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Kindererholungskuren

Heimweh verboten

Aus heutiger Perspektive wäre es unvorstellbar, ein kleines Kind für mehrere Wochen allein in eine Kur zu schicken. Noch bis in die frühen 1980er-Jahre hinein war dies jedoch eine weit verbreitete Maßnahme – über deren Umstände lange geschwiegen wurde.
Angela Kalisch
25.11.2020  16:00 Uhr

Interview mit Landeskoordinatorinnen

PTA-Forum: Die Verschickungen liegen schon 50, manchmal 60 Jahre zurück. Warum wird das Thema erst jetzt aufgearbeitet?

Runde: Das wurde praktisch erst durch das Internet möglich. Es gab auch vorher schon Berichte zu dem Thema, aber nur sehr vereinzelt. Dass man sich jetzt online austauschen kann, hat die Sache richtig angeschoben.

Zeis: Die Rolle des Internets darf man da wirklich nicht unterschätzen. Dadurch wurde erst sichtbar, dass es sich um ein Massenphänomen handelt. Dass es ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist, wird jetzt erst wahrnehmbar.

PTA-Forum: Haben die Eltern sich damals nicht beschwert?

Runde: Ich denke, als Kind wollte man den Eltern gar nicht so gerne alles erzählen, hat diesen Teil des Erlebten, der ja auch oft beschämend war, lieber für sich abgekapselt und versucht, die Erinnerung daran zu löschen. Da wurde viel Vertrauen zerstört, auch in der Beziehung zu den eigenen Eltern. Im Kurheim hatten die Kinder außerdem ja auch gelernt, negative Dinge nicht auf ihren Postkarten zu schreiben oder zu berichten, weil das die Eltern sehr traurig machen würde.

Zeis: Es gab auch einige Eltern, die versucht haben, sich zu beschweren, mit wenig Erfolg. Das hat seitens der Heime gut funktioniert, die Ereignisse zu verharmlosen. Und dann darf man auch nicht vergessen, dass Eltern die Erzählungen der Kinder nicht immer ernst genommen haben. Gegen Autoritäten hat sich damals kaum jemand zur Wehr gesetzt, das wurde größtenteils akzeptiert. Auch zuhause gehörte die schwarze Pädagogik durchaus noch zum Alltag.

»Da wurde viel Vertrauen zerstört, auch in der Beziehung zu den eigenen Eltern.«
Ingrid Runde

PTA-Forum: Was in den Kurheimen unter Erziehung verstanden wurde, liest sich aber doch äußerst entsetzlich: Essensentzug und Essenszwang bis zum Erbrechen, nächtliches Toilettenverbot, Demütigung von Bettnässern vor der ganzen Gruppe, Isolationsstrafen – um nur einige Beispiele zu nennen. Schon von ganz kleinen Kindern wurde offensichtlich erwartet, körperliche und seelische Bedürfnisse komplett unter Kontrolle zu haben. Die Kinder sollten in jeder Hinsicht abgehärtet werden.

Zeis: Daran wird ganz deutlich, wie sehr die Ausbildung des Personals noch von der NS-Ideologie geprägt war.

PTA-Forum: Auch in den 1960er-, 70er-Jahren noch?

Zeis: Das wurde noch lange von Generation zu Generation weitergereicht. 1964 erschien in zweiter Auflage ein Leitfaden zur Arbeit mit den Kindern in Erholungsheimen und Heilstätten, ein Standardwerk für Kinderärzte, darin werden diese Methoden und Strafen ausdrücklich empfohlen. Man braucht starke Nerven, um das zu lesen. (1)

PTA-Forum: Ist bekannt, ob die Entsendeärzte oder Krankenkassen über die Zustände in den Heimen Bescheid wussten? Oder gab es eine andere Form der Kontrolle der Kurheime?

Runde: Na ja, man hat ja gesehen, wie lange es gedauert hat oder heute immer noch dauert, bis die Altenheime systematisch kontrolliert werden.

Zeis: Richtig, das kann man gut vergleichen. In den Altenheimen ist es bis heute so, dass Kontrollen erst greifen, wenn etwas richtig Dramatisches passiert ist. Sowohl Kinder als auch pflegebedürftige ältere Menschen brauchen ja eine qualifizierte Betreuung.

PTA-Forum: Aber die Eltern haben doch damals gedacht, dass sie ihren Kindern etwas Gutes tun, das Ziel war ein erholsamer Aufenthalt. Warum wurden die Kinder so lieblos behandelt?

Runde: Ich denke, dass in den Heimen das Personal völlig überfordert war. Wenn man sich vorstellt, da kommt wieder ein ganzer Zug mit verängstigten Kleinkindern an, für die schon die Fahrt ein weiter Weg ins Ungewisse war. Die haben alle Heimweh und wissen überhaupt nicht, was auf sie zukommt. Die alle zu beruhigen, ist eine schwere Aufgabe.

PTA-Forum: Gerade für solche verängstigten Kinder wäre aber ein liebevoller Empfang wichtig gewesen.

Runde: Das kostet aber viel mehr Zeit. Da war es doch viel einfacher, die Kinder mit Strenge unter Kontrolle zu bringen. Das mag ein pädagogisches Konzept gewesen sein oder einfach Überforderung.

Zeis: Ich denke, es war beides. Das Personal war überfordert, aber es handelte sich auch gar nicht um besonders qualifiziertes Personal. Viele Mitarbeiter wurden einfach aus den nationalsozialistischen Strukturen übernommen. Es ist nachgewiesen, dass einige Ärzte mit NS-Vergangenheit sich hier eine neue Existenz aufgebaut haben und ihre Forschung fortsetzen konnten.

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