden und hilft dabei, die Harnröhre zu stützen und den Beckenboden zu entlasten. Es kann dauerhaft oder nur bei bestimmten Aktivitäten wie Sport getragen werden.
Bei Dranginkontinenz kann laut der in diesem Jahr aktualisierten Leitlinie »Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten – Diagnostik und Therapie« auch ein Toiletten- beziehungsweise Blasentraining helfen. Dabei wird ein Zeitplan aufgestellt: Die Betroffenen gehen regelmäßig in bestimmten Abständen zur Toilette, auch wenn kein Harndrang besteht. Die Intervalle zwischen den Toilettengängen sind zunächst recht kurz und werden dann immer weiter ausgedehnt.
Zusätzlich erlernt der Betroffene Techniken, um den Harndrang zu unterdrücken und die Blasenentleerung hinauszuzögern. Das Training soll die Blase daran gewöhnen, mehr Urin zu speichern. Die Leitlinie empfiehlt Betroffenen außerdem eine Gewichtsreduktion bei Adipositas, die begleitende Behandlung einer Obstipation und möglichst einen Rauchverzicht. Wer viel Kaffee trinkt (> 200 mg Koffein beziehungsweise zwei Tassen Kaffee pro Tag), sollte die Menge reduzieren.
Bei leichter bis mittelschwerer Belastungsinkontinenz kann bei Frauen der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin (Yentreve® und Generika), der auch als Antidepressivum zugelassen ist, angewendet werden. Er erhöht den Muskeltonus des Schließmuskels der Blase und vergrößert deren Kapazität. Die Einnahme sollte möglichst mit Beckenbodentraining kombiniert werden. Wichtiger Hinweis für die Beratung: Zu Beginn der Einnahme leiden viele Patientinnen an Nebenwirkungen wie Übelkeit, Mundtrockenheit oder Schlafstörungen. Durchhalten lohnt sich oft, meist bessern sich die unerwünschten Wirkungen nach einigen Wochen.
Bei Dranginkontinenz verordnet der Arzt häufig Anticholinergika wie Oxybutynin (zum Beispiel Dridase®, Kentera®), Propiverin (Mictonetten®, Mictonorm®), Tolterodin (Detrusitol®) oder Trospiumchlorid (unter anderem Spasmex®, Spasmolyt®). Die Wirkstoffe reduzieren durch Hemmung muskarinerger Rezeptoren die Kontraktilität des Detrusormuskels in der Blase, übermäßige Kontraktionen werden reduziert und die Blasenkapazität nimmt zu. Als Folge wird der Harndrang reduziert und tritt nicht mehr so plötzlich auf; die Intervalle zwischen den Toilettengängen können verlängert werden.
Therapielimitierend, vor allem bei geriatrischen, multimorbiden Patienten, sind die häufigen Nebenwirkungen der Anticholinergika wie Mundtrockenheit, Obstipation, Glaukomauslösung, Restharnbildung und Beeinträchtigung der Kognition bis hin zum Delir und erhöhtem Sturzrisiko. Unretardiertes Oxybutynin hat laut den Leitlinienautoren die höchste Nebenwirkungsrate, bei älteren Patienten sollte es nicht eingesetzt werden. Bei Präparaten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung und transdermalen Pflastern treten weniger Nebenwirkungen auf.
Der β3-Rezeptoragonist Mirabegron (Betmiga™) ist etwas besser verträglich, er hat einen anderen Wirkmechanismus als die Anticholinergika. Und zwar stimuliert er über ß3-Rezeptoren die Relaxation des Detrusors in der Speicherphase der Harnblase. Allerdings kann Mirabegron als Nebenwirkung Bluthochdruck auslösen beziehungsweise eine bestehende Hypertonie verschlechtern. Bei Hypertonie-Patienten sollte daher regelmäßig der Blutdruck gemessen werden.
Lässt sich mit Medikamenten keine anhaltende Besserung erzielen, ist die Injektion von Botulinum-A-Toxin (Botox) in den Detrusormuskel eine Möglichkeit. Die Wirkung hält in der Regel drei bis sechs Monate an, danach kann die Anwendung wiederholt werden. Daneben gibt es zahlreiche Operationsmethoden, beispielsweise die sakrale Neuromodulation, bei der der Arzt an Nervenbahnen im Rückenmark einen Schrittmacher einsetzt, der die Spannung der Blasenmuskulatur steuert, eine Schlingenoperation, bei der ein Kunststoffband um die Harnröhre geführt wird, oder auch eine Laserbehandlung von Harnröhre oder Scheidenwand.